Rita Süssmuth und Bärbel Bas im Gespräch über Parität in Politik und Gesellschaft
Es ist Viertel nach acht, plötzlich geht das Licht aus. Schnell werden die Handytaschenlampen und die kleinen Leuchten eingeschaltet, die sich an den Lesetischen in der Bibliothek des Deutschen Bundestages befinden. „Schluss“ ruft jemand überrascht – doch nach Hause gehen will an diesem Abend noch niemand. Wenig später ist das Licht wieder an und die Diskussion geht nahtlos weiter.
Nach fast drei Jahren pandemiebedingter Pause findet an diesem Dienstag, 20. September 2022, erstmals wieder eine Lesung in der Parlamentsbibliothek statt. Zwischen Enzyklopädien, Handbüchern und Fachzeitschriften sitzen die Menschen dicht gedrängt, nur wenige Plätze sind leer geblieben. Auch einige Abgeordnete sind anwesend. Sie alle lauschen den Worten von Prof. Dr. Rita Süssmuth. Die ehemalige Bundestagspräsidentin stellt ihr Buch „Parität jetzt! Wider die Ungleichheit von Frauen und Männern. Eine Streitschrift“ vor.
Bas: Süssmuth ist für viele Frauen ein Vorbild
Gelesen wird an diesem Abend allerdings bis auf wenige Zeilen nichts. Vielmehr erzählt die Unionspolitikerin von ihrem Weg als Frau in die Berufswelt und Politik, von den Hürden, die sie nehmen musste und von den Hindernissen, die es als Gesellschaft auf dem Weg zur Gleichberechtigung noch zu überwinden gelte.
Süssmuth sei für viele Frauen ein Vorbild, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die durch den Abend führt. 1937 geboren, macht Süssmuth auf Wunsch des Vaters Abitur, geht an die Universität, studiert Romanistik und Geschichte in Münster, Tübingen und Paris. Als sie im Anschluss eine Anstellung suchte, sei sie mit der Diskriminierung von Frauen konfrontiert gewesen. Was ihr Mann davon halte, dass sie arbeite oder ob sie denn keine Kinder wolle. Solche Fragen seien ihr gestellt worden. Süssmuth habe daraus die Energie gefasst, etwas zu ändern. Ihre Politikkarriere beginnt 1981, zehn Jahre lang wird sie das Amt der Bundestagspräsidentin innehaben. Außerdem ist sie unter anderem Bundesministerin für Frauen.
„Meine Geduld ist am Ende“
Seit vielen Jahren macht sich Rita Süssmuth dafür stark, dass Frauen in der Politik mehr Gehör finden. „Meine Geduld ist am Ende“, sagt sie. Es sei an der Zeit, dass sich endlich etwas bewege. „Wir wollen Einfluss nehmen!“ Dabei sei es ihr wichtig zu betonen, dass ihre Streitschrift nicht als Werk gegen Männer verstanden wird. Süssmuth freue sich im Gegenteil besonders, dass auch viele Männer an diesem Abend den Weg zu der Veranstaltung gefunden haben: „Es ist kein Frauenthema, sondern ein Gesellschaftsthema.“
Mit Blick auf den aktuellen Bundestag merkt Bas an, dass es erstmals ein paritätisch besetztes Kabinett gebe und im Präsidium sogar mehr Frauen als Männer säßen. Keine Selbstverständlichkeit. „Nach der letzten Wahl hätten alle Verfassungsorgane von Männern besetzt sein können“, sagt Bas. Dass dies nicht so gekommen ist, liege auch am Druck aus der Gesellschaft. (des/21.09.2022)