Streit um den richtigen Kurs in der Migrationspolitik
Die Fraktionen im Bundestag haben Donnerstag, 16. März 2023, ihre grundsätzliche Haltung in der Asyl- und Einwanderungspolitik beschrieben und die jeweils unterschiedlichen Akzente hervorgehoben. Anlass war die erste Lesung eines Gesetzentwurfs der AfD-Fraktion (20/5995), der darauf abzielt, „Fehlanreize“ im Asylverfahren zu beseitigen und „klar“ zwischen Asyl- und Erwerbsmigration zu trennen. Der Bundestag überwies die Vorlage im Anschluss zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat.
AfD fordert „innenpolitische Kehrtwende“
Für die AfD-Fraktion forderte ihr innenpolitischer Sprecher Dr. Gottfried Curio eine „innenpolitische Kehrtwende“, eine „realistische Migrationspolitik“, wozu der Gesetzentwurf „erste Schritte“ beschreibe. Die AfD verlangt unter anderem, Duldungstatbestände im Aufenthaltsgesetz ersatzlos zu streichen, die Bezugsdauer der reduzierten Sachleistungen für Asylbewerber von 18 auf 24 Monate zu verlängern, das Ausweichen auf Geldleistungen auszuschließen und „Lügen“ im Asylverfahren unter Strafe zu stellen. Streichen will sie auch die Möglichkeit, mit Duldungsstatus nach sechs Monaten eine Beschäftigung aufzunehmen.
Über 100.000 Erstantragsteller seien unerkannt in die EU eingewandert, zwei Drittel aller geplanten Abschiebungen seien 2022 gescheitert. Mit der AfD werde es das nicht mehr geben. Der Unionsfraktion bot Curio das Aushandeln einer „konservativen Wende“ an, Deutschland brauche keine fünfte linke Partei neben den Ampelparteien und der Linken. „Anbiederung führt nie zu Liebe“, entgegnete darauf der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor.
SPD: Arbeitsverbote für Migranten abschaffen
Helge Lindh (SPD) warf der AfD Rassismus vor, Ihr Gesetzentwurf sei ein Anschlag auf jede Form von Logik und gesundem Menschenverstand und ein Angriff auf den Patriotismus. Er sei aber auch ein Beschaffungsprogramm für illegale Beschäftigung und für den Schwarzmarkt. Die AfD wolle „anständige, arbeitende Menschen“ abschieben. Deutschland habe trotz Corona zwei Flüchtlingskrisen bewältigt, worauf man stolz sein könne. Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) betonte, die von der AfD angemahnte Trennung von Asyl- und Erwerbsmigration gebe es bereits. Wer hier jahrelang zum Wohlstand beitrage, sollte seiner Meinung nach auch dauerhaft
hierbleiben können.
Gülistan Yüksel (SPD) fügte hinzu, in Deutschland fehlten Arbeitskräfte im Handwerk, in der Gastronomie und in der Pflege. Die Koalition wolle daher Arbeitsverbote für in Deutschland lebende Migranten abschaffen und Deutschland zu einem modernen und attraktiven Einwanderungsland machen. Rasha Nasr (SPD) sieht die Koalition auf der Seite der Wirtschaft und der Steuerzahler, indem sie ermutige statt bestrafe: „Wer bei uns einen Neuanfang wagen will, der wird von uns eine Chance bekommen.“
CDU/CSU wirft Regierung Tatenlosigkeit vor
Aus Sicht von Detlef Seif (CDU/CSU) braucht Deutschland eine neue Willkommenskultur. In den Verwaltungen müssten „Flaschenhälse“ beseitigt werden. Von über 40.000 Anträgen könnten nur 20.000 bearbeitet werden. Der CDU-Abgeordnete schlug daher die Einrichtung einer Bundesagentur für Einwanderung vor. An Innenministerin Faeser gerichtet sagte Seif, die Länder brauchten Wertschätzung und Unterstützung, etwa bei der Frage der Unterbringung von Geflüchteten, und „kein Wegducken“.
Der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann sagte, so viel Hetze wie von Curio vorgetragen dürfte im Bundestag keinen Platz haben. Andererseits sei der Migrationsgipfel der Bundesregierung sei ein „Manifest der Taten- und Ergebnislosigkeit“ gewesen. Deutschland sei ein „Geisterfahrer“ in Europa, weil alle anderen Länder die Migration stärker regulierten, um das Sterben im Mittelmeer zu verhindern. Es müsse darum gehen, so Hoffmann, möglichst wenig Anreize zu setzen, auf Fluchtrouten durch die Sahara und über das Mittelmeer zu gehen.
Grüne: Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung verbessern
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) stellte fest, dass der AfD-Entwurf keinen Beitrag zu einer an Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitik leiste, vielmehr sei er ein Ausdruck „dumpfer Ressentiments“. 200.000 lebten als abgelehnte Asylbewerber mit einer „prekären Duldung“ hier. Die Duldungsgründe seien vielfältig, etwa bei einer begonnenen Ausbildung oder weil eine Abschiebung ins Herkunftsland nicht möglich sei. Mehr als 75 Prozent seien langjährig geduldet. Die Koalition wolle die Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung verbessern, sagte Polat. Damit leiste man einen Beitrag zur Arbeitskräftesicherung und fördere den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Marcel Emmerich (Bündnis 90/Die Grünen) hob auf die humanitäre Verantwortung ab, man schütze Menschen, die vor Kriegen fliehen. Es dürfe nicht sein, dass Geduldete nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Bis 2030 fehlten in Deutschland bis zu fünf Millionen Menschen. Für Julian Pahlke von den Grünen ist Deutschland längst ein Einwanderungsland. Die Union rief er dazu auf, eine „wirksame Brandmauer gegen Rechts“ zu errichten.
FDP befürwortet neue Migrationsabkommen
Stephan Thomae (FDP) sah den eigentlichen Fehlanreiz darin, dass Menschen, die „eigentlich arbeiten könnten“, in der Wüste und auf dem Meer ihr Leben aufs Spiel setzen müssten. Das müsse geändert werden, der Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt müsse unkomplizierter werden. Das Problem seien nicht die Fehlanreize, sondern die Schlepper und Schleuser. „Wir müssen das Heft des Handelns zurückgewinnen“, sagte Thomae und sprach sich für neue Migrationsabkommen aus. Diese Abkommen müssten für beide Seiten attraktiv sein.
Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) hielt der AfD vor, sie schüre Angst und Misstrauen, was zutiefst verantwortungslos und unpatriotisch sei. Gebraucht werde eine Trendwende hin zu einem modernen Einwanderungsland und kein Zurück in das „Abschottungsreich“, von dem die AfD träume. Die Koalition wolle die „klügsten Köpfe und fleißigsten Hände“ holen.
Linke für menschenrechtsbasiertes Aufnahmesystem
Clara Bünger (Die Linke) sprach ebenfalls von „rassistischen Ressentiments“ der AfD, Menschen in Not seien ihr egal. Niemand verlasse seine Heimat ohne Grund. Die „Hetze“ der AfD sei mitschuld, dass die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete wieder steige.
Die Union sei sich nicht zu schade, in die gleiche Richtung zu argumentieren, sagte Bünger. Momentan habe das Recht auf Asyl „einen schweren Stand“. Gebraucht werde ein menschenrechtsbasiertes Aufnahmesystem. (vom/16.03.2023)
Gesetzentwurf der AfD
Wie die Fraktion in ihrem Antrag schreibt, sollen Duldungstatbestände im Aufenthaltsgesetz ersatzlos gestrichen werden, weil sie trotz Ausreisepflicht die Aufnahme einer Beschäftigung oder eine Ausbildung ermöglichten. Damit würde zum einen der „Fehlanreiz“ beseitigt, die Voraussetzungen der regulären Erwerbsmigration zu umgehen und „unter Vortäuschung eines Asylgrundes“ Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. Derzeit werde auch die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise nach abgelehntem Asylantrag geschwächt, weil noch auf ein Bleiberecht mittels Ausbildung oder Beschäftigung spekuliert werden könne.
Der Gesetzentwurf behebt nach Darstellung der Fraktion weitere „Fehlanreize“, etwa sich auch ohne Fluchtgrund oder Zuständigkeit anderer EU-Mitgliedstaaten in das deutsche Asylverfahren zu begeben. Das betreffe Art und Umfang der während des Asylverfahrens gewährten Leistungen sowie die Erlaubnis, eine Beschäftigung aufzunehmen. Vorsätzliche Falschangaben im Asylverfahren will die AfD auch strafrechtlich sanktionieren und sicherstellen, dass bereits aufenthaltsberechtigte Migranten in den Arbeitsmarkt integriert werden.
AfD für Freiheitsstrafe bei unrichtigen Angaben
Darüber hinaus schlägt sie vor, die Bezugsdauer der reduzierten und vorrangig als Sachleistungen zu erbringenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 18 auf 24 Monate zu verlängern. Das „Ausweichen auf Geldleistungen“ solle künftig rechtssicher ausgeschlossen werden. Zudem will die Fraktion in das Asylgesetz eine Regelung aufnehmen, wonach mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer als Antragsteller im Asylverfahren vor dem Bundesamt oder im gerichtlichen Verfahren unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um seine Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung internationalen Schutzes oder die Verhängung eines Abschiebeverbotes zu ermöglichen.
Die Fraktion plädiert ebenso dafür, die zulässige Dauer eines Beschäftigungsverbots während des Asylverfahrens mit neun Monaten auszuschöpfen, um den „Anreiz“ zu reduzieren, ein missbräuchliches Asylverfahren mit dem Ziel einer baldigen Arbeitsaufnahme in Deutschland zu betreiben. Die Möglichkeit, mit Duldungsstatus nach sechs Monaten eine Beschäftigung aufzunehmen, will die Fraktion streichen, da diese Option die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise unterminiere.
Die Fraktion begründet ihren Entwurf mit der „weit überproportionalen Belastung Deutschlands mit Asylzuwanderung“, für die „Fehlanreize für irreguläre Migration“ im deutschen Asylrecht und in der deutschen Asylpraxis mitursächlich seien. Diese stünden in immer schärferem Kontrast zur „zusehends restriktiven Asylpolitik fast aller anderen europäischen Staaten“. (vom/16.03.2023)