Fraktionen streiten über Bürokratieabbau in Deutschland
Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 19. Oktober 2023, mit dem Bürokratieabbau befasst. Anlass war ein von der CDU/CSU vorgelegter Antrag mit dem Titel „Innovation ermöglichen, Investitionen erleichtern – Agenda für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ (20/8856). Im Anschluss an die Aussprache wurde die Vorlage zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. In der Debatte zu dem Antrag äußerten Rednerinnen und Redner aller Fraktionen sowie die Vertreter der Bundesregierung den Willen, Bürokratie in Deutschland zu reduzieren.
CDU/CSU kritisiert Regulierungs- und Kontrollwut
Für die CDU/CSU-Fraktion attackierte Günter Krings die aktuelle Bundesregierung scharf. „Die Regulierungs- und Kontrollwut der aktuellen Bundesregierung erstickt die Freiheit des privaten und unternehmerischen Handelns“, sagte der Christdemokrat. Krings stellte dem die Leistung der Unions-geführten Bundesregierung zwischen 2005 und 2021 entgegen. Es sei mit drei umfangreichen Bürokratieentlastungsgesetzen gelungen, die Wirtschaft um Kosten in Milliardenhöhe zu entlasten.
Zum Ende der Amtszeit der alten Bundesregierung habe der Bürokratiekostenindex zu niedrig wie nie zuvor gelegen, führte der Rechtspolitiker aus. Die Ampel wiederum habe es in Windeseile geschafft, wieder mehr und neue Bürokratie aufzubauen. „Schreiben Sie gerne von uns ab, schreiben Sie vom Normenkontrollrat, schreiben Sie von anderen Experten ab – aber bitte tun Sie endlich etwas in Sachen Bürokratieabbau“, mahnte Krings die Bundesregierung.
SPD verweist auf Initiative zur Bürokratieentlastung
Für die SPD-Fraktion verwies Zanda Martens auf die Notwendigkeit, auf EU-Ebene Bürokratie abzubauen. Deswegen sei es richtig, dass sich Deutschland und Frankreich auf eine gemeinsame Initiative zur Bürokratieentlastung verständigt haben. Die Sozialdemokratin mahnte – auch in Richtung Union – aber vor Demagogie und Fake-Diskussionen. Die EU als „reines Bürokratiemonster“ darzustellen, tue der EU Unrecht.
Sie wies zudem den Vorwurf der CDU/CSU zurück, dass die Ampel in der Sache nichts unternehme. Man arbeite an einem Bürokratieentlastungsgesetz, führte Martens aus. Sie stellte allerdings auch klar, dass „individuelle Rechte und soziale Leistungen dem Bürokratieabbau“ nicht geopfert werden dürften – „weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene, nicht Arbeitsnehmerrechte, nicht Mieterrechte, nicht Verbraucherrechte.“
AfD fordert mehr Engagement im Bürokratieabbau
Für die AfD-Fraktion forderte Stephan Brandner ebenfalls deutlich mehr Engagement im Bürokratieabbau. Deutschland befinde sich „im Würgegriffe von Bürokraten“, sei längst kein „Bürokratiemonster“ mehr, sondern ein „Bürokratiegodzilla“.
Es würden immer weniger Unternehmen gegründet und die Zahl der Insolvenzen nehme zu, sagte Brandner, dennoch hätten Deutschland und die EU nichts Besseres zu tun, „als Bürgern und Unternehmen immer mehr Bürokratie und wahnsinnige Vorschriften aufzubürden“. Der Union warf er ob ihrer langjährigen Regierungsführung vor, der „Frankenstein der Bürokratie“ zu sein.
Grüne: Der Staat lähmt sich in Teilen selbst
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte Lukas Benner ebenfalls die Wichtigkeit des Bürokratieabbaus. Der Staat müsse für die Menschen da sein, doch mit dem Staat in Kontakt zu treten, sei vielerorts mühsam. „Unser Staat lähmt sich in Teilen selbst“, sagte der Grünen-Abgeordnete: „Die Probleme sind groß, der Handlungsdruck ist riesig.“ Er warnte aber vor „Abgesängen auf den Zustand unseres Landes“. Diese würden die Potenziale im Land verkennen.
Auch Benner betonte, dass die Ampelkoalition an diesem Thema längst dran sei – etwa durch die Beschleunigungsgesetze zum Ausbau der Erneuerbaren. Die Koalition wolle nicht nur der Papierwust ein Ende setzen, sondern auch effizientere Verfahren und Bürgernähe erreichen. Wie Martens sah Benner allerdings auch Grenzen: „Bürokratieabbau bedeutet nicht Deregulierung durch die Hintertür.“
Linke: Projektitis ist eine Geld- und Zeitverschwendung
Für die Fraktion Die Linke ging Petra Sitte vor allem auf die Bürokratie für Forschungseinrichtungen, Universitäten und forschende Unternehmen ein. Visuell unterstützte Sitte ihre Argumentation, indem sie ausgedruckte und aneinander geheftete Ausschreibungstexte im Plenum ausbreitete. „Wir wollen mehr Forschungs- statt Antragsarbeit“, forderte die Linken-Abgeordnete.
In Unternehmen, Hochschulen und Instituten seien inzwischen eigene Referate und Abteilungen entstanden, um sich um die komplexe Antragsstellung zu kümmern. „Diese Projektitis ist eine enorme Geld- und Zeitverschwendung“, sagte Sitte. Die Abgeordnete verwies zudem auf die Kritik des Wissenschaftsrates, der dargelegt habe, wie viel Ressourcen durch Anträge verschlissen werden.
Regierung: Größtes Bürokratieabbaugesetz der Geschichte
Für die Bundesregierung stellte sich Benjamin Strasser (FDP) hinter die Bürokratieentlastungspläne der Koalition. „Unser Land leidet an einem Bürokratie-Burnout“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz. Die Menschen seien so verzweifelt angesichts der bürokratischen Lasten, dass es ihnen die Kreativität und ihren Unternehmergeist nehme – und so die Dynamik im Land blockiere.
Die Kritik der Union wies Strasser, der auch als Koordinator der Bundesregierung für Bessere Rechtssetzung und Bürokratieabbau fungiert, zurück. Die Ampel habe ein „gescheitertes Bürokratieentlastungsgesetz IV“ übernommen. Man sei neue Wege gegangen und lege als Bundesregierung „das größte Bürokratieabbaugesetz in der Geschichte der Bundesrepublik vor“.
FDP: Unions-Antrag ohne konkrete Vorschläge
Für die FDP-Fraktion äußerte sich Thorsten Lieb ähnlich. Es sei wichtig, über Bürokratieabbau zu reden, sagte der Liberale, „aber viel wichtiger ist es, zu handeln, und hier nicht Floskel auszutauschen“. Das sei genau das, was die Regierung tue, sagte Lieb auch mit Verweis auf die erstmalig durchgeführte Verbändeanhörung zum Bürokratieentlastungsgesetz IV, die auch Strasser erwähnt hatte.
Dem Antrag der Union fehle es an konkreten Vorschlägen. „Was ich finde sind Absichtserklärung, sind Strukturvorschläge, die eher Bürokratie aufbauen statt abbauen“, kritisierte der Abgeordnete.
Antrag der CDU/CSU
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung zu einem umfassenden Abbau von Bürokratie auf. „Überbordende Bürokratie, Regelungssucht und mangelnde Flexibilität gefährden nicht nur den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland, sondern auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungs- und Leistungsfähigkeit unseres Staates“, heißt es als Begründung in dem Antrag. Die Union fordert darin eine umfassende „Agenda für Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung“, die sowohl für den Bundestag als auch für die Bundesregierung Wirkung entfalten soll.
Allgemein schlägt die Union unter anderem eine „selbstbeschränkende Bürokratiebremse“ vor, „die eine sofortige Rücknahme neuer gesetzlicher oder untergesetzlicher Bürokratiebelastungen bewirkt, wenn eine bestimmte Bürokratiequote überschritten wird“. Zudem fordert die Fraktion, die „One in, one out“-Regelung zu einer „One in, two out“-Regelung zu modifizieren, „die künftig auch den einmaligen Erfüllungsaufwand (Umstellungsaufwand) berücksichtigt und nicht durch Ausnahmen, etwa bei der Anwendung und Umsetzung von Europarecht, ausgehöhlt wird“. Die Regelung besagt, dass bei Neuregelungen, die zu einer Erhöhung des laufenden Erfüllungsaufwand führen, zeitnah dafür Sorge getragen werden muss, dass dieser Aufwand wieder reduziert wird. Bezogen auf europarechtliche Vorgaben verlangt die Union ein „klares Bekenntnis zur 1:1 Umsetzung“. Zudem soll sich die Bundesregierung nach Willen der Abgeordneten auf EU-Ebene für ein „Bürokratiestopp und Belastungsmoratorium“ einsetzen. Auf institutioneller Ebene schlägt die Fraktion vor, im Bundestag einen Ausschuss für Bürokratieabbau und Gesetzesevaluierung als ständigen Ausschuss einzusetzen. Aufgabe des zu schaffenden Gremiums soll es demnach unter anderem sein, Gesetze nach ihrem Inkrafttreten zu evaluieren.
Nach Willen der CDU/CSU soll der Nationale Normenkontrollrat (NKR) zudem zurück in die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes. Die Ampelregierung hatte die Zuständigkeit an das Bundesministerium der Justiz übertragen. Von der Bundesregierung fordert die Union zudem über die bisherigen Planungen für ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz hinausgehende Gesetzesinitiativen. Dazu gehört etwa ein Innovationsfreiheitsgesetz. Zudem dringt die Union darauf, den angekündigten „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ zwischen Bund und Ländern abzuschließen. Weitere Forderungen der Union beziehen sich unter anderem auf Verwaltungsverfahren und Verwaltungsdienstleistungen. (scr/vom/19.10.2023)