Bundestag debattiert Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts
Der Bundestag hat am Donnerstag, 2. März 2023, erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts (20/5664) beraten. Die Vorlage wurde nach rund 45-minütiger Aussprache zusammen mit einem Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Ausgleichsabgabe neu – Endlich mehr Menschen mit Behinderung in Arbeit bringen“ sowie mit einem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mehr Schritte hin zu einem inklusiven Arbeitsmarkt“ (20/5820) zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeit zu bringen, mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten und Menschen mit Schwerbehinderung zielgenauer zu unterstützen. Für beschäftigungspflichtige Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, soll bei der Ausgleichsabgabe eine „vierte Staffel“ eingeführt werden, um die Antriebsfunktion der Ausgleichsabgabe zu verstärken. Für die betreffenden Arbeitgeber soll die Ausgleichsabgabe erhöht werden.
Für kleinere Arbeitgeber mit weniger als 60 beziehungsweise weniger als 40 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen sollen wie bisher Sonderregelungen gelten, die geringere Beträge der Ausgleichsabgabe vorsehen. Die vierte Staffel soll zum 1. Januar 2024 eingeführt werden und wäre dann erstmals zum 31. März 2025 zu zahlen, wenn die Ausgleichsabgabe für 2024 fällig wird.
Wie es im Gesetzentwurf heißt, kann ein Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht derzeit zusätzlich zur Ausgleichsabgabe mit einem Bußgeld bis zu 10 000 Euro geahndet werden. Wenn die Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, künftig eine erhöhte Ausgleichsabgabe zahlen müssen, hält es die Regierung für nicht mehr angemessen, die Nichtbeschäftigung zusätzlich mit einem Bußgeld zu sanktionieren. Die Vorschrift soll deshalb aufgehoben werden.
Genehmigungsfiktion im Bewilligungsverfahren
Die in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung vorgesehene Möglichkeit, Mittel der Ausgleichsabgabe nachrangig auch für Einrichtungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben – vor allem für Werkstätten für behinderte Menschen zu verwenden – will die Regierung streichen. Vorhaben zur Förderung der Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen künftig auch dann aus dem Ausgleichsfonds gefördert werden können, wenn die Zielgruppe über keine anerkannte Schwerbehinderung verfügt, jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhält.
Um einen baldigen Abschluss des Bewilligungsverfahrens der Integrationsämter sicherzustellen, soll für Leistungen, auf die ein Anspruch besteht (Arbeitsassistenz und Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung), eine Genehmigungsfiktion nach Ablauf von sechs Wochen eingeführt werden.
Lohnkostenzuschuss nicht mehr gedeckelt
Laut Regierung ist nach aktueller Rechtslage beim Budget für Arbeit der vom Leistungsträger zu erstattende Lohnkostenzuschuss auf 40 Prozent der Bezugsgröße begrenzt. Durch die Abschaffung dieser Deckelung soll sichergestellt werden, dass auch nach Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro bundesweit der maximale Lohnkostenzuschuss gezahlt werden kann.
Inklusionsbetriebe sind nach Darstellung der Regierung Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, die wirtschaftlich agieren und sich wie andere Unternehmen am Markt behaupten müssen. Sie könnten deshalb nicht länger dazu verpflichtet werden, ihre eigenen Beschäftigten an andere Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu vermitteln. Die aus der Zeit temporär angelegter Integrationsprojekte stammende Formulierung will die Regierung daher streichen.
„Versorgungsmedizinische Begutachtung“
Um Betroffene als Experten in eigener Sache besser bei der Arbeit des „Ärztlichen Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin“ zu berücksichtigen, ist vorgesehen, diesen zu einem „Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung“ weiterzuentwickeln und im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu regeln. Künftig sollen die Verbände für Menschen mit Behinderungen, die Länder sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales je sieben Mitglieder benennen, darunter jeweils mindestens vier Ärztinnen oder Ärzte, die versorgungsmedizinisch oder wissenschaftlich besonders qualifiziert sind.
Daneben können und sollen laut Entwurf aber auch Sachverständige mit einer anderen Kompetenz (etwa aus der Sozial- oder Arbeitswissenschaft, der Teilhabeforschung oder der Disability Studies) benannt werden. Die Zusammensetzung des Beirates folge damit nicht mehr einem rein medizinisch orientierten Verständnis von Behinderung, sondern einem „teilhabeorientierten und ganzheitlichen Ansatz“.
Zuschüsse zu Beiträgen an Solidargemeinschaften
Wie es im Entwurf weiter heißt, bieten die teilweise seit Langem bestehenden Solidargemeinschaften ein alternatives Konzept der gemeinschaftlichen Absicherung in Krankheitsfällen an. Bislang sei eine Übernahme der Beiträge zur Solidargemeinschaft oder ein Zuschuss zu diesen Beiträgen im Fall der Hilfebedürftigkeit sowie bei Arbeitslosigkeit rechtlich nicht möglich gewesen.
Künftig sollen entsprechende Zuschusszahlungen sowie die Anerkennung als Bedarfe im Falle der Hilfebedürftigkeit oder die Übernahme der Beiträge beim Bezug von Arbeitslosengeld möglich sein, so die Regierung.
Absicherung im Krankheitsfall
Um die Absicherung im Krankheitsfall sicherzustellen, sollen die Solidargemeinschaften wie auch die privat krankenversicherten Bezieher von Grundsicherung entweder einen Beitragszuschuss nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Alternativ sollen ihre Aufwendungen für die Mitgliedschaft in einer Soldargemeinschaft als Bedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) berücksichtigt werden können.
Durch Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) will die Regierung im Wesentlichen die Begrenzung der Beitragshöhe für die private Krankenversicherung im Falle von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II oder SGB XII auf Solidargemeinschaften übertragen.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke fordert „mehr Schritte hin zu einem inklusiven Arbeitsmarkt“. In ihrem Antrag (20/5820) bezieht sich die Fraktion auf einen von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur „Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“. Dieser enthalte zwar einige Regelungen, „die Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt erwarten lassen“. Zu wichtigen Aspekten zur Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes enthalte der Gesetzentwurf allerdings keine ausreichenden Regelungen. So würden beispielsweise arbeitslose Menschen mit Behinderung „völlig vergessen“. In diesem Zusammenhang schlägt die Fraktion unter anderem spezielle Fördermaßnahmen insbesondere für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen vor.
Kritisch sehen die Abgeordneten unter anderem zudem, dass die bisher bestehenden drei Staffeln der Ausgleichsabgabe gar nicht erhöht werden sollen. „Dies ist angesichts der dauerhaft höheren Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend und verfehlt eine stärkere Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“, heißt es in dem Antrag. Die geplante Abschaffung der Bußgeldregelung sende ferner das „vollständig falsche Signal“ an Betriebe, die überhaupt keine Menschen mit Behinderung beschäftigen. Aus Sicht der Fraktion sollte der gegenläufige Weg eingeschlagen werden: Die Bußgeldregelung für Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht solle erhalten bleiben. Zudem dürfe die Ausgleichsabgabe nicht länger als Betriebsausgabe steuerlich absetzbar sein, fordern die Abgeordneten. (scr/vom/02.03.2023)