Scholz wirbt für europäische Zusammenarbeit in Sicherheits- und Rüstungsfragen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat im Bundestag für einen raschen Nato-Beitritt Schwedens geworben und den wiedergewählten türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgefordert, den Weg dafür freizumachen. Er sei „der festen Überzeugung, dass neben Finnland auch Schweden als neuer Verbündeter mit am Gipfeltisch sitzen sollte“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag, 22. Juni 2023, in seiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel am 29. und 30. Juni in Brüssel, bei der er den Blick auch auf den Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt Vilnius richtete.
Einen von der AfD-Fraktion zur Regierungserklärung vorgelegten Entschließungsantrag (20/7396) lehnten die Abgeordneten nach einer rund 80-minütigen Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen ab. Darin hatte die AfD unter anderem die ersatzlose Streichung fast aller Klimagesetze gefordert.
Scholz: Europa wird seiner Verantwortung gerecht
Scholz betonte, er wolle eine europäische Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und bei der Rüstungsindustrie. Dass der Haushaltsausschuss des Bundestages vergangene Woche der Beschaffung der Luftverteidigungssysteme Arrow 3 und IRIS-T zugestimmt habe, sei auch ein Signal, „dass Europa seiner Verantwortung innerhalb der Nato gerecht wird“.
In Brüssel werde er sich dafür einsetzen, in den Verhandlungen mit dem Europaparlament über ein neues europäisches Asylsystem Verbesserungen zu erzielen, kündigte Scholz an. Er hoffe, dass es noch vor der Europawahl im Juni 2024 zu einer Einigung über die Reform komme, die er als „historisch“ bezeichnete. Das Inkrafttreten der neuen Asyl-Regeln sei wichtig, „weil unser bisheriges System völlig dysfunktional ist“.
Geplante EU-China-Strategie
Scholz äußerte sich auch zur geplanten EU-China-Strategie. Es gehe dabei nicht darum, sich von China abzukoppeln, sondern darum, Abhängigkeiten zu reduzieren durch eine Diversifizierung von Lieferketten und Absatzmärkten. Die Bundesregierung wolle die deutschen Unternehmen unterstützen, ihre Lieferbeziehungen breiter aufzustellen. Viele würden daran bereits arbeiten.
Unterstützung signalisierte der Bundeskanzler auch für die von der EU-Kommission vorgeschlagene European Economic Security Strategy. Diese enthalte „Vorschläge, wie wir Risiken für unsere Wirtschaft in kritischen Bereichen abbauen und die Widerstandsfähigkeit unserer Unternehmen stärken“ können. Dies sei Teil eines umfassenden Verständnisses von Sicherheit. In Richtung Chinas sagte er: „Alle einseitigen Versuche, den Status quo im Ost- und im Südchinesischen Meer mit Gewalt oder Zwang zu verändern, lehnen wir entschieden ab. Das gilt insbesondere für Taiwan.“ Dies habe er dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang auch bei den jüngsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin gesagt.
Union: Europa steht nicht da, wo es stehen müsste
In der anschließenden Debatte warf ihm Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU/CSU) vor, vor China zurückzuweichen. So habe er zugelassen, dass beim gemeinsamen Presseauftritt mit Ministerpräsident Li keine Fragen zugelassen wurden. Auch habe die Bundesregierung bisher keine China-Strategie vorgelegt. „Aber wenn Deutschland streitet, kann auch die EU keine Strategie gegenüber China entwickeln“, urteilte Merz.
Den „beständigen Streit“ in der Koalition, unter anderem auch über die Nationale Sicherheitsstrategie und das EU-Handelsabkommen mit Lateinamerika (Mercosur), führte er als Grund dafür an, „dass Europa heute nicht da steht, wo es stehen müsste“.
SPD: Europa als „Bindemittel“ für nationale Außenpolitiken
Dr. Rolf Mützenich (SPD) entgegnete darauf, nicht die deutsche China-Strategie sei der Leitfaden für Europa. „Europa ist das Bindemittel für die nationalen Außenpolitiken.“ Daher hätten die Regierungskonsultationen in Berlin auch vor dem Hintergrund einer europäischen Strategie stattgefunden.
Es sei gut, dass in Brüssel über eine differenzierte Außenpolitik gesprochen werden solle, betonte der SPD-Abgeordnete. Denn Asien sei mehr als die Volksrepublik China, und deswegen lohne es sich auch, andere asiatische Staaten zu G7-und G20-Gipfeln einzuladen. Gleiches gelte für die Staaten Lateinamerikas und Afrikas.
FDP: Müssen „Chinafixierung“ reduzieren
Auch Michael Georg Link (FDP) warb dafür, den Blick zu weiten und „unsere Chinafixierung“ zu reduzieren. Deutschland und die EU müssten die Potenziale Afrikas erkennen und den Handel mit Amerika ausbauen. Dafür müsse auch das Mercosur-Handelsabkommen zügig ratifiziert werden.
In den Beziehungen zu China müsse es um einen konsequenten Abbau technologischer Risiken und einseitiger Abhängigkeiten gehen. Die EU brauche zudem eine gemeinsame Strategie für wirtschaftliche Sicherheit.
Grüne: Reform der Asylpolitik ist wichtig
Für Bündnis 90/Die Grünen sprach sich Britta Haßelmann für Änderungen an den Plänen für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen aus. Dass bislang 23 von 27 Ländern Kinder nicht aus dem Grenzverfahren herausnehmen wollten, sei ein „untragbarer Zustand“, sagte sie. „Wir müssen dafür sorgen, dass es zu Verbesserungen kommt.“
Insgesamt verteidigte Haßelmann den in ihrer Partei heftig kritisierten Asylkompromiss. Eine Reform der Asylpolitik sei richtig und wichtig. „Es gibt Rechtsverstöße ohne Ende und es gibt so unwürdige, menschenunwürdige Zustände in vielen Lagern.“ Hier müsse es zu Verbesserungen kommen.
AfD: Regierung heizt Armutsmigration weiter an
Dr. Alice Weidel (AfD) warf der Bundesregierung vor, das Land mit ihren Entscheidungen zu Klimaschutz und Migration „in den Abgrund“ zu treiben.
Die Pläne von Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) zum Austausch alter Öl- und Gasheizungen nannte sie einen „Frontalangriff auf das Eigentum der Bürger“. Zudem heize die Regierung die „Armutsmigration“ weiter an und sabotiere die „Minimallösung“ zur EU-Asylpolitik.
Linke übt scharfe Kritik an der Regierungspolitik
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) nannte die Bilanz der Bundesregierung mit Blick auf Klima, Migration, Inflation und Kindergrundsicherung „mies“. Ihre Politik ziehe das Land aktuell „wie Blei nach unten“.
Den Bundeskanzler forderte er auf, beim EU-Gipfel kommende Woche eine Friedensinitiative für die Ukraine zu präsentieren. „Die Welt leidet unter den Folgen des Ukraine-Krieges“, betonte Bartsch. Mit dem Ansatz, bis zum Abzug des letzten Russen aus der Ukraine keine Verhandlungen zu führen, drohe eine jahrelange Verlängerung des Krieges mit Zehntausenden Opfern und unkalkulierbaren Risiken. (joh/22.06.2023)