Fraktionen streiten über AKW-Laufzeitverlängerung
Die sich zuspitzende Energiekrise befeuert den seit Monaten schon schwelenden Streit über eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke. Das zeigte auch die Bundestagsdebatte am Donnerstag, 22. September 2022, über den von der CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes (20/3488), mit dem die Fraktion die Berechtigung zum Leistungsbetrieb der drei Atomkraftwerke um mindestens zwei weitere Jahre, bis zum 31. Dezember 2024, verlängern will. Der Gesetzentwurf wurde im Anschluss der Beratung an den Ausschuss für nukleare Sicherheit zur federführenden Beratung überwiesen.
Union: Befristeter Weiterbetrieb mindestens bis 2024
Der befristete Weiterbetrieb sei angesichts explodierender Strompreise und einer unsicheren Versorgungslage dringend geboten, argumentierte Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion in der Debatte. Kraftwerke abzuschalten, die es dringend brauche, um die akute Energiekrise zu bewältigen, sei „absurd“.
Doch zu einer Neubewertung der Kernenergie fehle einfach der politische Wille, warf der Abgeordnete der Bundesregierung vor. Die Ampel tue nicht das „Notwendige, um uns vor einer drohenden Strommangellage und Blackouts zu bewahren“. Seine Fraktion hingegen plädiere für eine befristete Nutzung der vorhandenen Meiler – „so lange es schlicht notwendig ist“, mindestens jedoch bis 2024. Dann solle erneut geprüft werden. Das sei jedoch kein „Ausstieg aus dem Ausstieg“, versicherte Bilger.
SPD: Sicherheitsmängel ernst nehmen
Dies zweifelte jedoch Jakob Blankenburg (SPD) an: Die Union spreche zwar nur von einer befristeten Weiterbetrieb bis 2024, halte sich aber ein „Hintertürchen“ für einen deutlich längeren Betrieb offen. Blankenburg hielt der CDU/CSU-Fraktion zudem vor, Fragen der Sicherheit hintenanzustellen: Dass die 2019 anstehende, eigentlich alle zehn Jahre vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke wegen der bevorstehenden Abschaltung unterblieben sei, übersehe sie offenbar.
Auch aktuelle Mängel, wie die gerade bekannt gewordene Ventilleckage am Werk Isar 2, nehme die Union nicht genügend ernst. Ihr Gesetzentwurf sehe erst eine Sicherheitsüberprüfung bis Ende 2023 vor.
AfD: Unterstützung für Unions-Entwurf
Karsten Hilse (AfD) unterstützte die Gesetzesinitiative der Union: Inhaltlich habe man nichts einzuwenden, so der Abgeordnete, der gleichzeitig auf einen eigenen Gesetzentwurf seiner Fraktion mit derselben Stoßrichtung verwies. Doch die Einsicht, dass der Atomausstieg ein Fehler gewesen sei, komme spät – und habe womöglich vor allem mit den Zustimmungswerten in der Bevölkerung zum Weiterbetrieb der AKWs zu tun, so Hilse.
Der Union hielt er vor, für die aktuelle Misere mitverantwortlich zu sein: Hätte es den von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) 2011 vorangetriebenen Ausstiegsbeschluss nicht gegeben, wäre Deutschland heute „Weltspitze in der Kernkraft“, meinte er, und nicht das Land mit der „dümmsten Energiepolitik der Welt“.
Grüne kritisieren „aufgeplusterte Debatte“
Der Konter folgte sogleich von Dr. Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen): Die Atomkraft sei nicht nur unflexibel, sondern auch riskant und teuer. „Je länger die Atomkraftwerke laufen, umso länger stehen sie der Energiewende im Weg. Sie blockieren den Ausbau der Erneuerbaren“, hielt die Abgeordnete gegen und griff ihrerseits die Union an: Die bayerische Landesregierung und der Betreiber des Atomkraftwerks Isar 2 hätten dessen Leistungsfähigkeit gepriesen – und dabei Ventilleck und mangelnden Brennstoff unter den Tisch fallen lassen.
Das sei keine „verlässliche Kommunikation“, kritisierte die Grünen-Abgeordnete. Mit der „aufgeplusterten Debatte“ um die Atomkraft wolle die Union bloß von eigenen Versäumnissen ablenken.
Linke: Weiternutzung „falsch und naiv“
Unterstützung dafür kam von Ralph Lenkert (Die Linke): Punkt für Punkt zählte er auf, warum die Atomkraft in der Krise keine Lösung sein könne – in der Ukraine stünden Atomkraftwerke unter Beschuss, in Frankreich seien mehr als die Hälfte der Kraftwerke wegen Mängeln außer Betrieb, in Deutschland fehlten die nötigen Überprüfungen sowie Brennelemente – trotzdem setzten Union und AfD unverdrossen weiter auf diese Energieform. Das sei „naiv und falsch“, so Lenkert.
Für ein größeres Stromangebot brauche es sie nicht, besser wären Maßnahmen wie die sofortige Aufhebung der Deckel von Solar- und Bioenergie.
FDP sieht Reservebetrieb skeptisch
Judith Skudelny (FDP) sah das anders: Die Antwort auf die Energiekrise, der Russlands Angriffskrieg ausgelöst habe, sei eine „sichere, saubere und preiswerte Energieversorgung“ in Deutschland zu erhalten, betonte sie. Hierbei könne die Atomkraft durchaus noch übergangsweise in diesem Winter einen Beitrag leisten. Skudelny verwies auf den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums, zwei von drei Atomkraftwerken bis 2023 im Reservebetrieb für den Fall von Netzengpässen vorzuhalten.
Gleichzeitig ließ sie jedoch Zweifel durchblicken, ob dies ausreiche: Wenn man Geld in die Hand nehme, um nötige Reparaturen und Sicherheitsüberprüfungen vorzunehmen – warum nutze man die Kraftwerke nicht dann auch zu Stromproduktion, die man gut brauchen könne, gab die Abgeordneten zu bedenken.
Ministerin: „Entscheidung zum Atomausstieg steht“
All solchen Überlegungen erteilte jedoch die für die Atomkraftwerke zuständige Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) unmissverständlich eine Absage: „Die Entscheidung zum Atomausstieg steht“, betonte sie vor allem in Richtung der CDU/CSU. Der 2011 „in breitem Konsens“ beschlossene Ausstieg komme. Die Gründe, warum sich Deutschland zu diesem Schritt entschieden haben, bestünden schließlich nach wie vor – durch den Krieg in der Ukraine habe sich die Sicherheitslage von Atomkraftwerken sogar radikal verändert.
Ein Wiedereinstieg in diese Hochrisikotechnologie sei ausgeschlossen. Dass die Ampel bedingt durch die Energiekrise prüfe, ob für den kommenden Winter zwei der drei noch laufenden AKWs als Reserve gebraucht würden, ändere daran nicht.
Gesetzentwurf der CDU/CSU
Aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine habe sich die Energieversorgungssituation in Deutschland erheblich zugespitzt. Gas- und Strompreise seien auf ein Rekordniveau gestiegen. Dennoch, so stellt die Unionsfraktion in ihrem Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes fest, gebe es immer noch einen hohen Anteil an Gasverstromung im deutschen Strommix. Dabei gäbe es Alternativen. Nach derzeitiger Gesetzeslage müssten die drei letzten in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland zum 31. Dezember 2022 den Leistungsbetrieb einstellen. Damit würden zusätzlich sechs Prozent grundlastfähige Stromkapazitäten aus dem aktuellen Stromproduktionsmix wegfallen, schreiben die Abgeordneten.
Da ausufernde Strompreise und eine nach dem Stresstest nicht zu jedem Zeitpunkt gegebene Versorgungssicherheit eine große Gefahr für die wirtschaftliche Prosperität darstellten, wodurch eine soziale Schieflage in Deutschland drohe, sei daher eine Ausweitung des Stromangebots und der inländischen Stromproduktion zwingend erforderlich. Neben einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sei ein zeitlich begrenzter Weiterbetrieb der sich noch im Betrieb befindenden Kernkraftwerke das Mittel der Wahl. Diese akute Krisenmaßnahme ändere nichts an der grundsätzlichen Entscheidung zur Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland, argumentieren die Antragsteller. Eine zeitlich befristete Verlängerung der Berechtigung des Leistungsbetriebs der genannten Kraftwerke leiste zudem einen wichtigen Beitrag bei der Weiterverfolgung der nationalen Klimaziele und zur innereuropäischen Solidarität.(sas/mis/ste/22.09.2022)