Bundestag debattiert EU-Antwort auf das US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben sich am Freitag, 27. Januar 2023, mit den Auswirkungen des im vergangenen Jahr in den USA beschlossenen Gesetzespaket zur Reduktion der Inflation befasst. Dazu hatte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Eine europäische Antwort auf das U.S.-Gesetz zur Inflationsbekämpfung geben – Standort Europa stärken, transatlantische Partnerschaft ausbauen“ (20/5352) vorgelegt, den die Abgeordneten im Anschluss an die Beratung an den Wirtschaftsausschuss zur weiteren federführenden Beratung überwiesen.
Inflationsbekämpfungsgesetz der USA
Seitdem die USA das Inflationsbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht haben, befürchten die Regierungen in Europa Nachteile für europäische Unternehmen. Seit Monaten wird in Europa und in der EU darüber beraten, wie man dem US-Gesetz begegnen kann. Um den Streit zu schlichten, hatten US-Regierung und EU-Kommission vergangenen Herbst eine Taskforce eingerichtet. Erste Ergebnisse zu Subventionen für grüne Technologien liegen bereits vor. Nun gibt es offenbar weitere Bewegung auf beiden Seiten.
Bundeskanzler Olaf Scholz geht davon aus, dass der Konflikt um das amerikanische Klimaschutzprogramm in den nächsten Monaten beigelegt werde, sagte der SPD-Politiker am Sonntag, 22. Januar 2023, nach einer gemeinsamen Tagung der Kabinette Deutschlands und Frankreichs in Paris. Man sei sich mit Frankreich einig, dass die derzeitigen EU-Regeln für die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, die etwa neue Technologien entwickelten, viel zu bürokratisch seien und Entscheidungsprozesse darüber zu lange dauerten. Es gebe dazu aber ermutigende Äußerungen aus der EU-Kommission.
Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte, dass es der EU im Handelsstreit mit den USA darum gehe, Vereinbarungen und Ausnahmen zu erreichen, wie es sie auch für Kanada und Mexiko gebe.
Vier-Punkte-Plan als Antwort auf US-Subventionsprogramm
Beim nächsten EU-Gipfel Anfang Februar wird das US-Subventionsprogramm ebenfalls auf der Tagesordnung stehen. EU-Ratspräsident Charles Michel hat einen Vier-Punkte-Plan skizziert.
So sollen europäische Firmen einfacher staatliche Hilfen für Energieprogramme erhalten, das EU-Kurzarbeiterprogramm aus der Pandemie neu aufgelegt und die verbliebenen Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds schneller ausgezahlt und einfacher umgewidmet werden. Zudem unterstützt Michel den Vorschlag von Kommissionschefin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) für einen neuen Fonds zur Förderung von Industrieprojekten.
Union kritisiert „Zögern und Zaudern“ der Regierung
Vor diesem Hintergrund wirft die CDU/CSU-Fraktion der Bundesregierung „monatelange Untätigkeit“ vor und fordert in ihrem Antrag zum milliardenschweren US-Inflationsbekämpfungsgesetz eine „mit den europäischen Partnern abgestimmte Antwort“.
Patricia Lips (CDU/CSU) fasste diese Kritik in die Worte: „Sie schauen nur zu.“ Dabei sei in den USA eine „tiefgreifende Weichenstellung der Wirtschaft im Gang“, Deutschland drohe als Industriestandort den Anschluss zu verlieren. Die Bundesregierung müsse zusammen mit den USA und mit europäischen Partnern die nötige Transformation bei Klimaschutz und erneuerbarer Energie umsetzen. „Doch es drängt sich der Eindruck des Zögerns und Zauderns auf“, erklärte Lips.
SPD: Deutschland stimmt sich mit Partnern ab
Dem widersprach Markus Töns (SPD): Zwischen den USA und der EU gebe es längst Gespräche darüber, wie auf den Inflation Reduction Act (IRA) reagiert werden solle. „Wir stimmen uns gerade mit unseren Partnern ab, es gibt keine Konflikte“, so Töns.
Auch der Vorwurf, Deutschland gerate als Industriestandort ins Hintertreffen, ließ er nicht gelten. „Das Gegenteil ist der Fall, Deutschland ist in Europa das wirtschaftlich stärkste Land“, sagte der Sozialdemokrat. Seine Fraktion begrüße eine aktive Industriepolitik, wie es im IRA vorgesehen sei.
Grüne werfen Union „Angstmacherei“ vor
Felix Banaszak (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Unionsfraktion „Angstmacherei“ vor, er sehe die Pläne der USA, den Klimaschutz und den Ausbau der Elektromobilität zu stärken, als „Chance“. Was die USA nun beginnen wollten, das gebe es in Deutschland bereits in Teilen. Jedoch „brauchen wir eine aktivere Industriepolitik“, räumte Banaszak ein.
Es gelte aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, als beispielsweise „zugeschaut wurde, wie die Solarindustrie fast komplett von Deutschland nach China abgewandert ist“. Das dürfe sich bei der Wasserstoffindustrie nicht wiederholen.
FDP nennt IRA eine Chance für Deutschland
Dr. Lukas Köhler (FDP) schloss sich dieser Ansicht an. Der IRA sei eine Chance für Deutschland, vor allem das Tempo, mit dem in den USA die Transformation umgesetzt werde, müsse auch Vorbild für Europa und für Deutschland sein.
Der IRA solle als Auftakt einer neuen transatlantischen Zusammenarbeit verstanden werden, einen Handelskonflikt sehe er nicht.
AfD sieht Industriearbeitsplätze bedroht
Dr. Malte Kaufmann (AfD) warnte davor, dass in Deutschland Industriearbeitsplätze in Gefahr seien. „Alleine bei BASF sind 39.000 Stellen bedroht“, so Kaufmann.
Nicht nur in der Industrie, sondern auch im Mittelstand stünden Arbeitsplatzverlegungen in die USA und nach Asien an. Der Wirtschaftsstandort Deutschland drohe zu veröden.
Linke befürchtet „Abrutschen in Zweitklassigkeit“
Auch Alexander Ulrich (Die Linke) befürchtet, dass dem Industriestandort Deutschland ein „Abrutschen in die Zweitklassigkeit“ drohe.
Es mangele an einer aktiven Industriepolitik, während die USA mit dem IRA nicht nur gutdotierte Arbeitsplätze förderten, sondern die Mittelvergabe auch an gewerkschaftlich organisierte Firmen binde. „Wo ist so ein Ansatz bei uns?“, fragte Ulrich.
Antrag der CDU/CSU
In ihrem Antrag mahnt die Unionsfraktion dazu, „den Dialog mit den USA in der US-EU-Taskforce zum US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung und im EU-US-Handels- und Technologierat zu intensivieren, um die handelspolitischen Spannungen abzubauen und einen Subventionswettlauf zu verhindern“. Nachdem Anfang dieses Jahres das US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung in Kraft getreten sei und damit Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe in Klimaschutz, erneuerbare Energien und saubere Technologien bereitständen, drohe der „Investitionsstandort Europa“ ins Hintertreffen zu geraten, schreiben die Abgeordneten.
Der Erhalt und die Zukunftsfähigkeit von Arbeitsplätzen sowie die Innovation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft könnten nur mit massiven Investitionen und einer „klugen Infrastrukturpolitik“ gelingen. Eine klimaneutrale, souveräne europäische Wirtschaft lasse sich nicht herbeiregulieren, sondern „wir müssen sie herbeiinvestieren“, so der Antrag von CDU/CSU. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika habe das verstanden und vor allem mit steuerlichen Entlastungen Investitionsanreize gesetzt.
Die EU-Kommission wolle nun Anfang Februar einen neuen Industrieplan für Europa vorlegen. In die dazu bereits seit Monaten laufende Debatte habe sich die Bundesregierung erst „sehr spät und sehr zögerlich eingebracht“. Die monatelange Untätigkeit der Bundesregierung schwäche den Standort Deutschland und Europa. Nicht nur versäume sie weiterhin entschlossene Maßnahmen zur Sicherung des Energieangebots. Seit Monaten warteten Wirtschaft und „unsere europäischen Partner auf eine klare Position der Bundesregierung zum US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung“. Weder der Bundeskanzler noch der Bundeswirtschaftsminister hätten bislang eine überzeugende und umfassende Strategie für eine europäische Antwort vorgelegt, kritisiert die Unionsfraktion.
Energiekosten verschlechterten Wettbewerbssituation
Unabhängig vom US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung hätten die deutsche und die europäische Wirtschaft aufgrund explodierender Energiekosten bereits mit einer verschlechterten Wettbewerbssituation gegenüber Unternehmen in den USA zu kämpfen. Das US-Gesetz verschärfe dies noch. Diese Entwicklungen führten zu Spannungen im transatlantischen Verhältnis und lösten in der EU Sorgen über die Zukunft des Investitionsstandorts Europa aus. Konkret würden Wettbewerbsverzerrungen und die Verlagerung von europäischen Industrien in die USA befürchtet. „Dabei kommt es angesichts der angespannten Konjunkturlage der Weltwirtschaft aber wesentlich auf das konstruktive Zusammenwirken von Europa und den USA an“, schreiben die Parlamentarier.
Nur eine starke transatlantische Partnerschaft könne Chancen für eine klimaneutrale Zukunft der Weltwirtschaft nutzen und den Standort Europa international wettbewerbsfähig halten. „Und die USA selbst müssen ein Interesse an einem starken Europa haben. Europa und die USA sind Partner im Systemwettbewerb mit anderen Ländern“, heißt es in dem Papier weiter. Deshalb solle die Bundesregierung neben dem engen Austausch mit der US-EU-Taskforce zum US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung und dem EU-US-Handels- und Technologierat auch dafür sorgen, dass sich die EU-Kommission in Verhandlungen mit der US-Regierung „entschieden für eine Gleichbehandlung europäischer Unternehmen“ einsetze.
Die Handelspolitik der EU solle als „ein wesentliches geopolitisches Gestaltungsinstrument“ genutzt werden, um unter anderem neue Energie- und Rohstoffpartnerschaften zu schaffen. Neben der Ratifikation verhandelter Abkommen sei auch die Verhandlung neuer Abkommen unter anderem mit Indien und Asean sowie eine Vertiefung bestehender Partnerschaften erforderlich, „insbesondere mit den USA“, so der Antrag. Bestehende EU-Finanzmittel und -instrumente wie „NextGenerationEU“ und „REPowerEU“ müssten besser genutzt, die Einrichtung immer neuer Instrumente und -fonds vermieden und die Aufnahme neuer EU-Schulden kategorisch ausgeschlossen werden. (nki/27.01.2023)