Kontroverse Debatte über Infektionswelle und Kinderheilkunde
In einer von gegenseitigen Vorwürfen geprägten Debatte haben Regierung und Opposition über die aktuelle Infektionswelle in Kinderkliniken und Kinderarztpraxen beraten. Redner aller Fraktionen machten dabei am Donnerstag, 15. Dezember 2022, deutlich, dass neben aktuellen Problemlösungen die Versorgung der Kinder auch perspektivisch verbessert werden muss, um in Krisenlagen handlungsfähig zu bleiben.
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) kündigte in der Aktuellen Stunde konkrete Reformen an, um die pädiatrische Versorgung schnell und wirksam zu stärken. Redner der Opposition kritisierten in scharfer Form die teilweise prekäre Versorgungslage für kranke Kinder.
Linke monieren „kaputtgespartes Gesundheitssystem“
Ates Gürpinar (Die Linke) sprach von einem „kaputtgesparten Gesundheitssystem“. Es müsse sofort gehandelt werden. Er verwies auf eine Umfrage, wonach etliche Krankenhäuser bereits Kinder abweisen mussten. Von 110 befragten Kliniken hätten Ende November 43 schon kein freies Bett mehr gehabt, inzwischen sei die Lage schlimmer. Kinder seien zum Teil im Flur mit Sauerstoff versorgt worden.
Gürpinar sagte, die Überlastung der Kinderkliniken sei nicht neu. In den vergangenen 30 Jahren sei die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben worden, wobei mit der Versorgung von Kindern kaum Profit zu erwirtschaften sei. Die Zahl der Beschäftigten sei in der Folge gesunken. So könne jede neue Krankheitswelle leicht zum Kollaps führen. Die Beschäftigten in Kliniken müssten das politische Versagen mit Mehrarbeit ausbaden. Er forderte ein Wiederaufbauprogramm für die Kinderheilkunde und Anreize für Beschäftigte, in die Versorgung zurückkommen, um sich um die Kinder zu kümmern.
AfD: Es gab Hetze gegen Kinder
Die AfD-Fraktion stellte einen Zusammenhang her zwischen der aktuellen Infektionswelle und der Coronapolitik der vergangenen Jahre. Martin Sichert (AfD) sagte, in der Coronakrise sei Stimmung gegen Kinder gemacht worden, teils habe es Hass und Hetze gegen Kinder gegeben, von denen angeblich ein besonderes Infektionsrisiko ausgegangen sei.
Heute seien die Intensivstationen der Kinderkliniken randvoll, weil den Kindern durch das Maskentragen die Immunisierung fehle. Kinder müssten Infekte durchmachen, um Immunität zu entwickeln und dürften nie wieder zum Masken tragen genötigt werden. Sichert forderte darüber hinaus, die Krankenhauslandschaft zu stärken, statt Kliniken zu schließen. „Wir können froh sein über jedes Krankenhaus, das wir haben.“
Minister: Kinder verdienen ökonomiefreie Versorgung
Lauterbach räumte ein, dass die Lage derzeit besonders schwierig ist und versprach, den Kindern und ihren Eltern sofort zu helfen. Das Personal in Kliniken und Praxen arbeite am Limit. Die Regierung habe reagiert und die Pflegepersonaluntergrenzen in Kliniken ausgesetzt. Das Ziel sei, das Pflegepersonal flexibel einzusetzen. Er betonte, es gehe dabei nicht darum, Pflegekräfte aus anderen Bereichen für die komplizierten Fälle in der Kinderversorgung einzuplanen, sondern eher für gewöhnliche Fälle wie Brüche oder eine Mandelentzündung, um die Spezialkräfte zu entlasten. Diese Initiative werde von den Kliniken auch gut angenommen.
Der Minister kündigte ferner an, auf die Budgetregelungen zu verzichten, damit Ärzte für jede zusätzliche Leistung auch voll bezahlt werden. „Wir setzen die Budgetierung ab sofort für die Kinderkliniken und Praxen aus.“ Um junge Fachärzte für Kinderheilkunde zu gewinnen, sei außerdem eine dauerhafte Aussetzung der Budgets in der Praxis vorgesehen. Wer sich für die Kinderheilkunde entscheide, werde von den Budgets nicht mehr erfasst, sagte Lauterbach: „Wir setzen die Budgets in der Kinderheilkunde in den Praxen vollkommen und dauerhaft aus.“ Die Kinder verdienten eine „ökonomiefreie Versorgung“.
Honorarkräfte, die in Kliniken zusätzlich arbeiten, sollen zudem über die Pflegebudgets vollständig abrechnet werden können. Der Minister kündigte einen entsprechenden Gesetzentwurf für die Neuregelungen an. Sollte sich die Lage in den Kinderkliniken nicht verbessern, will Lauterbach notfalls auch planbare Eingriffe bei Erwachsenen verschieben. Er versicherte: „Wir lassen hier kein Kind zurück.“ Er will außerdem Vorschläge unterbreiten, um aktuelle Lieferengpässe für bestimmte Arzneimittel zu überwinden.
Union: SPD trägt Schuld an der Fallpauschale
Simone Borchardt (CDU/CSU) erinnerte Lauterbach daran, dass er selbst und die SPD an der Einführung der umstrittenen Fallpauschalen (DRG) als Abrechnungssystem im Krankenhaus vor rund 20 Jahren beteiligt waren. Der Reformbedarf sei inzwischen groß, es werde jedoch viel angekündigt und wenig gemacht. Benötigt werde mehr Effizienz und eine bedarfsgerechte Versorgung. Die Sektorengrenzen müssten aufgebrochen werden.
Borchardt betonte, es mangele im Gesundheitssystem nicht an Geld und Personal, die Ressourcen müssten aber besser eingesetzt werden. So sollten neue Modelle der Versorgung und neue Arbeitszeitmodelle erprobt werden. Auch sollte der ärztliche Bereitschaftsdienst neu aufgestellt werden. Die CDU-Abgeordnete sprach von einer aktuell schwierigen Lage, wobei die Erkältungssaison erst am Anfang sei. Ihrer Ansicht nach gibt es aber keinen Grund für Panik. Zwar bestätigten die Kliniken den Krisenmodus, die Versorgung der Patienten sei aber gewährleistet.
Grüne: Mehr Kompetenzen für Pflegekräfte
Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) hielt der Union vor, in der Vergangenheit falsche Weichen in der Gesundheitspolitik gestellt zu haben und sprach von Missmanagement. Ärzte und Pfleger täten in dieser harten Zeit alles, um die Verwundbarsten, die Kinder, zu schützen. Sie erinnerte daran, dass unlängst Finanzierungsgarantien für Kinderkliniken gewährt worden sind. Hinzu komme der jetzt beschlossene Ausgleich für die hohen Strom- und Gaskosten in Kliniken und Pflegeeinrichtungen.
So wichtig die akuten Entlastungen seien, gehe es auch um dauerhafte Lösungen, sagte Lang und forderte beispielhaft mehr Kompetenzen für Pflegekräfte. Die Kindermedizin müsse gestärkt, die Ökonomisierung zurückgedrängt werden. Außerdem gelte es, die Krankenhausplanung und -finanzierung neu aufzustellen. Die starre Trennung zwischen ambulant und stationär müsse ebenso überwunden werden wie das Fallpauschalensystem.
FDP: Das ganze System wird reformiert
Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) dankte den Ärzten und Pflegern für ihren Einsatz in der akuten Krise, warnte mit Blick auf die Linke aber vor scheinbar einfachen Lösungen. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass mit dem Verzicht auf Fallpauschalen alle Probleme gelöst seien. Gefragt seien jetzt pragmatische und unbürokratische Lösungen.
Die in 20 Jahren aufgestauten Probleme im Gesundheitswesen müssten angegangen werden. Die Koalition habe dazu bereits erste Schritte unternommen, etwa mit der möglichen Tagesbehandlung in Krankenhäusern sowie mit den zusätzlichen Finanzmitteln für die Pädiatrie und Geburtshilfe. Ullmann versprach: „Das ganze System wird reformiert.“ Eine Strukturreform sei überfällig. Die Fehler der Vergangenheit würden nachhaltig beseitigt. (pk/15.12.2022)