Ausschussberatungen sollen künftig regelmäßig öffentlich stattfinden. Der Bundestag hat am Donnerstag, 15. Dezember 2022, einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen (20/4331) gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der AfD angenommen. Die Fraktion von Die Linke enthielt sich. Dem Antrag zufolge sollen auch die Formate der Regierungsbefragung und der Fragestunde im Plenum künftig „dynamischer und interaktiver“ werden.
Oppositionsinitiativen abgelehnt
Eine Reihe von Oppositionsinitiativen fand hingegen keine Mehrheit im Plenum. Darunter war ein CDU/CSU-Antrag mit dem Titel „Die Demokratie stärken – Klare Reformen für ein modernes und bürgernahes Parlament“ (20/4587) sowie ein Antrag der AfD zur „Vermeidung von Überschneidungen von Sitzungen des Bundestages mit Sitzungen der Ausschüsse und Gremien“ (20/4568). Die vier von der Linksfraktion eingebrachten Anträge trugen die Titel „Ausschussöffentlichkeit und Zugang zu Dokumenten“ (20/286), „Frist für die Durchführung von öffentlichen Anhörungen“ (20/1728), „Bessere Lesbarkeit von Vorlagen“ (20/1732) und „Beratungsfrist“ (20/1735). Zu sämtlichen Vorlagen hatte der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Beschlussempfehlungen (20/4808) abgegeben. Darin waren auch Änderungen am Koalitionsantrag enthalten.
Abgelehnt wurden auch zwei jüngere AfD-Anträge mit den Titeln „Bessere Lesbarkeit von Drucksachen durch Verzicht auf Gendersprache“ (20/4898) und „Sachverständige vor Hass schützen“ (20/4897).
Antrag der Koalitionsfraktionen
Mit dem angenommen Antrag wollen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages „umfassend“ reformieren und modernisieren. Die Regelungen sollen „an die heutige parlamentarische Praxis“ und an die „Gebote von Transparenz und Effizienz“ angepasst werden, um das Parlament als Ort der Debatte und Gesetzgebung weiter zu stärken, hieß es zur Begründung.
Vorgesehen ist nun, Beratungen in den Ausschüssen durch regelmäßige öffentliche Sitzungen, durch die Veröffentlichung von Ausschussunterlagen im Internet und durch „klare Regeln zur Benennung von Sachverständigen für öffentliche Anhörungen“ transparenter und für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer zu machen.
Regierungsbefragung und Fragestunde
Die Regierungsbefragung und die Fragestunde wollen die Abgeordneten dynamischer und interaktiver gestalten, um eine „wirksame parlamentarische Kontrolle“ und einen „lebendigen öffentlichen Austausch“ zu ermöglichen. Dadurch solle dem Interesse der Öffentlichkeit an den inhaltlichen Beratungen, an der Einholung von Expertise und der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Parlament Rechnung getragen werden.
Die Dauer der Regierungsbefragung soll von 60 auf 90 Minuten verlängert, die Dauer der Fragestunde von 90 auf 45 Minuten verkürzt werden. Änderungen der Geschäftsordnung, die während der Corona-Pandemie befristet eingeführt wurden und „die sich in der Praxis bewährt haben“, haben die Fraktionen „in sachgerechter Form“ nun dauerhaft in der Geschäftsordnung verankert. Die Änderungen sollen am 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Bisher haben die Ausschüsse grundsätzlich nichtöffentlich getagt, wobei sie beschließen konnten, für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand oder Teile desselben die Öffentlichkeit zuzulassen. Künftig sollen die Ausschüsse in nichtöffentlicher Sitzung beschließen, ob und inwieweit sie öffentlich beraten. Dabei sollen sie das Interesse der Öffentlichkeit an öffentlichen Sitzungen, die Besonderheit der Beratungsgegenstände und etwaige Erfahrungen mit öffentlichen Sitzungen berücksichtigen.
Öffentliche Ausschussprotokolle
Die Ausschüsse sollen künftig in der Tagesordnung von öffentlichen Anhörungen kenntlich machen, auf Vorschlag welcher Fraktionen die einzelnen Sachverständigen geladen wurden. Ausschussprotokolle sollen künftig „unverzüglich“ veröffentlicht werden, wenn sie nicht als Verschlusssache eingestuft sind.
Um beabsichtigte Gesetzesänderungen gut lesbar zu machen, soll Gesetzentwürfen aus der Mitte des Bundestages eine Lesefassung beigefügt werden, die den aktuell geltenden Wortlaut des Gesetzestextes sowie die beabsichtigten Änderungen mit entsprechenden Hervorhebungen gegenüberstellt (Synopse). Dadurch sollen der geltende Wortlaut des Gesetzestextes und die geplanten Änderungen direkt verglichen werden können.
Abgelehnter Antrag der Union
Die Unionsfraktion plädierte in ihrem Antrag (20/4587) unter anderem dafür, die regelmäßige Dauer der Regierungsbefragung von 60 auf 120 Minuten zu verdoppeln und auf die bisherige 90-minütige Fragestunde zu verzichten. Stattdessen sollten im Plenum künftig dezentrale Ausschussfragestunden stattfinden, die im Internet übertragen werden. Statt wie bisher dreimal jährlich sollte der Bundeskanzler künftig mindestens einmal im Quartal befragt werden. An jeder Regierungsbefragung sollten dem Antrag zufolge mindestens zwei Regierungsmitglieder teilnehmen. Jedes Regierungsmitglied sollte mindestens einmal jährlich an der Befragung teilnehmen, die bisher üblichen einleitenden Ausführungen sollten entfallen.
Damit die Regierungsantworten parlamentarisch debattiert werden können, sollte im Anschluss auf Antrag eine Aktuelle Stunde stattfinden können. Kleine Anfragen wollte die Unionsfraktion im Plenum beraten lassen, wenn sie von der Regierung nicht fristgerecht beantwortet wurden und fünf Prozent der Abgeordneten oder eine Fraktion dies verlangen.
Grundsatz nichtöffentlicher Ausschusssitzungen
Am Grundsatz nichtöffentlicher Ausschusssitzungen wollte die Fraktion festhalten. Vorbereitende Beratungen und Verhandlungen benötigten geschützte Räume, um Lösungsvorschläge ergebnisoffen diskutieren und interfraktionell Kompromisse ausloten zu können, hieß es zur Begründung.
Die öffentlichen Anhörungen der Ausschüsse wollten die Abgeordneten auf eine breitere fachliche Basis stellen. So sollte der Sachverstand in den obersten Bundesbehörden dafür genutzt werden. Dauerhaftes Vertagen von Oppositionsvorlagen muss für die CDU/CSU der Vergangenheit angehören. Schließlich empfahlt die Fraktion, die Geschäftsordnung einer Generalrevision zu unterziehen. Koalition und Linke stimmte gegen den Unionsantrag, die AfD enthielt sich.
Abgelehnter Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion wollte die Geschäftsordnung des Bundestages mit dem Ziel ändern, Überschneidungen von Sitzungen des Bundestages mit Sitzungen der Ausschüsse und Gremien zu vermeiden. Konkret verlangte die Fraktion in ihrem Antrag (20/4568), im Paragrafen 20 der Geschäftsordnung den Passus „Sitzungen des Bundestages finden nicht zeitlich überschneidend zu Sitzungen der Ausschüsse oder anderer Gremien des Bundestages statt; Ausnahmen im Einzelfall kann der Ältestenrat vereinbaren“ zu ergänzen.
Im Paragrafen 60 der Geschäftsordnung sollte nach dem Willen der Fraktion folgender Satz hinzugefügt werden: „Ausschusssitzungen dürfen nicht zeitgleich mit Plenarsitzungen anberaumt werden; Ausnahmen im Einzelfall kann der Ältestenrat vereinbaren.“ Die Initiative fand in keiner anderen Fraktion einen Fürsprecher.
Erster abgelehnter Antrag der Linken
Die Linksfraktion forderte grundsätzlich öffentliche Ausschusssitzungen im Bundestag (20/286). Öffentlich gemacht werden sollten auch Ausschuss-Dokumente wie Protokolle, „sofern sie keine Verschlusssache im Sinne der Geheimschutzordnung sind“, hieß es in ihrem Antrag.
Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass von der Möglichkeit, Ausschusssitzungen im Einzelfall öffentlich abzuhalten, selten Gebrauch gemacht werde. Dies könne aus Gründen der Nachvollziehbarkeit des gesamten demokratischen Prozesses nicht länger hingenommen werden. Um dem demokratischen Öffentlichkeitsprinzip mehr Geltung zu verschaffen, sei das bisher in der Geschäftsordnung zum Tragen kommende Regel-Ausnahme-Verhältnis des Zugangs zu Ausschusssitzungen umzukehren, hieß es. Alle anderen Fraktionen votierten gegen den Antrag.
Zweiter abgelehnter Antrag der Linken
Die Linksfraktion wollte außerdem erreichen, dass eine öffentliche Anhörung im Bundestag innerhalb einer „angemessenen Frist“ stattfinden muss (20/1728).
Wenn eine Minderheit der Mitglieder eines Ausschusses die Durchführung einer öffentlichen Anhörung verlangt, sollte sie auf Verlangen dieser Minderheit „spätestens innerhalb von zehn Wochen nach der Beschlussfassung“ stattfinden müssen, hieß es in dem Antrag, der ansonsten nur bei der AfD auf Zustimmung stieß.
Dritter abgelehnter Antrag der Linken
Für eine bessere Lesbarkeit von Vorlagen für die parlamentarische Beratung trat die Fraktion ebenfalls ein (20/1732). Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen zu Gesetzen sollte eine Lesefassung mit der Gegenüberstellung des geltenden und des beabsichtigten Gesetzeswortlauts beigefügt werden, wurde verlangt.
Änderungen an einem Gesetzentwurf, die ein Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung für das Plenum vorschlägt, sollten nach dem Willen der Fraktion ebenfalls durch eine Gegenüberstellung des geltenden Gesetzeswortlauts, des beabsichtigten Wortlauts im Gesetzentwurf und des Wortlauts der vom Ausschuss empfohlenen Änderung sichtbar gemacht werden. Der Antrag fand nur in der AfD weitere Fürsprache.
Vierter abgelehnter Antrag der Linken
Um die „unsachgemäße Nichtbehandlung“ und „Verschleppung“ von Vorlagen im Ausschuss durch die jeweilige Parlamentsmehrheit zu verhindern und um das Gesetzesinitiativrecht aus der Mitte des Bundestages zu stärken, wollte die Linksfraktion die Frist für die Beratung von parlamentarischen Vorlagen im Bundestag konkretisieren (20/1735). Dazu verlangte sie eine Ergänzung des Paragrafen 62 der Geschäftsordnung des Bundestages. Nach dem jetzigen Wortlaut können eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zehn Sitzungswochen nach der Überweisung einer Vorlage zur Beratung an einen Ausschuss verlangen, dass der Ausschuss dem Bundestag über den Stand der Beratungen berichtet.
Die Linke wollte nun, dass nach einer solchen Berichterstattung eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangen können, dass der Ausschuss abschließend über die Vorlage entscheidet, sofern seit der Ausschussüberweisung 25 Sitzungswochen vergangen sind. Die Vorlage sollte auf die nächste Tagesordnung des Ausschusses gesetzt werden müssen, eine nach der Geschäftsordnung mögliche Änderung der Tagesordnung wollte die Fraktion für dieses Verlangen ausschließen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses sollten auf die nächste Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden müssen, wenn eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Abgeordneten es für ihre Vorlage verlangen. Auch bei dieser Initiative stieß Die Linke nur bei der AfD auf Gegenliebe.
Erster neuer Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion wollte die Geschäftsordnung des Bundestages ändern mit dem Ziel, Sachverständige vor Hass zu schützen. Konkret wollte die Fraktion mit ihrem Antrag (20/4897) erreichen, dass Sachverständige auf öffentlich zugänglichen Dokumenten des Bundestages nicht in Bezug zu einer Fraktion gesetzt werden dürfen und Dokumente zur Benennung von Sachverständigen als vertrauliche Verschlusssache eingestuft werden müssen. Zur Begründung hieß es, vor allem an Universitäten und im akademischen Milieu nehme der Hass auf politisch Andersdenkende zu. Hochschullehrer müssten befürchten, Opfer politischer Gewalt oder benachteiligt zu werden, wenn sie als Vertreter einer politischen Partei wahrgenommen werden, die „Anfeindungen antagonistischer gesellschaftlicher Gruppen“ ausgesetzt sei. Als Folge davon sinke deren Bereitschaft, sich in der Öffentlichkeit zu äußern, wodurch die Gesellschaft die Fähigkeit verliere, Probleme öffentlich zu diskutieren und zu lösen.
Wenn von einer Fraktion benannte Sachverständige zu öffentlichen Anhörungen in den Bundestag geladen würden, werde häufig vermutet, so die Fraktion, dass sie die politischen Ansichten der benennenden Fraktion teilen oder zum politischen Lager der benennenden Fraktion gehören. Sie müssten deshalb befürchten, Opfer von Gewalttaten politischer Fanatiker zu werden oder andere Nachteile zu erleiden. Die Konsequenz sei, dass vor allem Hochschulprofessoren oft nicht davon überzeugt werden könnten, als Sachverständige an Anhörungen im Bundestag teilzunehmen. Aus Sicht der Abgeordneten sinkt dadurch die Qualität der Gesetzgebung und der Bundestag könne seine wichtigsten Funktionen nicht ausreichend erfüllen. Wenn Sachverständige nicht länger bestimmten Fraktion zugeordnet werden könnten, würde „die Überzeugungskraft der Argumente“ gestärkt, der Eindruck der Überparteilichkeit bekräftigt und das Ethos der wissenschaftlichen Unabhängigkeit bei den Bürgern gefestigt, schrieb die Fraktion in ihrem von allen anderen Fraktionen des Hauses abgelehnten Antrag.
Zweiter neuer Antrag der AfD
Drucksachen, die im Plenum oder den Ausschüssen des Deutschen Bundestages behandelt werden, sollten nicht in sogenannter Gendersprache abgefasst werden dürfen. In ihrem entsprechenden Antrag (20/4898) verlangte die AfD-Fraktion ein entsprechendes Verbot in der Geschäftsordnung des Bundestages. Konkret wollte sie, dass „insbesondere Gesetzentwürfe und Anträge“ in „klarer, verständlicher und einfach lesbarer Schreibweise“ abgefasst werden müssten. Vor allem Sternchen, Doppelpunkte und Binnen-I sollten nicht verwendet werden dürfen.
Wie es in dem Antrag hieß, halte sich die Bundestagsverwaltung beim Umgang mit Vorlagen der Fraktionen an das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“. Allerdings korrigierten die Verwaltungsmitarbeiter Gendersterne, Quer- oder Bindestriche in Texten nicht mehr, weil sich die Gesellschaft für deutsche Sprache noch nicht abschließend entschieden habe, wie mit dem Einzug des sogenannten Gender Mainstreaming in die Sprache umzugehen sei. In der Vergangenheit habe der Parlamentarische Dienst diese Sprachformen korrigiert, bevor die Vorlagen zu offiziellen Bundestagsdrucksachen geworden seien. Lediglich der Titel solle noch eine im Zusammenhang mit der Tagesordnung des Plenums vorlesbare Form aufweisen. Dieses Vorgehen lehnt die Fraktion ausdrücklich ab und wollte deshalb die Pflicht zur „Anwendung einer klaren und verständlichen Schreibweise“ in der Geschäftsordnung verankern. (ste/vom/irs/pk/vom/hau/15.12.2022)