Parlamentariergruppe USA: Bilaterale Beziehung erlebt Honeymoon-Phase
Ob Ukraine-Hilfe, Energieversorgung oder Klimaschutz: So groß waren die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den USA lange nicht mehr, resümiert Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der Parlamentariergruppe USA im Deutschen Bundestag, die Gespräche mit amerikanischen Kolleginnen und Kollegen während der Delegationsreise vom 11. bis 15. September 2022 in den US-Bundesstaat Pennsylvania und in die Hauptstadt Washington. Dabei erlebten die deutschen Abgeordneten kurz vor den US-midterm elections ein politisch tief gespaltenes Land.
Mit mehr als 100 Abgeordneten ist die Parlamentariergruppe USA die mit Abstand größte und wichtigste Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Die Mitglieder der Gruppe pflegen gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im US-Repräsentantenhaus die bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen auf parlamentarischer Ebene. Sie tauschen Einschätzungen und Erfahrungen aus, bemühen sich um Kooperationsmöglichkeiten, öffnen Türen für die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, kommunizieren und erklären deutsche Belange und tragen umgekehrt die Sichtweise des Partnerlandes in den Deutschen Bundestag.
Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen
Aus den verschiedenen Formaten der Zusammenarbeit ragen die jährlichen Delegationsreisen heraus. Umso mehr nach der über zweijährigen Unterbrechung aufgrund der Pandemie, und nach der außenpolitischen Eiszeit in den bilateralen Beziehungen während der Präsidentschaft von Donald Trump, sagt Jürgen Trittin. Die jüngste Reise deutscher Parlamentarierinnen und Parlamentarier diente zudem dazu, Mitglieder des 2020 neu gewählten US-Kongresses und des 2021 neu gewählten Deutschen Bundestages zusammenzubringen. Delegationen deutscher Parlamentariergruppen gehören neben dem Vorsitz fünf Stellvertreterinnen und Stellvertreter an, so dass jede Fraktion im Bundestag eines der sechs Delegationsmitglieder stellt.
„Um die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zu erhalten und weiterzuentwickeln, um einander zu verstehen und gemeinsam Dinge wie die Klima- und die Ukrainekrise anzupacken, muss man sich möglichst regelmäßig von Angesicht zu Angesicht austauschen und sich aus eigener Anschauung ein aktuelles Bild vom Partnerland machen“, unterstreicht Trittin die Bedeutung der persönlichen Treffen für das bilaterale Verhältnis.
Im Rahmen des „Congress-Bundestag Seminar“ reisen seit fast vier Jahrzehnten jährlich wechselnd eine amerikanische Delegation der „Congressional Study Group on Germany“ und eine deutsche Delegation aus dem Bundestag zu einer mehrtägigen Visite ins Partnerland. Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sind traditionell eng und vertrauensvoll und umfassen eine unglaublich breite Palette an Themen und Politikfeldern, so Trittin. Das spiegele sich auch auf parlamentarischer Ebene wieder. Nicht zuletzt in der großen Zahl der Mitglieder der Gruppe und der Vielzahl der Treffen, im Rahmen der Delegationsreisen und darüber hinaus. Gespräche mit Kongressabgeordneten, Regierungsvertretern, Unternehmern, Vertretern der Zivilgesellschaft und Studenten standen auch beim diesjährigen 37. „Congress-Bundestag Seminar“ auf dem Programm.
Einblick in die US-Halbzeitwahlen
„Mit dem Delegationsbesuch in den USA wollten wir uns einen Eindruck von dem Land kurz vor den dortigen Midterm-Wahlen am 8. November verschaffen“, erzählt Trittin. Dem Land, dem Deutschland so viel verdanke: wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und seine freiheitlich-demokratische Staatsform. Einem Land, das aber nun mit großen gesellschaftlichen und politischen Problemen zu kämpfen habe, mit einer ungeahnten Polarisierung, getrieben von einem schamlosen Populismus, was eine Zerreißprobe auch für die dortigen Institutionen darstelle und sich an einer Reihe von Reizthemen im derzeitigen Wahlkampf im Vorfeld der „midterm elections“, zeige.
Um ein Gefühl für die gegenwärtige Stimmung in den USA zu bekommen, zu erspüren wohin das Land sich entwickelt und was das für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen bedeutet, haben die deutschen Abgeordneten im US-Bundesstaat Pennsylvania Gespräche sowohl mit Wahlkampfmanagern, als auch mit Angehörigen der Demokratischen und der Republikanischen Partei geführt sowie einer „Townhall Discussion“ mit Studenten beigewohnt und auf diese Weise ein breites Spektrum politischer Meinungen kennengelernt.
Der dreizehn Millionen Einwohner zählende Bundesstaat gilt als einer der sogenannten „purple states“ oder „swing states“, in denen die beiden großen konkurrierenden Parteien etwa gleichauf liegen und der Wahlausgang als sehr eng gilt. Bei den amerikanischen midterm elections werden alle 435 Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses und 35 der 100 Senatoren des Senats neu gewählt. In Pennsylvania finden zusätzlich Gouverneurswahlen statt.
Demokraten machen Boden gut
Als Transatlantikerinnen und Transatlantiker, die sich in den deutsch-amerikanischen Beziehungen engagieren, verfolgen die Mitglieder der Parlamentariergruppe USA die Stimmung im Land so kurz vor den midterm elections mit hohem Interesse. Wie stark werden sich die Machtverhältnisse zwischen der Demokratischen Partei von US-Präsident Joe Biden und der Republikanischen Partei verschieben?
Im Vergleich zum Frühjahr habe sich die Lage der demokratischen Partei verbessert, berichtet Trittin. Und obwohl es zu den politischen Gesetzmäßigkeiten in den USA gehöre, dass die Regierungspartei bei den „Midterms“ Verluste erleide, sei es nun keinesfalls mehr eine ausgemachte Sache, dass die Demokraten unter Joe Biden diesmal ihre Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verlören. Es könne sogar sein, dass die demokratische Partei im Senat ihre Mehrheit ausbaue, so Trittin. „Die Demokraten blicken jetzt deutlich zuversichtlicher auf den Wahltermin als noch vor wenigen Monaten.“
Wahlentscheidend seien vor allem politische Reizthemen, beispielsweise der Umgang mit dem gewaltsamen Putschversuch vom Januar 2021 oder das Urteil des Obersten Gerichtshofes zum Abtreibungsrecht und dessen Umsetzung in den Bundesstaaten. Obwohl von rechtskonservativer Seite anders geplant, konnten bislang vor allem die Demokraten gerade letzteres Thema für sich im Wahlkampf nutzen.
Viel hänge zudem von den für die Midterms aufgestellten Kandidaten ab. Und auch da könnten die Demokraten im aktuellen Wahlkampf in dem Bundesstaat beispielsweise mit dem lokalen Urgestein John Fetterman punkten, der um einen der Senatorenposten kandidiere. Fetterman spreche mit einer sozialpolitischen Agenda gerade auch die eher den Republikanern zugetane Gruppe der Industriearbeiter an. „Das hat einen deutlichen Mobilisierungseffekt. Damit konterkariert er Trump.“ Insgesamt hätten es die Demokraten geschafft, dass die Wähler die republikanische Partei, die vielfach radikale Kandidaten aufgestellt hätten, wieder stärker mit Ex-Präsident Donald Trump assoziierten. Was den Republikanern zwar unbeirrbare Trump-Fans zutreibe, viele andere Wählerinnen und Wähler jedoch abschrecke.
Tief gespaltenes Land, Institutionen unter Druck
Noch funktionierten die amerikanischen Institutionen. „Aber es ist ein gewaltiger Druck im Kessel“, sagt USA-Kenner Trittin. Immerhin seien viele der Republikaner und ihre Wähler davon überzeugt, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2020 gewonnen habe. Damit versuche ein beträchtlicher Teil der politischen Elite, die Legitimation von Wahlen zu untergraben. Ob diese Gruppe sich bei den bevorstehenden Wahlen weiterhin oder noch mehr Gehör verschaffen könne, hänge stark auch von der Wahlbeteiligung ab.
„Ich bin nicht mehr so pessimistisch wie im Frühjahr“, sagt der grüne Außenpolitiker. Selbst wenn die Demokraten bei den Wahlen im Herbst die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verlieren sollten, sei das kein Vorzeichen für einen möglichen politischen Erdrutsch bei den Präsidentschaftswahlen 2024, urteilt Trittin. Durch die Delegationsreise habe sich allerdings sein Eindruck verstärkt, dass die Vereinigten Staaten politisch und gesellschaftlich zutiefst gespalten seien, ein neuer, destruktiver Stil in die politische Auseinandersetzung eingezogen sei und der neue Umgangston selbst altehrwürdige Institutionen bedrohe. „Zurzeit ist die deutsche Demokratie stabiler als die US-amerikanische“, meint Trittin.
Deutschland und USA bei Ukraine-Hilfe Seite an Seite
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen Fragen der militärischen Unterstützung und der Energieversorgungssicherheit haben die Parlamentarier bei ihren Treffen mit Politikern beider Parteien und US-Regierungsvertretern in der US-Hauptstadt Washington DC erörtert. „Die innenpolitischen Diskussionen um die Ukraine-Hilfe sind die gleichen wie bei uns.“ Man habe natürlich auch in einer Delegation mit Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen kein ganz einheitliches Meinungsbild.
Trittin betont die hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Bundesregierungen in Berlin und Washington bei der Unterstützung der Ukraine. Die Vereinigten Staaten seien der größte und Deutschland der zweitgrößte Geber ziviler und militärischer Hilfe. Es gehe darum „die Ukraine so zu unterstützen, dass sie von Russland nicht überrannt werden kann, und sicher zu gehen, dass dieser Konflikt nicht zu einem Dritten Weltkrieg wird“.
Man sei gegenüber Russland Konfliktpartei, jedoch nicht Kriegspartei. Auch die USA lieferten keine weitreichende Munition und keine Kampfpanzer, da bestehe ein breiter Konsens. Aber sowohl Deutschland als auch die USA hätten Kiew mit Luftabwehr und Artillerie ausgestattet, um den Nachschub der Russen zu zerstören. „Diese Hilfe aus Deutschland und Amerika hat auf dem Schlachtfeld den Unterschied gemacht.“
Aktuelle Energiekrise beschleunigt Energiewende
Man habe auch darüber gesprochen, wie durch den russischen Angriffskrieg, die von dort ausbleibenden Energielieferungen und den Nachfrageschub nicht zuletzt aus Deutschland nach Flüssiggas (LNG) die Karten auf den Weltenergiemärkten neu gemischt würden. Einerseits habe in Washington die gute Nachricht untermauert werden können, dass man die Energienachfrage in Europa wenn auch zu höheren Kosten bedienen könne. So sei die Explorationsmethode des Frackings in den USA durch das höhere Preisniveau wieder rentabler geworden. Deutschland müsse in den kommenden Jahren in beträchtlichem Umfang LNG importieren und errichte dazu in Rekordzeit Terminals an Nord- und Ostsee. Ein Problem aber sei: Es gebe an der US-Ostküste noch keine ausreichenden Exportkapazitäten, also Häfen mit Terminals zur Verschiffung von LNG. „Und klar ist aber auch, dass auch LNG-Importe aus den USA nur ein Übergang sind. Denn wir müssen grundsätzlich weg von fossilen Energien, besser heute als morgen“ macht Trittin deutlich.
Der Winter ohne Energie aus dem Osten könnten Deutschland und die EU bewältigen. In vielen anderen Ländern, die sich LNG nicht mehr leisten könnten, sei die Situation allerdings sehr kritisch. Auch hierzulande gelte es darauf zu achten, dass die Energiepreise sozial abgefedert werden. Zudem müsse der Fokus momentan auf Energiesparen liegen. Denn Putins Botschaft sei eindeutig: Wer von fossilen Rohstoffen abhängig ist, ist nicht souverän. Über den aktuellen Notstand hinaus gelte es, die Energiewende voranzutreiben, die durch die hohen Energiepreise nun zusätzlichen Schub bekommen habe: „Grüner Wasserstoff wird wettbewerbsfähig“.
Bilaterale Honeymoon-Phase
Auch beim Klimaschutz liege es auf der Hand, dass Deutschland und die USA geneinsam vorangehen, findet Trittin. Die Regierung von Präsident Joe Biden beginne gerade damit, ein 375-Milliarden-Dollar-Budget für klimafreundliche Technologien auszugeben. „Ein gigantischer Markt entsteht da, der auch für deutsche Unternehmen interessant ist“, erinnert Trittin. Die Vereinigten Staaten könnten von deutschem und europäischem Know-how beim Netzausbau profitieren. „Da sind wir in Europa bereits weiter, transportieren Windenergie von der See nach Bayern, und haben bereits fünfzig Prozent volatile Grundlast in unserem Netz“, aufgrund der verschiedenen Zuflüsse erneuerbarer Energie. „Das wollen wir weiter ausbauen.“ In den USA aber habe jeder Bundesstaat sein eigenes zentrales Netz. „Für erneuerbare Energien funktioniert das nicht.“
In der Sicherheits-, Energie- oder Klimapolitik ebenso wie bei Handel und Wirtschaft seien Deutschland und die USA nach der Phase der Präsidentschaft Donald Trumps, der die EU als „worse than China“ bezeichnet hatte, wieder enger zusammengerückt. Nach der Eiszeit in nahezu allen Bereichen erlebten die bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen gerade „eine Honeymoon-Phase wie selbst unter Präsident Obama nicht“, in der die Gemeinsamkeiten überwögen, und in der neue Probleme oder unterschiedliche Sichtweisen, etwa beim Umgang mit persönlichen Daten, ganz normal, wie unter Freunden, geklärt werden könnten.
Zu den guten Zeichen gehöre, dass die Streitigkeiten zwischen den Flugzeugbauern dies- und jenseits des Atlantiks, Airbus und Boeing, bereits hätten beigelegt werden können. Die deutsche Seite interessiere natürlich auch, wann die unter Trump eingeführten Zölle im Automobilsektor von Washington wieder zurückgenommen würden. Insgesamt sei die neue „Congressional Study Group on Germany“ im Unterscheid zur vorhergehenden „von dem Geist geprägt, dass sie ihre Interessen besser mit Bündnispartnern umsetzen können“. Die Reisen deutscher und amerikanischer Abgeordneter belegten, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern, ja zwischen beiden Parlamenten, gerade „in sehr gutem Zustand sind“, resümiert der Vorsitzende der Parlamentariergruppe USA. „Wir freuen uns darauf, dass die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen im nächsten Jahr zu uns nach Berlin kommen.“ (ll/06.10.2022)