Parlament

Fraktionen ziehen Bilanz zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Die sechs Nachhaltigkeitsprinzipien der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie waren Gegenstand einer dreistündigen Vereinbarten Debatte im Bundestag am Donnerstag, 12. Oktober 2023.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte zu Beginn der Debatte daran, dass der Begriff Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft geprägt wurde. Waldarbeiter hätten sich Gedanken über Wirtschaftsweisen gemacht, die erst viele Jahrzehnte später Ertrag abwerfen sollten. „Das gibt uns Fingerzeige für das, was wir in dieser Zeit tun sollten“, sagte die Ministerin.

Schaue man heute auf den Wald, sei klar zu erkennen, „dass wir ein Problem haben, das in der Zukunft noch größer werden wird“. Genau deshalb habe ihr Ministerium das Aktionsprogramm „Natürlicher Lebensschutz“ ins Leben gerufen, sagte Lemke. Mit vier Milliarden Euro würden dadurch in den nächsten Jahren Auen renaturiert, alte Wälder geschützt und Moore wieder vernässt, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, „und um uns auf die Folgen der Klimakrise vorzubereiten“, kündigte sie an.

Union: Bundesregierung handelt nicht nachhaltig

Viele Fragen beim Thema Nachhaltigkeit seien „viel größer als die Dauer einer Legislaturperiode“, sagte Steffen Bilger (CDU/CSU). „Die Politik wird keine tragfähigen, wirtschaftlich machbaren und sozialverträgliche Antworten auf Generationenaufgaben wie die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt oder den Klimaschutz geben können, wenn jeder nur auf den nächsten Wahltag schielt“, betonte er.

Gleichwohl komme er nicht umhin, der Regierung den Spiegel vorzuhalten. Schließlich werde sie dem Anspruch eines umfassenden Verständnisses von Nachhaltigkeit nicht gerecht. Weder beim Kilmaschutz noch bei den Staatsfinanzen oder den sozialen Sicherungssystemen handle die Bundesregierung nachhaltig, befand der Unionsabgeordnete. 

Halbzeitbilanz der Agenda 2030

Dr. Bärbel Kofler (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, verwies auf die „ernüchternde Halbzeitbilanz der Agenda 2030“. Mache die internationale Gemeinschaft weiter so wie bisher, „werden wir keines der 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen“.

Bei der anstehenden Aufholjagd müsse es unter anderen darum gehen, Ungleichheiten zu bekämpfen, mehr Investitionen zu tätigen und für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Das seien wesentliche Hebel. Zum Thema Geschlechtergerechtigkeit sagte Kofler: Ernährungssicherheit in vielen Familien und Gemeinden könne nur verbessert werden, wenn Frauen den gleichen Zugang zu Ressourcen im ländlichen Raum haben, wie Männer. 

AfD: Offene Gesellschaft wurde zerstört

Aus Sicht von Dr. Rainer Kraft (AfD) sind die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung nicht schlecht. Der Regierung fehle jedoch „jeder Bezug zur Lebensrealität dieses Volkes“. Wie einst in der DDR werde mit Zahlen und Statistiken gearbeitet, „die die Realität nicht abdecken“.

Mit Blick auf die aktuelle Lage im Nahen Osten verwies Kraft auf das Nachhaltigkeitsprinzip 5 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, das fordere, den sozialen Zusammenhalt in einer offenen Gesellschaft zu wahren und zu verbessern. Der soziale Zusammenhalt in Deutschland sehe derzeit aber so aus, dass sich tausende Menschen in Deutschland über den hundertfachen Mord an wehrlosen Zivilisten ganz offen freuen. „Diese Menschen habe Sie zu Hunderttausenden ins Land geschleust, ohne Kontrolle und ohne Feststellung der Identität“, sagte er an die anderen Fraktionen gewandt. Die offene Gesellschaft sei durch offene und unkontrollierte Grenzen zerstört worden. 

FDP: Unsere Wirtschaft wächst nicht mehr

Ganz zentral für die Nachhaltigkeit ist laut Carina Konrad (FDP), „dass die Bundesregierung die Schuldenbremse einhält“. Deutschland befinde sich in einer Krise, sagte sie. „Unsere Wirtschaft wächst nicht mehr.“ Um Wohlstand zu erhalten, um die Zukunft des Landes für die nächsten Generationen zu ebnen, müsse die Wirtschaft aber wieder wachsen.

Deshalb sei das Wachstumschancengesetz „ein erster wichtiger Schritt“, sagte die FDP-Abgeordnete. Entscheidend für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei auch eine intakte Infrastruktur, die aber jahrzehntelang sträflich vernachlässigt worden sei. Daher sei es richtig, sich mit viel Geld und viel Kraftanstrengungen auf den Weg zu machen, die Infrastruktur zu modernisieren, sie zu erneuern und deshalb die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. 

Linke: 735 Millionen Menschen leiden Hunger

Kritik an der Weltwirtschaftsordnung übte Bernd Riexinger (Die Linke). „Eine auf Profit und grenzenlosem Wachstum aufgebaute Weltwirtschaftsordnung, die die vorhandenen Ressourcen plündert, in vielen Teilen der Welt keine Rücksicht auf das Klima und die Gesundheit der Menschen nimmt, sowie erarbeiteten Reichtum in wenigen Händen konzentriert, kann die Krisen unserer Zeit nicht lösen“, sagte er.

Beleg dafür sei, dass der Hunger in der Welt nicht besiegt werde. 735 Millionen Menschen auf der Welt litten Hunger, sagte Riexinger. Eine Weltwirtschaftsordnung, die es trotz ausreichend vorhandener Nahrungsmittel nicht schafft, „dass kein Mensch hungern muss“, habe kein moralisches Recht fortzubestehen. 

Grüne: 33 von 75 Indikatoren nicht im Zielbereich

Tessa Ganserer (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einer ernüchternden Halbzeitbilanz der Agenda 2030. Weder sei der Hunger bei gleichbleibendem Tempo der Bemühungen zu bekämpfen noch Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Aber auch in Deutschland seien 33 von 75 Indikatoren derzeit nicht im Zielbereich.

Ein Weiter so, sei also nicht möglich, schloss Ganserer. Ein Aufgeben komme aber auch nicht in Frage. „Beim Thema nachhaltige Entwicklung spielen wir in der Champions League der Politik“, so die Grünenabgeordnete. Zwar sei man zur Halbzeit im Rückstand. Es gelte aber zur zweiten Halbzeit auf das Spielfeld zu gehen, den Ball anzunehmen, die Kraftanstrengungen zu verstärken und weiterhin auf Sieg zu spielen. Dazu müsse die Nachhaltigkeitsarchitektur weiter gestärkt werden – sowohl regierungsseitig als auch im Parlament, sagte Ganserer. 

Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit

Die Bundesregierung habe sich immer für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit stark gemacht, sagte Kerstin Griese (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die ökologische, die ökonomische und die soziale Dimension der Nachhaltigkeit seien schließlich gleichwertig, betonte sie.

Daher stelle die Regierung die Weichen für eine Politik, die die Menschen zur Teilhabe befähige und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt setze. Vor diesem Hintergrund wolle die Bundesregierung die nachhaltigen Angebote der formellen und informellen Bildung in allen Lebensphasen weiter ausbauen und stärken, sagte Griese. Dazu sei unter anderem das Aus- und Weiterbildungsgesetzt beschlossen worden.

Özdemir: Alle in der Gesellschaft mitnehmen 

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, die Produktionsfaktoren zu schützen und zu schonen, von denen die Menschen in der Landwirtschaft, auch im vor- oder nachgelagerten Bereich, und damit unsere Ernährung abhingen. Es gehe um den Boden, das Wasser, die Luft, das Klima und die Artenvielfalt. „Wir müssen sie schützen und gleichzeitig nutzen“, sagte der Minister. Es passe daher zur Politik der Bundesregierung, dass auf der einen Seite mit dem Tierhaltungskennzeichen ein Angebot für Fleischesser gemacht werde. Für diejenigen, die kein Fleisch essen wollen, würden mit der Eiweißpflanzenstrategie gute Angebote für die Landwirtschaft gemacht. „Das ist der Weg: Ohne Ideologie alle in der Gesellschaft mitnehmen“, sagte Özdemir. 

SPD: Global denken, lokal handeln

Global denken, aber lokal handeln, müsse das Motto sein, sagte Dr. Nina Scheer (SPD). Daher seien auf Bundesebene, in den Ländern aber auch in den Kommunen alle Hebel darauf zu stellen, „dass es ein Stück mehr und nicht ein Stück weniger Nachhaltigkeit wird“.

Nur so könne in der praktischen Umsetzung auch die Nachhaltigkeitsverantwortung übernommen werden. Eine Rückkehr zur Atomenergie, so machte die SPD-Abgeordnete deutlich, sei indes nicht nachhaltig. Man könne nicht nachfolgenden Generationen „über Millionen Jahre Müll hinterlassen“, sagte Scheer. (hau/12.10.2023)