Experten: Länder des Nordens müssen Klimaschutzanstrengungen maximieren
Zeit:
Mittwoch, 28. September 2022,
18.30
bis 20.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800
Die reichen Länder des Nordens müssen ihrer Verantwortung als größte CO2-Emittenten gerecht werden, ihre Anstrengungen zum Klimaschutz maximieren, im Hinblick auf die bevorstehende Klimakonferenz COP 27 in Ägypten mit gutem Beispiel vorangehen und dem Süden bei der Bewältigung der dortigen humanitären Krise helfen, so die Klimaexperten in der öffentlichen Sitzung des Unterausschusses Internationale Klima- und Energiepolitik des Auswärtigen Ausschusses am Mittwoch, 28. September 2022, der sich mit dem Sonderbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) befasste. Je weiter man sich von dem im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten 1,5-Grad-Ziel entferne, umso schwieriger würden zudem Anpassungsmaßnahmen. Gegründet im Jahr 1988 als zwischenstaatliche Institution tragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit im Auftrag des IPCC den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen.
Anpassungsmaßnahmen stoßen an ihre Grenzen
Hitzewellen, Korallensterben, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit: Der aktuelle Sonderbericht des Weltklimarates stelle dar, dass die „menschengemachte Erwärmung in allen Regionen der Welt negative Auswirkungen“ habe, erklärte Dr. Tabea Lissner von der Nichtregierungsorganisation Climate Analytic. Mit jedem Temperaturanstieg über das im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 vereinbarte 1,5-Grad-Ziel (Begrenzung der Erderwärmung in diesem Jahrhundert) hinaus, würden die Auswirkungen des Klimawandels, Schäden und Verluste, sich zudem verstärken und immer aufwändigere Anpassungsmaßnahmen notwendig machen.
Bereits heute stießen Anpassungsmaßnahmen vielfach an ihre Grenzen. Werde es zu warm, funktioniere eine Bewässerungslandwirtschaft einfach nicht mehr. Und in küstennahen Regionen ließen sich die heutigen Lebensbedingungen nicht länger aufrecht erhalten. Sozioökonomisch schlechter gestellte Gruppen überall auf der Welt würden durch die Folgen des Klimawandels besonders belastet.
Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5-Grad-Ziel
So werde es selbst bei einem auf 1,5 Grad beschränkten Temperaturanstieg in Südeuropa zu Wasserknappheit kommen, von der ein Drittel der Bevölkerung und die Landwirtschaft betroffen sein würden. Eine extreme Hitzewelle und eine verheerende Flutkatastrophe: Pakistan sei in diesem Jahr von zwei Ereignissen heimgesucht worden, die ohne die Klimaerwärmung so nicht ausgefallen wären. Um den Weg einer klimaresilienten Entwicklung einzuschlagen sei eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad zwingend notwendig.
Die Unterzeichnerländer müssten dazu allerdings ihre freiwilligen Zusagen einhalten. Alle fünf Jahre müssten diese überprüft und verschärft werden. Wenn alle ursprünglichen Zusagen eingehalten würden, könne das 1,5 Grad-Ziel noch erreicht werden, so der aktuelle IPCC-Bericht. Die Umsetzung aller aktuellen Maßnahmen würde dagegen zu einer Erwärmung um 2,7 Grad führen. In einem optimistischen Szenario käme man auf 1,8 bis 1,9 Grad. Dabei gebe es gute Möglichkeiten, den Energieverbrauch ohne Wohlstandsverluste zu reduzieren.
Nord-Süd-Problem
Ein ungeheures Ausmaß an Zerstörung habe es in Pakistan infolge der jüngsten Extremwetterereignisse gegeben, sagte Asad Rehman von der Organisation War on Want. Die Hitzewelle von über 50 Grad und die Flutkatastrophe seien Vorzeichen dessen gewesen, was uns in Zukunft noch erwarte. Ärmere Länder des Südens wie Pakistan, die nur zu etwa ein Prozent der CO2-Emissionen weltweit beitrügen, seien dagegen überproportional höher betroffen von den Auswirkungen des Klimawandels, während der globale Norden für 85 Prozent des CO2-Ausstoßes stehe und mit den Klimafolgen besser umgehen könne.
Von weniger als fünf Dollar am Tag lebten fast 80 Prozent der Pakistaner. Diese Menschen würden nun umso mehr an ihre Grenzen stoßen. Beim langsamen Rückgang des Wassers würden sich in stehenden Gewässern Krankheitserreger ausbreiten, Menschen an Durchfall sterben. Die Landwirtschaft sei betroffen, der Boden zerstört. Bereits vor der Naturkatastrophe hätten sechs von zehn Menschen nicht genug zu essen gehabt. Nun verhungerten Menschen vor Ort. In Pakistan gebe es kaum Nothilfe, der Staat sei hoch verschuldet. „Die reichen Länder müssen helfen, ihren Beitrag leisten.“
Während bereits im Pariser Klimaschutzabkommen zu geringe finanzielle Mittel vereinbart worden seien, hielten die meisten Länder selbst diese Zusagen nicht ein. Es klaffe noch eine zu große Lücke zwischen den Notwendigkeiten des Klimaschutzes und dem, was geleistet werde. Abgesehen von einem stärkeren finanziellen Engagement müssten die Länder des Nordens ihren Energieverbrauch senken, die Umweltverschmutzung reduzieren und auch als Volkswirtschaften die natürlichen Belastungsgrenzen des Planeten anerkennen.
„Wenn Europa nicht vorangeht, wird niemand folgen“
„Länder wie Pakistan brauchen mehr als leere Worte“ von der Staatengemeinschaft, so Rehman. „Wir müssen mehr für die Widerstandsfähigkeit tun.“ Es brauche massive Investitionen, um die Ernährung der Menschen zu sichern und die Energiearmut zu überwinden. Viele könnten Lebensmittel nicht aufheben, weil sie über keine Kühlmöglichkeit verfügten. Aus dem Bericht des IPCC gehe hervor, dass Pakistan für Klimakatastrophen 14 bis 15 Mal anfälliger sei als die Industrienationen. In anderen Teilen der Welt sehe es nicht besser aus. So habe sich Puerto Rico fünf Jahre nach dem dortigen Hurrikan immer noch nicht vollständig erholt und sei weiterhin mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Daher fordere der Weltklimarat Maßnahmen gegen Armut.
Durch den Ukrainekrieg, die Gaskrise und die wieder steigende Bedeutung fossiler Energieträger würden die Klimaschutzbemühungen nun zurückgeworfen. Das Verhalten der entwickelten Länder, die gerade den Gasmarkt leerkauften, sei ein sehr schlechtes Vorzeichen für die anstehende Klimakonferenz COP 27 im November in Ägypten. Das sei das Gegenteil einer Vorbild- und Vorreiterrolle, verstärke strukturelle Ungerechtigkeiten zwischen Nord und Süd, sende die Botschaft, dass man es mit dem Klimawandel nicht so ernst meine und gefährde die Vereinbarung neuer, ambitionierter Maßnahmen. So werde es „immer unwahrscheinlicher dass wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen“. „Wenn Europa nicht vorangeht, wird niemand in der Welt folgen.“ In die Gesellschaften der entwickelten Ländern müsse kommuniziert werden, dass es beim Klimawandel um einen echten Notfall gehe, der sofortiges, entschlossenes und gemeinsames Handeln erfordere. (ll/29.09.2022)