Diskussion über Tarifauseinandersetzungen im Energiesektor
Die Rolle der Politik bei Tarifauseinandersetzungen war der zentrale Streitgegenstand bei einer Aktuellen Stunde am Freitag, 23. Juni 2023. Beantragt hatte sie die Fraktion Die Linke zu dem Thema „Energiewende braucht Tarifverträge, auch bei Vestas“. Ein deutsches Tochterunternehmen des dänischen Windkraftanlagenbauers wird seit mehr als hundert Tagen bestreikt, weil die Gewerkschaft einen Tarifvertrag für das bisher tarifungebundene Unternehmen fordert.
Linke: Energiewende erfordert gute Arbeitsbedingungen
Dass eine Bundestagsdebatte zur Tarifauseinandersetzung in einem Unternehmen ungewöhnlich sei, darauf wies schon Auftaktredner Klaus Ernst (Die Linke) hin. Doch man werde mit der dringend nötigen Energiewende nur vorankommen, wenn in dieser Branche vernünftige Arbeitsbedingungen herrschen.
„Deshalb müssen wir hier als Parlament Hilfe leisten“, folgerte Ernst. Seine Fraktion fordere daher, dass bei öffentlichen Ausschreibungen nur Unternehmen mit Tarifverträgen zum Zuge kommen sollten und auch Subventionen nur an tarifgebundene Firmen gezahlt werden.
SPD: Stehen Streikenden zur Seite
Ohne auf diese Forderungen einzugehen, erklärte Jan Dieren (SPD) in Hinblick auf die Streikenden bei Vestas: „Wir stehen an ihrer Seite“. Ohne Windkraft werde es keinen Ausstieg aus Kohle und Gas geben. Zum erfolgreichen Ausbau und Betrieb brauche es aber, darin stimmte er mit Ernst überein, gute Arbeitsbedingungen. Beschäftigte mit Tarifvertag seien nachweislich zufriedener und produktiver.
Dierens Fraktionskollege Bengt Bergt (SPD) wies das Ansinnen von Vestas zurück, mit dem Betriebsrat statt mit der Gewerkschaft über Entlohnung und Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Nach dem Betriebsverfassungsrecht dürften Betriebsräte keine Tarifverträge abschließen, hob er hervor.
CDU/CSU: Bundestag der falsche Ort
Fast alle Redner wünschten den Beschäftigen, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, Erfolg. Mehrere verwiesen aber auch auf die Tarifautonomie, die, so Wilfried Oellers (CDU/CDU), „wesentlicher Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft“ sei.
Daher sei es „bedenklich“, wenn der Bundestag über eine konkrete Tarifauseinandersetzung diskutiert. „Dieses Format ist hier fehl am Platze“, stellte Oellers fest.
Grüne warnen vor Abwanderung von Fachkräften
Dem widersprach Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen). Um das Ziel beim Ausbau erneuerbarer Energie zu erreichen, müssten jeden Tag vier neue Windkraftanlagen ans Netz gehen.
Dazu passe nicht, dass 700 Beschäftigte im Bereich Service und Wartung bei Vestas nun schon seit Wochen streikten. Gelinge diesen aber ein Durchbruch, werde das auf die ganze Branche ausstrahlen. Andernfalls sei eine Abwanderung von Fachkräften in andere Branchen zu befürchten.
AfD: Windkraftbranche hoch defizitär
Norbert Kleinwächter (AfD) erklärte, er wünsche jedem Mitarbeiter in Deutschland gute Arbeitsbedingungen und Löhne. Ihre Findung müsse aber laut Grundgesetz „frei von staatlichen Eingriffen“ erfolgen, und damit sei auch der Bundestag gemeint.
Weiterhin wies Kleinwächter darauf hin, dass die Windkraftbranche „an sich hoch defizitär“ sei, und das trotz hoher Zuschüsse über die EEG-Umlage. „Ihre Energiewende ist purer Sozialismus“, hielt er den Regierungsfraktionen entgegen, und „Sozialismus führt immer in den Abstieg, in die absolute Armut“.
FDP: Es gilt auch negative Koalitionsfreiheit
Dass sich der Bundestag heraushalten solle und müsse, diese Ansicht vertrat auch Jens Beeck (FDP). „Diese Fortschrittskoalition“ habe sich zurecht die Stärkung der Tarifbindung zum Ziel gesetzt. Allerdings umfasse die in Deutschland geltende Koalitionsfreiheit, also das Recht, sich zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zusammenzuschließen, auch die negative Koalitionsfreiheit, also das Recht, sich nicht zusammenzuschließen.
Dies müsse man auch im Falle Vestas respektieren. Beeck gab zu bedenken, dass von fünf großen Windanlagenbauern in Deutschland nur einer tarifgebunden sei, und genau dieser eine stecke gerade in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund appellierte er an die Abgeordneten: „Vertrauen Sie doch auf die Mitarbeitenden vor Ort, eine Lösung zu finden, die für sie angemessen ist.“ (pst/23.06.2023)