Geschichte

Vor 70 Jahren: Erstmalige Aberkennung eines Bundestagsmandats

Blick in den besetzten Plenarsaal in Bonn im April 1952

Blick in den vollbesetzten Plenarsaal in Bonn im April 1952. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Vor 70 Jahren, am Mittwoch, 3. Dezember 1952, stellte der Deutsche Bundestag zum ersten Mal das Erlöschen eines Bundestagsmandats fest. Der entsprechende Antrag des Wahlprüfungsausschusses vom 13. November (1/3870), wurde gegen vierzehn Stimmen bei einer Enthaltung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder angenommen.

Nach Paragraph 46 des Bundeswahlgesetzes kann ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag bei Ungültigkeit des Erwerbs der Mitgliedschaft, Neufeststellung des Wahlergebnisses, Wegfall einer Voraussetzung seiner jederzeitigen Wählbarkeit, Verzicht oder bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei oder der Teilorganisation einer Partei, der er angehört, durch das Bundesverfassungsgericht nach Artikel 21 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verlieren. 

Erlöschen des Mandats von Fritz Dorls

Der Beschluss des Parlaments bezog sich auf das Erlöschen des Mandats des Abgeordneten Dr. Fritz Dorls (1910-1995), Mitglied und Vorsitzender der Sozialistischen Reichspartei (SRP), wegen des Verbots seiner Partei durch das Bundesverfassungsgericht.

Die Abgeordneten stellten mit ihrer Entscheidung fest, dass Dorls Bundestagsmandat aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 „mit diesem Tage erloschen ist und nicht wiederbesetzt wird“. Dadurch verringerte sich auch die gesetzliche Mitgliederzahl des Parlaments von 402 auf 401 (beziehungsweise von 421 auf 420 inklusive der bis auf Abstimmungen zur Geschäftsordnung nicht stimmberechtigten Berliner Abgeordneten).

Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit hatten die Abgeordneten gleichzeitig beschlossen, „dass der Abgeordnete Dr. Dorls an den Arbeiten des Deutschen Bundestages so lange nicht teilnehmen kann, bis die Entscheidung Rechtskraft erhält“. Diese erlangte der Beschluss am 4. Januar 1953.

SRP-Verbot durch das Bundesverfassungsgericht

Am 23. Oktober 1952 hatte das Bundesverfassungsgericht die SRP aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit verboten und die Auflösung der Partei verfügt. Einen entsprechenden Antrag hatte die Bundesregierung am 19. November 1951 beim Bundesverfassungsgericht gestellt.

Das hatte nicht nur die Auflösung und das Verbot, Ersatzorganisationen einzurichten zur Folge, sondern auch den Verlust des Bundestagsmandats für Abgeordnete dieser Partei. 

Beratung des Wahlprüfungsausschusses

Infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils hatte der Bundestag zu prüfen, ob die Voraussetzungen, die den ersatzlosen Verlust des Mandats zur Folge haben, auf Dorls zutreffen. Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Hermann Ehlers (1904-1954), hatte daher, mit Schreiben vom 27. Oktober 1952 an den Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses Dr. Ludwig Schneider (1898-1978, FDP), den Ausschuss gebeten, über die Frage des Mandatsverlustes des Abgeordneten Dorls zu beraten.

Der fraktionslose Dorls war zwar am 14. August 1949 als unabhängiger Abgeordneter unter Nummer 3 der Landesliste der Deutschen Rechtspartei in den ersten Deutschen Bundestag gewählt worden, jedoch bereits kurz nach der Bundestagswahl Mitglied und Vorsitzender der von ihm mitgegründeten SRP geworden und damit zum Zeitpunkt des Verbots Mitglied der verbotenen Partei. Seine SRP-Mitgliedschaft hatte Dorls am 27. April 1950 in einem Brief an den Bundestagspräsidenten bekanntgegeben, „dass ich ab sofort nicht mehr als unabhängiger Abgeordneter, sondern als Abgeordneter der Sozialistischen Reichspartei (SRP) gelte“.

Der Ausschuss sah es als glaubhaft nachgewiesen an, dass Dr. Dorls im Zeitpunkt der Urteilsverkündung der Sozialistischen Reichspartei angehört hat, und damit sein Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages erloschen sei.

Weitere Fälle von Mandatsaberkennungen

Seitdem gab es lediglich zwei weitere Mandatsaberkennungen. Zum Ende der 1. Wahlperiode wurde beim Abgeordneten Paul Hans Jaeger (1886-1958, FDP) das Erlöschen des Mandats festgestellt (1/4492). Jaeger war als Nachfolger des Abgeordneten Dr. Hans Albrecht Frhr. von Rechenberg (1892-1953, FDP) in den Bundestag eingetreten. Gegen die Gültigkeit dieser Entscheidung des Landeswahlleiters von Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1953 war Prof. Dr. Hanns Linhardt (1901-1989, FDP) erfolgreich im Wege einer Wahlanfechtung vorgegangen, da ihm die Nachfolge zugestanden hätte. Die Mandatsaberkennung wurde wegen Ablaufs der Wahlperiode jedoch nicht mehr wirksam.

In der 2. Wahlperiode wurde beim Abgeordneten Karlfranz Schmidt-Wittmack (1914-1987, fraktionslos, zuvor CDU/CSU) wegen nachträglichen Wegfalls seiner Wählbarkeitsvoraussetzung das Erlöschen des Mandats festgestellt (2/1197). Der entsprechende Beschluss des Bundestages wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts rechtskräftig. Der über die Hamburger Landesliste der CDU am 6. September 1953 in den Bundestag gewählte Abgeordnete hatte sich am 21. August 1954 mit seiner Familie in die DDR begeben und auf einer am 26. August 1954 in Ost-Berlin veranstalteten Pressekonferenz geäußert, dass er beabsichtige, nunmehr in der DDR beruflich und auch politisch tätig zu sein. (klz/21.11.2022)