Lindner: Fiskalische Trendwende ist gelungen
Nach Aussage von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist die fiskalische Trendwende trotz Rekordinvestitionen gelungen. In der Regierungsbefragung des Bundestages am Mittwoch, 27. September 2023, sagte Lindner, es wäre „ökonomisch unverantwortbar“, wenn der Staat die Inflation dadurch anheizen würde, dass er jetzt noch schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme auf den Weg bringt. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes werde eingehalten und ein Staatsdefizit von unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts werde bereits in diesem Jahr erreicht, und zwar unter Berücksichtigung des Kernhaushalts sowie aller Sondervermögen.
„Wirtschaftliche Entwicklung unbefriedigend“
Die wirtschaftliche Entwicklung bezeichnete der Minister aufgrund konjunktureller Belastungsfaktoren und struktureller Defizite der Wettbewerbsfähigkeit als unbefriedigend. Die Regierung gehe das Problem an, und zwar mit dem Wachstumschancengesetz zur Stärkung von Forschungsförderung, Investitionen und Eigenkapitalbasis sowie dem Zukunftsfinanzierungsgesetz zur Verbesserung des Kapitalmarktzugangs junger und innovativer Unternehmen und der Mitarbeiterbeteiligung zur Bindung von Talenten in diesem Wirtschaftsbereich.
Das Bundesfinanzministerium werde Innenministerin Faeser bei den geplanten stationären Kontrollen im grenznahen Raum zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität unterstützen, kündigte Lindner an. Bis zu 500 Vollzugsbeamte des Zolls würden zur Verfügung gestellt, um die Durchsetzung dieser stationären Kontrollen sicherzustellen. Nach 2015 habe Deutschland streckenweise die „Kontrolle über den Zugang zu diesem Land“ verloren, ein Zustand, der Lindner zufolge nicht fortgesetzt werden darf.
Schulze: Drei Hebel für eine lebenswerte Zukunft
In der Regierungsbefragung erinnerte überdies die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze (SPD), daran, dass sich die Weltgemeinschaft 2015 eine gemeinsame Vision gegeben habe, Hunger und Armut bis 2030 zu beenden. Von der Erreichung der damals formulierten 17 Nachhaltigkeitsziele sei die Weltgemeinschaft jedoch noch weit entfernt. Erforderlich sei nun eine „Aufholjagd“: Nur mit vereinten internationalen Kräften könne eine lebenswerte Zukunft für alle wirklich erreicht werden.
Das Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York habe gezeigt, so die Ministerin, dass der politische Wille mit klaren politischen Maßnahmen verbunden werden müsse. Dazu nannte sie drei Hebel: Zum einen gehe es um Geschlechtergerechtigkeit, um Frauen stärker in die Erreichung dieser Ziele mit einzubeziehen. Zweitens müssten soziale Ungleichheit bekämpft und Menschen in Beschäftigung und soziale Absicherung gebracht werden. Und drittens werde mehr Geld benötigt.
Die Abschlusserklärung des Gipfels habe eine Reform der internationalen Finanzarchitektur, vor allem der multilateralen Entwicklungsbanken, gefordert. Alle Finanzströme müssten an den 17 Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden. Knapp vier Billionen US-Dollar fehlten aktuell noch, betonte Schulze. Um diese Lücke zu schließen, müsse auch die Privatwirtschaft mehr Geld in nachhaltige Projekte investieren. Die Weltbank müsse zu einer echten Transformationsbank werden, damit mehr Geld für Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt werden könne.
Mehrwertsteuer in der Speisengastronomie
Der CSU-Abgeordnete Florian Oßner sprach gegenüber dem Finanzminister Verteuerungen an, die die Regierung „befeuert“ habe und nannte unter anderem den Verzicht auf eine Verlängerung des verminderten Mehrwertsteuersatzes in der Speisengastronomie, während gleichzeitig das Bürgergeld erhöht werde.
Lindner entgegnete, über eine Verlängerung der reduzierten Mehrwertsteuer könne nicht unabhängig von einer Gegenfinanzierung entschieden werden. Die dazu erforderliche Steuerschätzung liege erst im Oktober vor. Die Anpassung des Bürgergeldes habe mit Statistik zu tun. Der Minister wies zudem auf die geplante Anhebung des Grundfreibetrages bei der Einkommensteuer hin, um Inflationseffekte auszugleichen.
Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme
Die geplante Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf Gas und Fernwärme von sieben auf 19 Prozent thematisierte Christian Görke (Die Linke). Er befürchtet, dass dadurch die Inflation befeuert wird. Lindner erwiderte, die Absenkung des Steuersatzes sei krisenbedingt befristet beschlossen worden, zudem seien Preisbremsen eingeführt worden.
Zum Glück sei die Preisentwicklung anders verlaufen als zunächst befürchtet, sagte der Minister. Daher habe die Regierung vorgeschlagen, die Steuersenkung drei Monate früher als geplant aufzuheben, die Preisbremsen aber fortzusetzen. Er wies zudem auf das Inflationsausgleichsgesetz hin, mit dem die Bevölkerung entlastet und Kaufkraftverluste gedämpft worden seien.
Entfernungspauschale und Umsatzsteuerbetrug
Auf die Frage des AfD-Abgeordneten Kay Gottschalk, ob Lindner bereit wäre, die Pendler durch eine Erhöhung der Entfernungspauschale zu entlasten, sagte der Minister, dazu gebe es keine Pläne. Er riet im Übrigen dazu, nicht nur das Steuerrecht zu sehen, sondern auch die Tarifentwicklung bei Löhnen und Gehältern. Auch von der steuerfreien Inflationsprämie hätten schon viele profitiert.
Tim Klüssendorf (SPD) sprach die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug an. Eine wichtige Voraussetzung dafür sah Lindner in der Einführung der elektronischen Rechnungslegung. Dazu werde die Regierung bald einen konkreten Fahrplan vorlegen. Sie wolle Steuern nicht erhöhen, sondern das Steuerrecht durchsetzen, betonte der Minister.
Kapitalmarkt und Fachkräftemangel
Auf eine Frage der Abgeordneten Katharina Beck (Bündnis 90/Die Grünen) zum Vergleich öffentlicher Investitionen in Europa und den USA sagte Lindner, beim öffentlichen Investitionskapital habe Deutschland keinen Wettbewerbsnachteil. Das Problem sei die Mobilisierung von privatem Kapital. Der Standortnachteil bestehe darin, „dass wir einen fragmentierten Kapitalmarkt haben“. Daher plane die EU die „Capital Markets Union“, eine Kapitalmarktunion, um den Fondsstandort attraktiver zu machen.
Deutschland habe noch ungenutztes Potenzial im Bereich der Start-up-Unternehmen, versicherte Lindner der FDP-Abgeordneten Anja Schulz. Die Unternehmen litten darunter, dass sie nicht genug Fach- und Führungskräfte finden. Aus diesem Grund erleichtere die Regierung die qualifizierte Einwanderung.
Kürzungen im Entwicklungsetat
Der CDU-Abgeordnete Volkmar Klein kritisierte, dass der Etat des Entwicklungsministeriums zum dritten Mal in Folge sinke und die Ministerin falsche Prioritäten setze, indem sie bei der Ernährung kürze. Svenja Schulze hielt dem entgegen, dass es bei den Haushaltstiteln nur eine begrenzte Flexibilität gebe. Sie äußerte die Hoffnung, dass Ernährungssysteme entstehen, die die Menschen unabhängiger machen. Deutschland sei einer der größten Geldgeber, wenn es darum gehe, Hunger nachhaltig zu bekämpfen.
Der Großteil des Haushalts ihres Ministeriums setze sich für den Kampf gegen Hunger und Armut, den Ausbau von Gesundheitssystemen und für Geschlechtergerechtigkeit ein. Der gesamte Bundeshaushalt schrumpfe, und ihr Ministerium müsse einen Beitrag zur Konsolidierung leisten, so Schulze auf eine Frage des CSU-Abgeordneten Dr. Wolfgang Stefinger.
Privates Kapital, Eigenverantwortung, Zivilgesellschaft
25 Prozent weniger Geld gegen den Hunger beklagte die Abgeordnete Ina Latendorf (Die Linke). Schulze sagte, man müsse auch privates Kapital in nachhaltige Bereiche lenken. Dafür setze sie sich ein. Nach einer Eigenverantwortung der Länder im Hinblick auf ihre Entwaldung fragte der AfD-Abgeordnete Dietmar Friedhoff. Schulze erwiderte, es gebe eine Eigenverantwortung. Der Klimawandel sei real. Es gehe um die ärmsten Länder der Welt, die Unterstützung bräuchten, und Deutschland leiste dazu einen wesentlichen Beitrag.
Nach den Haushaltsmitteln für zivilgesellschaftliche Organisationen erkundigte sich die Grünen-Abgeordnete Susanne Menge. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind sehr wichtig, sie seien Brückenbauer. In diesem und auch im kommenden Jahr seien eine Milliarde Euro dafür in den Haushalt eingestellt. Sie hoffe, diesen Betrag stabil halten zu können, sagte die Ministerin.
Sozialsysteme und Investitionsfinanzierung
Dr. Karamba Diaby (SPD) fragte nach der Situation in den Sahel- und den angrenzenden Küstenstaaten. Deutschland habe zentral mitgeholfen, in der Sahelzone Arbeitsplätze zu schaffen, sagte die Ministerin. Dort sollen nach ihren Worten auch Sozialsysteme aufgebaut werden. Dazu sei ein langer Atem erforderlich, sie habe den Vorsitz in der Allianz der Geberländer übernommen. Man vertraue auf Spill-over-Effekte in die Küstenstaaten, um den Ärmsten der Armen zu helfen.
Dr. Christoph Hoffmann (FDP) fragte nach der Finanzierung wichtiger Investitionen in wirtschaftsschwachen Ländern. Es müsse gelingen, so die Ministerin, als demokratische Staaten auch große Projekte zu stemmen. Dazu gebe es unter anderem Initiativen der führenden demokratischen Industriestaaten (G7). Es müsse ermöglicht werden, für schwachen Länder Kredite zu beschaffen und sie zu stabileren Rahmenbedingungen zu führen. (vom/27.09.2023)