Parlament

Christian Petry: Solida­rische Finanz­instru­mente sind keine Utopien

Christian Petry (SPD) spricht am Rednerpult im Plenarsaal.

Der SPD-Abgeordnete Christian Petry. (© DBT/Achim Melde)

Solidarische Wirtschafts- und Finanzinstrumente sind keine Utopien, sondern wirksame Mittel der EU, um betroffenen Mitgliedstaaten finanzielle Impulse für die Zukunft zu geben, sagt Christian Petry (SPD), Leiter der deutschen Delegation bei der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU (SWKS), nach der SWKS-Herbsttagung am 10. und 11. Oktober 2022 in Prag.

Im Interview spricht Petry über die aktuellen Krisen, die gemeinsame europäische Antwort darauf und über die Nachhaltigkeit der europäischen Finanzinstrumente. Das Interview im Wortlaut:

Herr Petry, die Nachwehen der Finanzkrise, die Covid-Pandemie, der russische Angriffskrieg, Energiekrise, Klimawandel  all diese Probleme wollen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten mit zusätzlichen Finanzmitteln angehen. Ziemlich viel auf einmal. Ist alles seriös durchdacht?

Für solche Krisen und den Umgang damit gibt es kein Lehrbuch. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine stellt eine Zäsur dar. Es ist richtig, dass wir in Deutschland und als Europäische Union besonnen, aber entschlossen auf die Krisen unserer Zeit antworten. Auf der diesjährigen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU konnten wir über die aktuellen Herausforderungen und die damit zusammenhängende Finanzierung dieser Krisen diskutieren. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg, die Covid-19-Pandemie oder die Herausforderungen des Klimawandels hat sich in Prag aufs Neue gezeigt, dass nur ein gemeinsames und europäisch abgestimmtes Vorgehen sinnvoll ist und nachhaltige Wirkungen erzeugt. Das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ sowie die darin enthaltene Aufbau- und Resilienzfazilität mit einem Volumen von circa 807 Milliarden Euro sind der richtige Weg, sich auf europäischer Ebene diesen Krisen in finanzpolitischer Hinsicht zu stellen. Hiermit haben wir in der Europäischen Union bewiesen, dass solidarische Wirtschafts- und Finanzinstrumente keine Utopien sind, sondern wirksame Mittel, damit der Zusammenhalt in Europa sichergestellt wird und den am stärksten von den heutigen Krisen betroffenen Mitgliedstaaten wichtige finanzielle Impulse für die Zukunft gegeben werden.

Enthalten die Finanzinstrumente neben Geldern für Nothilfe und Überbrückung genug Nachhaltigkeitskomponenten, im Blick auf die kommenden Generationen und den Klimaschutz?

Die Bewältigung des Klimawandels mit all seinen Herausforderungen muss auf europäischer Ebene koordiniert und umgesetzt werden. Mit dem Europäischen Green Deal, der Strategie zur Sicherung der europäischen Energieunabhängigkeit und dem „Fit for 55“-Programm hat die EU das Fundament für eine nachhaltigere Zukunft für alle Generationen gelegt. Mit Blick auf die angesprochene Aufbau- und Resilienzfazilität hat sich die Kommission im Grundsatz dazu entschieden, von 2021 bis 2026 circa 807 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufzunehmen, die bis spätestens 2058 vollständig zurückgezahlt werden müssen. Bislang wurden mehrere Anleihen emittiert, wobei die Laufzeiten von fünf bis 30 Jahren reichen und auch kurzfristige Anleihen von drei oder sechs Monaten Laufzeit seitens der EU ausgegeben werden. An diesen Anleihen wurde bislang ein hohes Interesse festgestellt. Bis Ende 2026 sollen so bis zu 250 Milliarden Euro über grüne Anleihen aufgebracht werden. Die EU wäre damit der größte Emittent grüner Anleihen weltweit. Genau diese Mittel sollen sodann ausschließlich für grüne und nachhaltige Investitionen in der EU verwendet werden. Insofern wird innerhalb dieses wichtigen Finanzinstruments auf den Nachhaltigkeitsaspekt großen Wert gelegt.

Die Reaktion auf Krisen ist das eine. Wie aber müsste eine europäische Wirtschaft aussehen, die krisenfester ist? Und wie könnte ein solcher wirtschaftlicher Umbau dauerhaft finanziell unterstützt werden?

Die Wirtschaft der Europäischen Union ist stark – spätestens nach dem Brexit und seinen wirtschaftlichen Folgen für Großbritannien muss dies jedem klar sein! Dennoch haben vor allem die Krisen in den letzten Jahren gezeigt, dass die Abhängigkeiten von Lieferketten oder auch die Abhängigkeit von anderen außereuropäischen Staaten im Zusammenhang mit Energie- oder Technologieexporteuren ein Problem darstellt, welchem begegnet werden muss. Wie bereits erwähnt, gibt es für Krisen keine Lehrbücher. Jede Krise erfordert ihre individuellen Lösungen. Aus meiner Sicht muss allerdings in diesem Kontext der Integrationsfortschritt, der mit dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ geleistet wurde, in eine EU-Fiskalkapazität für Investitionen verstetigt werden. Darüber hinaus muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterentwickelt werden – mit dem Ziel, Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, realistische Regeln zum Schuldenabbau zu verankern sowie zugleich die Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Paktes zu verbessern.

Worin besteht der Mehrwert einer großen Gemeinschaft wie der EU, wenn es gilt derartige Krisen zu überwinden?

Die russische Aggression gegenüber der Ukraine hat zuletzt gezeigt, dass die Europäische Union – wenn sie zusammensteht – der beste und geeignetste Akteur ist, schweren Krisen zu begegnen. Die EU hat beispielsweise mit der schnellen Verabschiedung der Sanktionspakete unter Beweis gestellt, zu welchen wirkungsmächtigen Entscheidungen sie in der Lage sein kann. Auch der Umgang mit dem Klimawandel – Schlagwort „European Green Deal“ – kann nur grenzüberschreitend erfolgen, denn der Klimawandel stoppt nicht an der Nationalstaatsgrenze, sodass auch die Kraftanstrengungen hier und im Übrigen auch die gebündelte europäische Expertise in diesem Bereich der einzige Weg sind, sich bestehenden und künftigen Krisen wirkungsvoll zu stellen. Die Institutionalisierung der Krisenprävention und -abwehr auf europäischer Ebene durch den gemeinsamen Austausch auf Regierungsebene, parlamentarischer Ebene und auch behördlicher Ebene halte ich hierbei für eine unabdingbare Voraussetzung. Dieser Austausch ist – das hat auch die SWKS-Konferenz in Prag gezeigt – gewinnbringend, denn nur gemeinsam können wir uns den Krisen unserer Zeit entgegenstellen! (ll/14.10.2022)