Zeit:
Mittwoch, 1. März 2023,
11
bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
Die Pläne der EU-Kommission zur Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen (IED) stößt auf ein geteiltes Echo der Experten. In einer Anhörung des Umweltausschusses am Mittwoch, 1. März 2023, deren Grundlage ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion für eine Stellungnahme des Bundestags zur der geplanten Novelle war (20/3948), kritisierten Vertreter aus Wirtschaft und Industrie unter anderem das Vorhaben, Vorschriften für den Ausstoß von Schadstoffen zu verschärfen deutlich: Die Kommissionsvorschläge gefährdeten die Produktion in Deutschland, warnte etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Vertreter von Umweltrechtsorganisationen pochten hingegen auf die Ansetzung strengerer Grenzwerte. Bislang hätten Behörden in Deutschland und der EU nur die schwächsten Anforderungen an Anlagenbetreiber gestellt.
Hauptverantwortung bei Luftschadstoffen
Bellinda Bartolucci von der Umweltrechtsorganisation Client Earth bezeichnete die IED als „das zentrale Regelwerk“ um EU-Mitgliedstaaten und Betreibern der „größten und umweltschädlichen“ Industrien die nötigen Instrumente zur Erreichung der europäischen Umwelt- und Klimaziele an die Hand zu geben. Dafür allerdings müsse die Richtlinie auch entsprechend gestaltet sein, mahnte die Expertin. Anders als bisher sollten zukünftig die „strengstmöglichen Grenzwerte“ angewendet werden. Klimastandards dürften nicht länger in der IED ignoriert werden. Zudem müsse eine effektive Umsetzung gewährleistet werden: „Es braucht klare Befugnisse für Behörden“, forderte Bartolucci.
Auch Christian Schaible vom European Environmental Buraeu drängte zu einer effektiveren Umsetzung nach dem Stand der „besten verfügbaren Technik“. Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten hätten das bisher versäumt und sich stattdessen auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner, sprich den rechtlich verpflichtenden Grenzwert“ beschränkt. „Es macht jedoch einen wesentlichen Unterschied in der Schadstofffreisetzung, wenn ein Grenzwert doppelt, siebenfach oder 40-fach höher festgelegt wird“, hob Schaible hervor. Deutschland stehe als größtes Industrieland in der EU und Hauptverursacher von Luftschadstoffen in einer besonderen Handlungspflicht.
Deutschland nicht mehr Vorreiter
Dies sah Christian Tebert vom Ökopol Institut für Ökologie und Politik ähnlich: Er erinnerte in seiner Stellungnahme daran, dass Deutschland anfangs Vorreiter im Umweltschutz gewesen sei, diese Vorreiterrolle aber weitgehend verloren habe. In der Praxis würden nur noch die obersten Werte der besten verfügbaren Technik, also Mindestanforderungen, umgesetzt, monierte er.
Frederik Moch vom Deutschen Gewerkschaftsbund hingegen kritisierte, die EU-Kommission lasse bei der Novellierung der IED die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg außer Acht, von denen viele Unternehmen „existenzbedrohend“ betroffen seien. Der Sachverständige äußerte die Befürchtung, dass die geplante Revision zu noch höheren Anforderungen für die Anlagenbetreiber und in der Folge zu noch längeren Genehmigungsverfahren führen werde – das widerspreche jedoch dem Ziel der Planungsbeschleunigung.
Ansätze im Koalitionsvertrag
Hauke Dierks von der Deutschen Industrie- und Handelskammer teilte diese Sorge und riet den Abgeordneten dazu, nicht dem Vorschlag der EU-Kommission zu folgen und sich besser an den „vielen guten Ansätzen im Koalitionsvertrag“ zu orientieren, die ihren Niederschlag unter anderem im LNG-Beschleunigungsgesetz oder im Wind-an-Land-Gesetz gefunden hätten.
Ähnlich äußerten sich auch andere Wirtschaftsvertreter: Annette Giersch vom BDI warnte vor einem „gewaltigen Genehmigungsmarathon“, um die europäischen Klimaziele zu erreichen. Der IED-Vorschlag sei „kontraproduktiv“, gefährde die Genehmigungsfähigkeit der Industrieanlagen und damit die gesamte Industrieproduktion in Deutschland. Für eine Änderung der IED bestehe keine Notwendigkeit, so die BDI-Vertreterin in ihrer Stellungnahme.
Puya Raad von der Thyssenkrupp Steel Europe unterstrich, dass sein Unternehmen mit allein 50 Anlagen und „vielen tausend gut bezahlten Arbeitsplätzen“ in Deutschland, vor einer „beispiellosen Transformation“ hin zu einer klimaneutralen Produktion stehe. Große Teile der Anlagen müssten in den kommenden Jahren erneuert und umgebaut werden. Schon jetzt seien Genehmigungsverfahren komplex und langwierig – die IED-Novelle werde diese Situation noch verschlechtern.
Ausstoß von Ammoniak oder Methan
Vor Standortnachteilen warnte Frederik Benjamin Wiechmann vom Verband der Chemischen Industrie: Die IED-Novelle „baue neue und teils unüberwindbare Hürden“ für die Genehmigung und den Betrieb von Chemieanlagen auf. Anforderungen an die heimische Industrieproduktion dürften jedoch nicht strenger sein als die an Importeure.
Der Einzelsachverständige Achim Bernhard Rietmann, selbst Inhaber eines mittelständischen landwirtschaftlichen Betriebs, wandte sich gegen die Ausweitung der Gültigkeit der IED auf weitere landwirtschaftliche Betriebe. Die „drastische Senkung“ der Größen-Untergrenze werde für die betroffenen Betriebe untragbare Folgen haben: Schon bei „500 Mastschweinen, 150 Rindern oder 10.000 Legehennen“ müssten die Landwirte in die Nachrüstung investieren, um den Ausstoß von Schadstoffen wie Ammoniak oder Methan zu reduzieren. Das bedeute nicht nur unverhältnismäßige bauliche Probleme, sondern laufe auch dem Ziel des Tierwohls entgegen, gab Rietmann zu bedenken. Freiluftställe etwa seien mit den Filterauflagen der IED-Novelle nicht vereinbar.
Antrag der Union
Die CDU/CSU-Fraktion will zusätzliche Belastungen von Unternehmen im Zusammenhang mit den im Rahmen des Europäischen Green Deals geplanten Änderungen an der Industrie-Emissions-Richtlinie (IED) sowie der Abfalldeponien-Richtlinie vermeiden. Die Bundesregierung solle bei den Verhandlungen darüber sicherstellen, dass Unternehmen in der aktuellen Energiekrise nicht durch die neuen Regelungen „unverhältnismäßig stark belastet“ werden, schreiben die Abgeordneten in ihrem Antrag. Finanzielle und personelle Belastungen der Unternehmen durch die geplante Änderung der IED-Richtlinie müssten minimiert und „Doppelregelungen“ durch die verpflichtende Einführung von Umweltmanagementsystemen umgangen werden, heißt es dort.
Weitere Forderungen der Abgeordneten betreffen schnelle und bürokratiearme Genehmigungsverfahren, stärkere Mitsprache der Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen sowie einen transparenteren und effizienteren „Sevilla-Prozess“. In diesem werden europaweit einheitliche Anforderungen an die Emissionsminderung für industrielle Anlagen erarbeitet. Auch für eine Abschaffung der Umweltleistungsgrenzwerte etwa zu Verbrauchswerten, Ressourceneffizienz und Abfallmengen solle sich die Bundesregierung einsetzen, verlangt die Union. Ziel müsse sein, Wettbewerbsverzerrungen und Produktionsverlagerungen ins Nicht-EU-Ausland zu vermeiden. (sas/hau/01.03.2023)