Sachverständige sehen Kultur- und Kreativwirtschaft in der Dauerkrise
Zeit:
Mittwoch, 19. Oktober 2022,
14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.400
Angesichts steigender Energiepreise sieht sich die Kultur- und Kreativwirtschaft nach der Corona-Pandemie einer weiteren existenzbedrohenden Krise ausgesetzt. Dies war der einhellige Tenor eines öffentlichen Fachgesprächs im Kultur- und Medienausschuss am Mittwoch, 19. Oktober 2022. „Wir sind in einer Dauerkrise“, führte Helmut Verdenhalven von der Koalition Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland (k3d) aus. Die Folgen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen und Auflagen seien noch lange nicht überwunden. Deshalb würden die steigenden Energiekosten nun besonders dramatisch zu Buche schlagen.
Als Beispiel nannte Verdenhalven das Verlagswesen: Dort seien die Produktionskosten bereits um 50 Prozent gestiegen, im kommenden Jahr würde ein erneuter Anstieg um weitere 30 Prozent erwartet. Ausdrücklich lobte Verdenhalven den Sonderfonds Kultur. Allerdings sei dieser zur Bewältigung der Einnahmeverluste der Corona-Pandemie angelegt worden und sollte deshalb nun nicht zur Bewältigung der steigenden Energiepreise benutzt werden. Es müsse für die Kultur- und Kreativwirtschaft eine Art gesonderten Rettungsschirm geben. Zudem forderte er die Politik auf, die Kultur- und Kreativwirtschaft stärker als bisher als wichtigen Wirtschaftsfaktor anzusehen, von dem starke Impulse für alle anderen Wirtschaftsbranchen ausgingen.
Forster: Keine Perspektive mehr für Musikveranstaltungsbranche
Der Intendant der „Jazztage Dresden“, Kilian Forster, führte aus, dass Musikveranstaltungen als Folge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen noch immer nur zu 50 Prozent gebucht seien. Die Jazztage Dresden hätten allein während der Corona-Pandemie einen Verlust bei den Ticket-Verkäufen von 2,5 Millionen Euro zu verkraften gehabt. Angesichts der steigenden Energiekosten sehe er für die Veranstaltungsbranche im Musikbereich überhaupt keine Perspektive mehr.
Forster forderte eine Aufhebung aller coronabedingten Beschränkungen. In Großbritannien sei dies auch möglich, ohne dass deshalb dort die Krankenhäuser überlastet seien. Zudem zweifelte er an, dass es keine Alternative zur aktuellen Energiepolitik gebe. Auch wenn er keine konkreten Alternativen benannte, so deutete er an, dass er die Politik der Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland für verfehlt hält.
Wiemann: Nachwuchskünstler stehen vor der Existenzfrage
Auch Birte Wiemann vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e. V. (VUT) warnte vor den anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie und den steigenden Energiekosten. Angesichts der finanziellen Belastungen sei eine Vorfinanzierung von jungen Künstlern bei den Produktionskosten kaum mehr möglich. Nachwuchskünstler und Newcomer stünden deshalb vor der Existenzfrage. Wiemann führte zudem aus, dass die Lieferengpässe auf dem Rohstoffmarkt zu weiteren Problemen bei der Produktion von Tonträgern führe. So habe sich die Produktionszeit einer Vinylplatte von einigen Wochen auf inzwischen zehn Monate verlängert.
Friese: Steigende Energiekosten belasten Kulturnetzwerke
Björn Friese vom Freundeskreis B.L.O.-Ateliers e. V. in Berlin führte an, dass kleinere und nichtkommerzielle Kulturnetzwerke deutlich besser durch die Corona-Pandemie gekommen seien. Allerdings träfen sie ebenfalls die steigenden Energiekosten. Wünschenswert wären zielgerichtete Förderungen für die Installierung moderner Heizungsanlagen oder Wärmedämmungen.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), der seit dem 6. Oktober auch als Ansprechpartner in der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft fungiert, legte dar, dass es keine passgenauen Lösungen bei den Gaspreisen für alle unterschiedlichen Branchen geben könne. Dies wäre bürokratisch nicht zu leisten. Deshalb arbeite die Bundesregierung an einer generellen Gaspreisbremse. (aw/19.10.2022)