Multilateraler „Marshall-Plan“ für die Ukraine angenommen
Der Bundestag hat aus Anlass des 75. Jahrestages des Marshall-Plans für Westeuropa die bedeutende Leistung der USA für den Wiederaufbau des Kontinents gewürdigt. Zugleich setzt sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür ein, die Ukraine mit einem vergleichbaren Plan heute auf ihrem Weg zu einem demokratischen und rechtsstaatlichen Mitglied der Europäischen Union zu unterstützen. Einen entsprechenden Antrag (20/6192) der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP beschlossen diese am Freitag, 31. März 2023, mit ihrer Koalitionsmehrheit gegen das Votum der übrigen Fraktionen. Die Unionsfraktion, die sich mit einem eigenen Antrag (20/6180) für das gleiche Anliegen stark machte und darüber hinaus für das Ziel einer Freihandelszone zwischen den USA und der EU, scheiterte an der Ablehnung aller anderen Fraktion. Das 1947 vom damaligen US-Außenminister George C. Marshall präsentierte und am 3. April 1948 vom US-Kongress verabschiedete European Recovery Program war ein amerikanisches Wiederaufbauprogramm für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.
Grüne: Ideen des Marshallplans heute aktueller denn je
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass die USA vor 75 Jahren nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit Deutschland auch jenem Land die Hand reichte, das unermessliches Leid zu verantworten hatte. „Was für ein Kraftakt, was für eine Geste, was für ein Geschenk.“
Die Ideen des Marshallplans seien heute aktueller denn je und zeige sich nirgendwo so deutlich, wie in der Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Dies sei nicht nur historische Verantwortung, sondern „auch mit Blick auf den Schutz unserer eigenen Sicherheit und der eigenen Freiheit“ im eigenen Interesse, sagte Brugger.
CDU/CSU: Ein Grundstein der europäischen Integration
Johann David Wadephul (CDU/CSU) sagte, dass die USA damals den Grundstein gelegt hätten für den Wiederaufbau und die Versöhnung des „eben noch bis auf den Tod verfeindeten und in Trümmern liegenden Europas“ und damit auch für die spätere europäische Integration.
Für die CDU/CSU sei immer klar gewesen, dass „wir das zurückzahlen müssen“ als gute Europäer und verlässliche Partner im Nato-Bündnis. Die Bündnisverpflichtung, zwei Prozent des BIP für Verteidigung aufzuwenden, sei insofern heute nicht einfach eine schlichte Zahl, sondern ein „Zurückzahlen von Verantwortung“.
SPD: Deutsche Überheblichkeit ist völlig unangebracht
Ralf Stegner (SPD) sprach davon, „welch großes Glück unser Land 1948 hatte“. Ohne die großzügige und weitsichtige US-Unterstützung wäre es unmöglich gewesen „aus den selbst verschuldeten Trümmern das demokratische Deutschland zu errichten, in dem wir heute leben“.
Stegner wandte sich gegen Antiamerikanismus von links und rechts. In den schwersten Krisen, von der Großen Depression und der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung bis zum Vietnamkrieg sei anders als in Deutschland in den USA nie die Demokratie beseitigt worden. „Deutsche Überheblichkeit ist da völlig unangebracht.“
AfD: Interessen aller Kriegsparteien berücksichtigen
Enrico Komning (AfD) warf den Ampelfraktionen und der Union vor, das Jubiläum zu missbrauchen, um mit einem Bogenschlag zur Unterstützung der Ukraine eine Kriegsdebatte anzuheizen.
„Sie pervertieren damit die Grundidee des Marshallplans, der auf Aussöhnung mit dem Kriegsgegner und nicht auf Eskalation gerichtet war.“ Die Lehre des Versailler Vertrags sei, dass ein dauerhafter Frieden die Interessen aller Kriegsparteien berücksichtigen müsse.
FDP für engere Abstimmung zwischen EU und USA
Michael Georg Link (FDP), bezeichnete die Beziehungen zu den USA als „eine Freundschaft, die wir mehr als je zuvor brauchen“. Der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit warb mit Blick auf Verstimmungen zum US-Inflation Reduction Act für eine noch engere Abstimmung unter den Partnern.
Europäer und Amerikaner sollten mit einem „transatlantischen Reflex“ bei ihren jeweiligen Gesetzgebungen immer auch die Auswirkungen für die Partner auf der anderen Seite des Atlantiks mitbedenken.
Linke fordert den Abzug der US-Truppen
Sevim Dagdelen (Die Linke) würdigte den bedeutenden Beitrag der Vereinigten Staaten beim Sieg über den Nationalsozialismus und bei der Befreiung Deutschlands.
Freundschaft zu den USA heute müsse für Deutschland aber auch bedeuten, die „extreme Unterwürfigkeit“ gegen eine von Krieg und Völkerrechtbrüchen geprägte US-Außenpolitik aufzugeben und für den Abzug der US-Truppen und der US-Atomwaffen aus Deutschland einzutreten.
Antrag der Koalitionsfraktionen
Aus Anlass des 75. Jahrestages des US-amerikanischen Marshall-Plans für Westeuropa fordern die Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den europäischen, transatlantischen und internationalen Partnern die Planungen für einen ähnlichen Plan für die Ukraine im Rahmen der „Multilateralen Plattform zur Geberkoordinierung für die Ukraine“ weiterzuführen. Ziel sei es, die Ukraine beim Wiederaufbau und auf ihrem Weg zu einem demokratischen, rechtsstaatlichen, nachhaltigen und modernen Staat als Mitglied der Europäischen Union zu unterstützen, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (20/6192).
Zugleich betonen die Fraktionen ihre tiefe Dankbarkeit „für die historische Bereitschaft der USA, den Wiederaufbau von Westeuropa im Allgemeinen und Deutschland als Kriegsgegner im Besonderen in entscheidendem Maße anzustoßen, um das von Leid, Hunger und Not gezeichnete Europa - in den Worten von George C. Marshall - 'vor dem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verfall' zu bewahren“. Heute solle die Bundesregierung das transatlantische Verhältnis bilateral sowie zwischen der USA und der Europäischen Union weiter vertiefen und zu einer echten „partnership in leadership“ ausbauen, „die sich miteinander abstimmt, zusammen agiert, gemeinsame Interessen verfolgt und Lasten teilt“.
Antrag der Union
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag auf, gemeinsam mit den Verbündeten und Partnern einen Marshall-Plan für die Ukraine aufzulegen, der sich am Erfolgsmodell des US-amerikanischen Marshall-Plans für Westeuropa orientiert. Er solle das Land beim Wiederaufbau der Ukraine unterstützen und Hilfsmaßnahmen mit Anreizen für dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit und Friedenssicherung verbinden, schreiben die Abgeordneten. Die Ukraine solle mit aller Kraft dabei unterstützt werden, sich gegenüber der russischen Aggression zur Wehr zu setzen, betonen die Antragsteller. Zugesagte Waffenlieferungen sollten schnellstmöglich in der Ukraine ankommen, indem vorhandene Fähigkeitslücken der Ukraine geschlossen und die bestehenden Sanktionen gegenüber Russland aufrechterhalten, durchgesetzt und gegebenenfalls verschärft werden. Kriegsverbrechen gelte es zu dokumentieren und konsequent zu verfolgen.
Mit Blick auf die USA heißt es im Antrag, die transatlantische Partnerschaft solle ökonomisch weiterentwickelt und eine Subventions- und Protektionsmus-Spirale verhindert werden. „Unser Ziel bleibt eine Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union“, schreiben die Abgeordneten. Sie wollen die historisch gewachsene Freundschaft und Partnerschaft mit den USA auch im zivilgesellschaftlichen Bereich fortentwickeln und bestehende Initiativen stärker fördern. (ahe/joh/31.03.2023)