Zeit:
Mittwoch, 21. Juni 2023,
14.45
bis 15.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Fachärzte befürworten weitergehende Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen mit Lipödem. Die chronische Fettverteilungsstörung, von der insbesondere Frauen betroffen sind, sei von Anfang an mit Schmerzen verbunden und eine schwere Belastung. Die sogenannte Liposuktion (Fettabsaugung) sollte daher schon in einem früheren Krankheitsstadium angewandt werden, forderten Sachverständige in einer Anhörung über Anträge der Unions- und der Linksfraktion. Die Experten äußerten sich am Mittwoch, 21. Juni 2023, in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen.
Oppositionsanträge
Die Abgeordneten der Fraktion Die Linke und der Unionsfraktion fordern in ihren Anträgen eine bessere Versorgung der Betroffenen. Die Linksfraktion schreibt in ihrem Antrag (20/6713), viele betroffene Frauen seien in ihrer Lebensqualität eingeschränkt und litten unter Schmerzen, Neigung zu Blutergüssen, Spannungs- und Schweregefühl der Arme und Beine sowie Bewegungseinschränkungen. Auch Folgeerkrankungen wie Depressionen, Essstörungen oder Schilddrüsenerkrankungen träten bei den Patientinnen auf. Seit Jahren werde die Fettabsaugung angewendet und seit 2019 bei Patienten mit Stadium III auch von der Krankenkasse übernommen. Die Abgeordneten fordern, bis zum Vorliegen von Ergebnissen aus einer Erprobungsstudie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) (LIPLEG-Studie) die Erstattungsfähigkeit der Liposuktion auch in den Stadien I und II sicherzustellen.
Auch die Union setzt in ihrem Antrag (20/7193) auf bessere Behandlungsmöglichkeiten für Lipödem-Betroffene. Die Abgeordneten fordern, die Liposuktion außerhalb der Erprobungsstudie des G-BA bei entsprechender Indikationsstellung (in der Regel zumindest für Patientinnen ab dem Krankheitsstadium II) zu Lasten der Krankenkassen zu ermöglichen.
Liposuktion als Therapieform
Nach Angaben des G-BA sehen die derzeitigen Regelungen vor, dass die Liposuktion befristet von den Krankenkassen für Patientinnen mit Lipödem in Stadium III erstattet wird. Der G-BA rechtfertigte die jetzige Regelung mit dem Mangel an ausreichenden Daten zum Nutzen und Schaden der Liposuktion sowie zur konservativen Therapie. Mit den Ergebnissen der LIPLEG-Studie könne der G-BA bis Mitte 2025 einen Beschluss für alle drei Erkrankungsstadien fassen. Zur Häufigkeit der Erkrankung lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Bei der Diagnose und Indikationsstellung sei künftig neben dem Body-Maß-Index (BMI) auch das Verhältnis Hüfte zu Taille (Hip-to-Waist) zu berücksichtigen.
Die Lipödem-Gesellschaft geht von knapp vier Millionen betroffenen Frauen aus, die in den Stadien I und II mangelhaft versorgt würden. Eine Umfrage unter mehr al 1.500 operierten Frauen habe den Nutzen der Liposuktion als Therapieform deutlich gemacht. Die damit verbundene Schmerzreduktion zeige eine positive Auswirkung auf die körperliche und psychische Gesundheit sowie eine Verbesserung der beruflichen Tätigkeit und eine Reduktion der Arbeitsunfähigkeit. Die Zahl von fast 97 Prozent zufriedenen Patientinnen belege die hohe Wirksamkeit der Liposuktion beim Lipödem. Allerdings hätten rund 77 Prozent der befragten Frauen die Behandlung selbst getragen, mehr als 50 Prozent hätten sich dafür verschuldet.
Systemversagen und Stigmatisierung
Claudia Effertz von der Lipödem-Gesellschaft sagte in der Anhörung, viele Frauen hätten Angst vor dem fortgeschrittenen Stadium III und ließen sich daher früh operieren. Sie verwies auf mögliche orthopädische Folgeerkrankungen mit eingeschränkter Bewegung. Die Kompressionstherapie sei insbesondere an heißen Tagen problematisch und koste viel Kraft.
Der Einzelsachverständige Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe) sprach von einem Systemversagen bei der Behandlung von betroffenen Frauen in den Stadien I und II. Das übliche Verfahren zur Leistungsgewährung funktioniere hier nicht. Seiner Ansicht nach wäre es hilfereich, wenn der Bundestag das Systemversagen feststellen würde.
Der Facharzt Maurizio Podda von der Hautklinik in Darmstadt erinnerte in der Anhörung an die Stigmatisierung der Patientinnen mit Lipödem. Die Krankheit seit immer schon als ästhetisches Problem wahrgenommen wurden. Auch die Fettabsaugung sei eher aus der ästhetischen als aus der therapeutischen Medizin bekannt. Dies habe dazu beigetragen, dass diese Methode lange Zeit nicht akzeptiert worden sei, obwohl die Liposuktion eine dauerhafte Verbesserung bringe.
Sachverständige betonen Vorteile der Operation
Nach Angaben des Gefäßchirurgen Michael Offermann ist die Problematik schon lange bekannt. Seit 20 Jahren operiere er das Lipödem mit medizinischer Indikation. Die Stadien I und II müssten möglichst sofort operiert werden, weil die Patientinnen dann noch zu heilen seien. Stadium III sei operativ viel aufwendiger. Die Operationskosten bezifferte er mit 4.000 bis 5.000 Euro. Wenn die Patientinnen früh genug kämen, bestehe eine gute Heilungschance.
Auch Tobias Hirsch, Spezialist für plastische Chirurgie, hob die Vorteile der Operation hervor, die zudem letztlich billiger sei als die konservative Therapie. Mit der Operation könne den Patientinnen deutlich effizienter und ursächlich geholfen werden. Es sei schwer nachvollziehbar, weshalb den Patientinnen dies vorenthalten werde. (pk/21.06.2023)