Zeit:
Montag, 28. November 2022,
13
bis 14.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900
Der geplante Wegfall von Hinzuverdienstgrenzen während des Bezugs einer vorgezogenen Altersrente sorgt für ein gemischtes Experten-Echo. In einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Achtes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (20/3900) am Montag, 28. November 2022, wurden zwar vielfach die positiven Wirkungen einer solchen Regelung betont. Gleichzeitig wurde aber auch auf die Gefahren hingewiesen.
Die Bundesregierung möchte mit dem Gesetz Verfahren in der Sozialversicherung effektiver, digitaler und unbürokratischer gestalten. Das Gesetz enthält darüber hinaus Regelungen zur Neustrukturierung der Ausstellung von A1-Bescheinigungen im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, Regelungen zum Künstlersozialversicherungsrecht und Regelungen aus dem Bereich der Arbeitsförderung.
Auswirkungen auf Kranken- und Arbeitslosengeld
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schreibt in seiner Stellungnahme zu den Hinzuverdienstgrenzen, die bei vorgezogenen Altersgrenzen ganz und beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente teilweise entfallen sollen: „Vor dem Hintergrund der propagierten mehr als geringfügigen Arbeit ist es geradezu fatal, dass die Bundesregierung die Lohneinkommen von Rentner*innen im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit nicht absichert und die Betroffenen damit in eine finanzielle Falle lockt.“ Dieser Zustand sei „vollkommen inakzeptabel“. Vollzeitnahe Erwerbsarbeit neben der Rente müsse zu einer vollen und ungekürzten Lohnersatzleistung im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit führen, fordern die Gewerkschafter.
Ähnlich argumentiert der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Bäcker: Aus kurzfristiger Sicht ergäben sich zwar Vorteile für einen bestimmten Kreis von Arbeitnehmern. Eine Gefahr sei aber die soziale Absicherung. Denn werde eine Vollrente bezogen, so „erlischt der Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistung Krankengeld. Insbesondere jene langjährig Versicherten, die jetzt ermuntert werden, eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen zu beziehen, werden beim Eintritt dieser Risiken dann allein von ihrer abschlagsgeminderten Rente leben müssen“, schreibt Bäcker in seiner Stellungnahme.
Auch auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld würden sich die geänderten Hinzuverdienstregeln auswirken, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrer Stellungnahme betont: „Vorgezogene Altersrenten führen grundsätzlich zu einem vollständigen Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Nur wenn die Rente erwerbsfreundlich ausgestaltet ist, ruht das Arbeitslosengeld lediglich anteilig. Die Regelung bewirkt somit, dass die Zuerkennung einer vorgezogenen Altersrente – trotz Wegfall der Hinzuverdienstgrenze – unverändert zum (vollständigen) Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führt.“
„Beitrag zur Rechtsvereinfachung“
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betont die aus ihrer Sicht positiven Aspekte: „Mit einem vollständigen Wegfall von Hinzuverdienstgrenzen bei Altersrenten wird das klare Signal gesetzt, dass der Bezug einer Altersrente der Fortsetzung oder Neuaufnahme einer Erwerbstätigkeit im Alter nicht entgegensteht. Ein vollständiger Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten ist ein Beitrag zur Rechtsvereinfachung und damit zum Bürokratieabbau, von dem alle Betroffenen und insbesondere auch die Rentenversicherung profitieren“, heißt es in der BDA-Stellungnahme.
Aus Sicht der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) können „bessere Möglichkeiten zur Kombination von Rente wegen Erwerbsminderung und Beschäftigung für diejenigen Personen eine Brücke oder einen Anreiz zur teilweisen oder vollständigen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben darstellen, deren Gesundheitszustand eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt oder eine Ausweitung der bisherigen Erwerbstätigkeit zulässt“. Andere Sachverständige hatten gerade bei den Erwerbsminderungsrenten stärkere Zweifel daran, ob eine Ausweitung der Arbeit nicht dem Prinzip der Erwerbsminderungsrente widerspreche.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetzentwurf sollen Verfahren in der Sozialversicherung effektiver ausgestaltet und im Sinne der Digitalisierung und der Entbürokratisierung verbessert werden, schreibt die Regierung. Zudem würden technische Vorgaben an die sich fortentwickelnden technischen Standards angepasst. Ferner würden gesetzliche Änderungen im Vermögensanlagerecht, im Künstlersozialversicherungsgesetz sowie in anderen Rechtsbereichen vorgenommen.
Beispielsweise soll die Pflicht zur Vorlage eines Sozialversicherungsausweises durch den automatisierten Abruf der Versicherungsnummer seitens des Arbeitgebers bei der Datenstelle der Rentenversicherung abgelöst werden. Auch soll der Sozialversicherungsausweis durch den Versicherungsnummern-Nachweis ersetzt werden. Beginn und Ende der Elternzeit von Arbeitnehmern sollen den Sozialversicherungsträgern künftig im Rahmen des allgemeinen elektronischen Meldeverfahrens durch den Arbeitgeber mitgeteilt werden.
Darüber hinaus sollen die Möglichkeiten der Versicherungsträger zur Vermögensanlage angepasst und „maßvoll erweitert“ werden, wie es heißt. Zugleich würden für das Anlage- und Risikomanagement der Versicherungsträger verbindliche Vorgaben getroffen.
Weitere Änderungen im Sozialversicherungsrecht
Im Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) will die Regierung mit einer Anschlussregelung zu der pandemiebedingt befristet erhöhten Zuverdienstgrenze bei zusätzlichen selbstständigen nicht-künstlerischen Tätigkeiten an das Kriterium der Haupttätigkeit anknüpfen. Der Versicherungsschutz für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach dem KSVG und die Regelungen zur Zahlung von Beitragszuschüssen der Künstlersozialkasse sollen weiterentwickelt, die Prüf- und Kontrollmöglichkeiten der Künstlersozialkasse erweitert werden.
Bei vorgezogenen Altersrenten soll die Hinzuverdienstgrenze aufgehoben, bei Erwerbsminderungsrenten sollen die Hinzuverdienstgrenzen geändert werden. Für das Versicherungs- und Leistungsrecht strebt die Regierung eine einheitliche gesetzliche Grundlage zur Bescheinigungspflicht von Arbeitgebern an. Dies entlaste Bürger, ermögliche Arbeitgebern eine aufwandsarme Bearbeitung und schaffe die Grundlage für die elektronische Übermittlung sowie für Automatisierungsprozesse in der Bundesagentur für Arbeit, so die Regierung. Darüber hinaus enthält der Entwurf Änderungen im Unfallversicherungsrecht sowie in anderen Gesetzen und Verordnungen. (che/vom/eis/28.11.2022)