Parlament

Christian Petry: Die EU muss in Krisenlagen abgestimmt handeln

Christian Petry (SPD) spricht am Rednerpult im Plenarsaal.

Der SPD-Abgeordnete Christian Petry während einer Rede im Plenum des Bundestages. (© DBT/Thomas Trutschel)

Mit abgestimmtem Handeln, anstelle nationaler Alleingänge, muss die Europäische Union großen Krisenlagen wie der Energieknappheit, der Teuerung, der Pandemie oder dem Klimawandel begegnen, sagt Christian Petry (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der Europäischen Union (SWKS), deren Mitglieder sich am 27. und 28. Februar 2023 in Brüssel zu ihrer Frühjahrstagung trafen. Die Herausforderungen erfordern aber auch neue Regeln und Instrumente, so Petry, wozu eine „dauerhafte Finanzierungsfaszilität“ zählen könnte. Das Interview im Wortlaut:

Herr Petry, wie viel Schrecken verbreitete das „I-Wort“ noch beim diesjährigen Frühjahrstreffen?

Natürlich waren die Fragen rund um die Inflation in Europa ein dominierendes Thema bei dieser SWKS-Konferenz. Im Januar 2023 ist die jährliche Inflationsrate auf 8,5 Prozent gesunken, nachdem sie im Dezember noch bei 9,2 Prozent stand. Im Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern sind vor allem die unterschiedlichen jährlichen Inflationsraten aufgefallen – während die Inflationsraten beispielsweise in Spanien oder Luxemburg im Vergleich niedrig sind, ca. 5,8 Prozent, sind die Länder im Baltikum mit Werten bis zu 21,6 Prozent besonders betroffen.

Was kann die EU tun?

Wichtig ist, dass wir die Entwicklungen auf europäischer Ebene weiterhin mit entsprechenden Maßnahmen wie der Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise oder beispielsweise im Energiesektor auch durch die Ermöglichung der gemeinsamen Beschaffung von Gas begleiten.

Wie kommen wir am besten aus dem Krisenmodus, was für Vorschläge machen die Parlamentarier, welche Themen haben Sie diskutiert?

Der völkerrechtswidrige Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine, die damit einhergehende Energiekrise aber auch die Covid-Pandemie und der Umgang mit dem Klimawandel gerade mit Blick auf eine klimaneutrale Wirtschaft sind enorme Herausforderungen vor denen wir in der EU stehen. Wichtig sind aus Sicht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier vor allem ein abgestimmtes Krisenmanagement und keine nationalen Alleingänge – dies wurde von fast allen Seiten nachdrücklich betont.

Um auf Krisen zu reagieren, mobilisieren die EU und ihre Mitgliedstaaten beträchtliche finanzielle Mittel, nehmen Kredite auf, um die Volkswirtschaften zu stabilisieren, eine steigende Verschuldung ist die Folge. Ist das bestehende Regelwerk dazu ebenfalls krisenfest genug?

Die EU-Kommission hat im November 2022 Vorschläge zur Reform der Europäischen Fiskalregeln vorgelegt. Damit reagierte sie auf gravierende Probleme des aktuell gültigen Regelwerkes. Im Grundsatz brauchen wir ein vereinfachtes, flexibleres und gleichzeitig verbindlicheres Rahmenwerk für die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung. Das heißt, eine an der Wirtschaftskraft orientierte Ausgabenregel, die mit einheitlich greifenden Korrekturmechanismen kombiniert wird, sollten einzelne Mitgliedstaaten gemeinsame Zielvorgaben verfehlen. Um die künftigen Regeln verbindlicher und attraktiver zu machen, könnten meiner Meinung nach außerdem die notwendigen Reformen und fiskalischen Anpassungen mit Anreizen durch einen europäischen Investitionsfonds verbunden werden, der nach 2026 nahtlos an den EU-Wiederaufbaufonds anknüpft.

Sie wollen den für die Jahre 2021 bis 2023 gedachten Wiederaufbaufonds verstetigen?

Es kann beispielsweise darüber diskutiert werden, ob es einer dauerhaften Finanzierungsfaszilität bedarf, denn hiermit kann es gelingen, die notwendige Steigerung öffentlicher Investitionen in europäische Schlüsselbereiche zu gewährleisten und aktuelle Herausforderungen im Bereich Klima, Energie und Digitalisierung solidarisch zu meistern. Gleichzeitig muss dafür auch die Einnahmenseite durch stärker koordinierte Steuerpolitik und neue europäische Eigenmittel sowohl national als auch europäisch gestärkt werden.

Welche Antwort hat die EU auf das Subventionsprogramm „Inflation Reduction Act“ der USA?

Seitdem der Inflation Reduction Act im Sommer 2022 in den USA verabschiedet wurde, war er natürlich auch ein zentrales Thema in der wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland und der EU. Am 1. Februar 2023 wurde vonseiten der Kommission der Green Deal Industrial Plan vorgelegt, der unter anderem neben Verbesserungen im regulatorischen Umfeld auch eine Anpassung der Beihilferegeln und damit zusammenhängend auch die Bereitstellung finanzieller Mittel seitens der EU (u.a. aus den Programmen REPowerEU, InvestEU, dem Innovationsfonds sowie den Kohäsionsmitteln) vorsieht.

Der europäische Green Deal ist also ein ähnlich umfassend ausgestattetes Programm wie der Inflation Reduction Act?

Wie hoch das Gesamtvolumen der mobilisierten Mittel sein wird, steht gegenwärtig noch nicht endgültig fest, wird aber in der Größenordnung vergleichbar mit dem Gesamtvolumen des Inflation Reduction Act sein. Wie auch Bundeskanzler Olaf Scholz schon betonte, sind die im Green Deal Industrial Plan vorgesehenen Maßnahmen gute Schritte in die richtige Richtung. Für mich steht außerdem fest, dass auch kontinuierlich dem breiteren geopolitischen Bild und damit unter anderem der Rolle Chinas seitens der EU Rechnung getragen werden muss. Eine starke, solidarische und zukunftsgerichtete Industriestrategie Europas liegt schließlich im elementaren Interesse Deutschlands. 

(ll/06.03.2023)

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