Kinderkommission

Sachverständige: Beteiligung stärkt Demokratie, Staat und Verwaltung

Kinder kleben ihre Wünsche für mehr Rechte und Beteiligung an den Kinderrechte-Bus des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Kinder kleben ihre Wünsche für mehr Rechte und Beteiligung an den Kinderrechte-Bus des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (© picture alliance/dpa | Gregor Fischer)

Von Schülervertretungen bis zu Jugendparlamenten, von projektbezogener Beteiligung bis zu dauerhaften Gremien: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am politischen Verfahren gibt ihnen Gelegenheit, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu sammeln, lässt sie gesellschaftliche Krisen besser bewältigen und stärkt zudem Demokratie, Staat und Verwaltung, so die Sachverständigen im öffentlichen Fachgespräch der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission, Kiko) am Mittwoch, 9. November 2022, die einen Überblick über die Fülle an Beteiligungsformen in Deutschland gaben und aufzeigten, wo weiteres Entwicklungspotenzial besteht. 

„Flickenteppich“ an Beteiligungsformen im Land

Nicht überall gleich ausgeprägt sei die Dichte an Beteiligungsformen im Land, stellte Sebastian Schiller, Leiter der Fachstelle Kinder- und Jugendbeteiligung vom Deutschen Kinderhilfswerk, fest und sprach von einem „Flickenteppich“. Insgesamt gebe es „auf kommunaler Ebene die meisten erprobten Formate“. Zentrales Format seien die 520 Jugendparlamente  - was bedeute, dass es in etwa fünf Prozent der Kommunen solche Einrichtungen gebe. Zahlreiche Einrichtungen und Abläufe der Jugendparlamente seien denen echter Parlamente nachgebildet: vom Rede- und Antragsrecht, über Anhörungen bis hin zu einem eigenen Budget. 

Vor Ort müsse die jeweils am besten passende Form der Beteiligung gefunden werden, innerhalb auf Dauer angelegter Organe wie Jugendparlamenten oder zeitlich begrenzt und projektbezogen, entlang der Stufen unterschiedlicher Intensität der Beteiligung: Entweder teilten die Jugendlichen in Form der Anhörung lediglich Ideen, würden im Rahmen der Mitwirkung in die Ausgestaltung von Maßnahmen einbezogen oder in der Mitentscheidung in die Beschlussfassung eingebunden. 

Experte: Entwicklungsbedarf auf Länderebene

„Auf Länderebene besteht aus Sicht des Kinderhilfswerkes noch größerer Entwicklungsbedarf“ als auf kommunaler Ebene, sagte Schiller. Zwar gebe es landesweite Dachverbände der Jugendparlamente, die sich zu Landes- und kommunalen Themen positionierten. In der Hälfte der Länder gebe es zudem Jugendlandtage, die eine Mischung aus Planspiel, politischer Bildung und Dialog mit Politik und echter Beteiligung darstellten. Eine konkrete Mitwirkung sei jedoch meist nicht vorgesehen. In vielen Bundesländern bestünden zudem sogenannte Landesjugendkonferenzen oder Jugendforen und auch themenbezogene Beiräte zur Beteiligung von jungen Menschen an konkreten Projekten. 

Auch auf Bundesebene fänden sich beispielsweise mit den Jugendpolitiktagen oder der Bundesjugendkonferenz „spannende Beteiligungsformate“, in denen die Politik der Bundesregierung besprochen werde. Viele Ministerien und nachgelagerte Behörden hätten zudem Jugendbeiräte eingerichtet. Er sehe aber auch noch Ausbaupotenzial, so Schiller und schlug vor, entsprechend dem Vorbild der Jugendlandtage ein Gremium beim Bundestag zu schaffen, in das Kinder und Jugendliche Vorschläge einbringen und mit gewählten Abgeordneten in Kontakt treten könnten.

Beteiligung von Jugendlichen auf Bundesebene

„Sehr gut funktionieren“ könne, entgegen häufig zu hörenden Vorbehalten, die Beteiligung von Jugendlichen auf Bundesebene, sagte Prof. Dr. Waldemar Stange vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik der Leuphana Universität Lüneburg. Es gebe „mehrere Beispiele für gut funktionierende Gremien“, beispielsweise die Jugendbeiräte, etwa beim Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), aber auch Bundesjugendkonferenz. Er verwies auf eine Fülle erfolgreicher Beteiligungsformate und -projekte, die zu wenig wahrgenommen würden, und schlug vor, die Beteiligungsformate von Jugendlichen auf Bundes- und Länderebene stärker zu verzahnen. 

Im nationalen Rahmen entwickele die Bundesregierung mit dem Aktionsplan Kinder- und Jugendbeteiligung ihre im Koalitionsvertrag vereinbarte Jugendstrategie weiter. Aber auch auf internationaler Ebene, in der Europäischen Union, bei den Vereinten Nationen oder bei der G7 gebe es Jugenddelegiertenprogramme. Man dürfe auch nicht vergessen, dass Deutschland mit dem Bundesjugendring seit über 70 Jahren über eine Vertretung der Jugendverbände verfüge, die sehr gut funktioniere und „um die uns viele Länder beneiden“. Dass Jugendliche Gremienarbeit langweilig fänden, davon dürfe man nicht pauschal ausgehen. Umfragen hätten ergeben, dass Jugendliche ein „Bedürfnis nach Struktur und Ordnung“ hätten. Wichtig sei, dass Jugendparlamente nicht als Konkurrenz zu anderen Beteiligungsformaten, sondern als Teil einer größeren Partizipationslandschaft verstanden würden.

„Kraftzentren für die Demokratie“

Vincent Sipeer vom Kinder- und Jugendbeirat des Deutschen Kinderhilfswerks und Mitglied des jugendpolitischen Beirates des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) berichtete von der „Initiative starke Kinder- und Jugendparlamente“ beim Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW e.V.) und forderte: „Beteiligung sollte allen politischen Entscheiden ein Anliegen sein.“ Ein Mehr an Mitwirkung lasse die Kinder und Jugendlichen die gegenwärtigen Krisen, von Covid-19 über die Klimakrise bis hin zum Krieg in Osteuropa besser bestehen. Angebote der Partizipation ließen Kinder und Jugendliche Politik als gestaltbar erleben und stärkten die Demokratie auf lokaler Ebene, „von unten“. 

Dort wo Kinder- und Jugendparlamente funktionieren, wirkten sie als „Kraftzentren für die Demokratie“, eröffneten demokratische Lerngelegenheiten. „Alle Verwaltungs- und Staatsebenen profitieren von der durch Jugendstrategien politisch gerahmten, normativ integrierten und pädagogisch begleiteten Kinder- und Jugendbeteiligung“ entsprechend dem Leitbild der Mitbestimmung junger Menschen. 

Sipeer gab den Angeordneten mit auf den Weg, „Kinderrechte mit Kindeswohlvorrang im Grundgesetz zu verankern, um Schutz, Förderung und Beteiligung verfassungsrechtlich abzusichern.“ Die Jugendstrategie der Bundesregierung sei ambitioniert und international herausragend. Er habe durch sein Engagement mehrere Jahre die Wirkung seiner Mitwirkung erleben können. Jugendliche müssten diese Selbstwirksamkeitserfahrung machen. „Mitwirkung mit Wirkung“ sei der Schlüssel Jugendliche zum Engagement zu bewegen. „Das hat mich motiviert, dran zu bleiben.“ (ll/09.11.2022)
 

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