Heftige Kritik in der Debatte zum Agrar-Haushalt
Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 8. September 2022, in erster Lesung mit dem Etatentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beschäftigt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) wiederholte, wie wichtig das Tierwohl sei. Für den dafür notwendigen Umbau von Ställen will sein Ministerium bis 2026 insgesamt eine Milliarde Euro investieren, für den Haushalt 2023 seien dafür 150 Millionen Euro vorgesehen. Özdemir wandte sich in der Debatte direkt an seine Koalitionspartner von der FDP, die sich bisher gegen die Finanzierung solcher Maßnahmen gestellt haben.
Am Nachmittag wurde bekannt, dass das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission, die in den letzten zwei Jahren im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Wege für den Umbau der Nutztierhaltung hin zu mehr Tierwohl erarbeitet hat, ihre Arbeit ruhen lassen wolle. Kern der Empfehlungen der Kommission ist die Einführung langfristiger staatlicher Tierwohlprämien bei schrittweiser Erhöhung des Tierwohlniveaus. Der Minister betonte, wie wichtig die Fleischproduktion in diesem Land sei. Würden Betriebe aufgeben, käme das Fleisch in Zukunft aus dem Ausland, und „das halte ich für keine so gute Idee“, sagte Özdemir.
Ernährungs- und Agraretat soll geringfügig wachsen
Der Etat des BMEL soll im kommenden Jahr zwar geringfügig steigen, doch kaum einer der Redner und Rednerinnen ließ ein gutes Haar an dem Plan. Der Einzelplan 10 des Regierungsentwurfs für den Bundeshaushalt 2023 (20/3100) sieht Ausgaben von 7,18 Milliarden Euro vor gegenüber 7,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Für gesetzliche Leistungen an Familien sind 11,45 Milliarden Euro eingeplant (2022: 10,76 Milliarden Euro).
Als Einnahmen sind 82,17 Millionen Euro anvisiert gegenüber 81,7 Millionen Euro im Jahr 2022. Größte Einzelposten sind die Zuschüsse zur Alterssicherung der Landwirte mit 2,48 Milliarden Euro (2022: 2,37 Milliarden Euro), gefolgt von den Zuschüssen zur Krankenversicherung der Landwirte über 1,48 Milliarden Euro (2022: 1,44 Milliarden Euro).
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) stehen im kommenden Jahr 1,28 Milliarden Euro (2022: 1,32 Milliarden Euro) Bundesmittel zur Verfügung. Davon sind neben den Mitteln für die reguläre GAK 48,16 Millionen Euro für den Sonderrahmenplan „Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels “ sowie 100 Millionen Euro für den Sonderrahmenplan „Maßnahmen des präventiven Hochwasserschutzes“ veranschlagt. Außerdem sind 160 Millionen Euro (2022: 190 Millionen Euro) für den Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“ und 175 Millionen Euro (2022: 150 Millionen Euro) für den Sonderrahmenplan „Ökolandbau und Biologische Vielfalt“ ausgebracht.
Zur Bewältigung der durch Extremwetterereignisse verursachten Folgen im Wald sowie für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel sind 121 Millionen Euro veranschlagt. Für den Umbau der Tierhaltung sind 150 Millionen Euro vorgesehen. Zusammen mit der Kofinanzierung der Länder können Fördermittel für die GAK-Maßnahmen von 2,11 Milliarden Euro abgerufen werden.
Kapitel: Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation
Das Kapitel Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation umfasst ein finanzielles Volumen in Höhe von 419,9 Millionen Euro (2022: 420,76 Millionen Euro). Davon sind 68,5 Millionen Euro für die Förderung Nachwachsender Rohstoffe veranschlagt. Gefördert werden können insbesondere Forschung und Entwicklung. Weiterer wesentlicher Ausgabeschwerpunkt mit 52,25 Millionen Euro ist das Programm zur Innovationsförderung im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und gesundheitlicher Verbraucherschutz.
Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) wird mit 35,94 Millionen Euro gefördert. Außerdem sind insgesamt 45 Millionen Euro für das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) veranschlagt. Für die Digitalisierung im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und gesundheitlicher Verbraucherschutz sind 51,97 Millionen Euro – inklusive der Mittel aus den Konjunkturpaketen 42 und 43 – veranschlagt, und für das Bundesprogramm Nutztierhaltung sind 37 Millionen Euro vorgesehen.
Internationale Maßnahmen
Für den Bereich Internationale Maßnahmen sind Ausgaben in Höhe von 65,62 Millionen Euro vorgesehen (2022: 65,92 Millionen Euro). Das sind die Ausgaben für internationale Maßnahmen im Aufgabenbereich des BMEL. Dabei stehen vor allem die Sicherung der Ernährung, die Eindämmung des Klimawandels sowie die Kooperation mit internationalen Organisationen im Vordergrund. Ausgabenschwerpunkt sind mit 28,62 Millionen Euro die Beiträge an internationale Organisationen.
Wesentliche Ausgabeposition ist dort mit 25 Millionen Euro der Beitrag zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Für die Zusammenarbeit mit der FAO und anderen internationalen Organisationen im Agrar- und Ernährungsbereich stehen elf Millionen Euro zur Verfügung. Für die bilaterale technische Zusammenarbeit mit dem Ausland auf dem Gebiet der Ernährung und der Landwirtschaft sind insgesamt 17 Millionen Euro eingeplant. Im Rahmen des Titels zur Internationalen nachhaltigen Waldbewirtschaftung werden 5,51 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Weiterer Ausgabenbereich sind Maßnahmen zur Verstärkung der Außenhandelsbeziehungen im Agrar- und Ernährungsbereich mit 2,13 Millionen Euro.
Heftige Kritik von der Union
Von Seiten der CDU/CSU-Fraktion kam enorme Kritik. Steffen Bilger nannte Cem Özdemir als Landwirtschaftsminister einen „Totalausfall“. Die Politik des BMEL habe weder bei den Landwirten noch in der Bevölkerung eine Mehrheit. Im Entlastungspaket, das die Bundesregierung kürzlich präsentiert hat, kämen landwirtschaftliche Betriebe kaum vor.
Der nun vorgelegte Haushaltsplan bilde vor allem ab, was gesetzlich vorgeschrieben sei, die Sozialausgaben für die Landwirte. Andere Aspekte, wie zum Beispiel Innovation und der Einsatz neuer Technologien, kämen jedoch „viel zu kurz“. Mit diesem Haushalt seien die Herausforderungen, vor denen die Landwirte stünden, nicht im Ansatz realisierbar.
Debatte wurde unterbrochen
Inmitten der Debatte gab Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU/CSU) den Tod des britischen Staatsoberhauptes Königin Elisabeth II bekannt, die Monarchin sei mit 96 Jahren verstorben. Das Plenum erhob sich zu einer Schweigeminute und setzte die Debatte, wie von Magwas gefordert, „angemessen“ fort.
SPD will nachverhandeln
Esther Dilcher (SPD) machte darauf aufmerksam, dass der vorliegende Haushaltsplan Punkte wie die stärkere Unterstützung von Staatswäldern nicht in dem Maße berücksichtige, wie das nötig sei.
Der nun zu Ende gehende Sommer habe gezeigt, wie sehr die Wälder unter dem Klimawandel litten. Die SPD-Fraktion werde in diesem Punkt deshalb noch nachverhandeln.
AfD kritisiert „Schlingerkurs ins Nichts“
Die AfD-Fraktion schloss sich der harschen Kritik der Union an. Peter Felser nannte die Arbeit Özdemirs einen „Schlingerkurs ins Nichts“. Landwirte, Winzer und Gärtnereibetriebe bräuchten „Stabilität und Planbarkeit“, doch das Gegenteil sei der Fall. Immer weiter steigende Preise und „immer neue Vorschriften“ ließen immer mehr Landwirte aufgeben.
Zu den gestiegenen Gas- und Strompreisen komme nun auch noch eine „Düngemittelpreis-Krise“. Der größte Hersteller in Deutschland habe vor wenigen Tagen angekündigt, seinen Betrieb zu schließen. „Das wird Folgen auf die Betriebe in der Landwirtschaft haben“, so Felser.
Linke: Trauerspiel für alle in der Landwirtschaft
Ina Latendorf (Die Linke) fand ebenfalls heftige Worte für den vorgelegten Einzelplan 10 und für die Arbeit der Bundesregierung. „Dieser Einzelplan ist ein Trauerspiel für alle Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten“, sagte sie. Lediglich 0,7 Prozent des Gesamthaushalts machten die Ausgaben für die Landwirtschaft aus. „Dabei hat die Ampel die Agrarwende versprochen“, sagte Latendorf.
14 Millionen Menschen in Deutschland könnten sich keine gesunde Ernährung leisten, weil sie nicht über die finanziellen Mittel verfügten, 26 Prozent Preissteigerungen habe es bei Lebensmitteln zwischen Januar und Juni 2022 gegeben, „die derzeitigen Preissteigerungen sind noch gar nicht miteingerechnet“, so Latendorf. Doch die Bundesregierung gebe die Gelder für Entlastungspakete aus und 100 Milliarden Euro für das Militär.
Grüne: Tierhaltungskennzeichnung soll kommen
Dr. Anne-Monika Spallek (Bündnis 90/Die Grünen) drehte den Spieß um und rechnete der Unionsfraktion vor, was in den vergangenen 16 Jahren in ihrer Verantwortung für das BMEL nicht erreicht wurde. Am Beispiel des Tierwohls machte sie deutlich, dass „es längst eine verbindliche Tierkennzeichnung geben könnte“. Seit 2014 hätten zwei Agrarminister der Union dafür gesorgt, dass dieses Thema nicht abschließend geklärt wurde.
Die Ampelkoalition werde nun dafür sorgen, dass diese Kennzeichnung komme und zwar, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen sei. Unterstützung bekam Spallek von ihrer Fraktionskollegin Christina-Johanne Schröder (Bündnis 90/Die Grünen), die die Vorschläge von Minister Özdemir lobte und die Wichtigkeit „für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft“ betonte.
FDP: Landwirte-Bashing muss aufhören
Dr. Gero Clemens Hocker (FDP) forderte ein Umdenken bei der Behandlung von Landwirten. „Das Landwirte-Bashing muss aufhören“, sagte der Liberale. Die Bevölkerung solle nicht nur Absichtserklärungen abgeben, sondern „die Bereitschaft an den Tag legen, für hochwertige Lebensmittel auch angemessene Preise zu zahlen“. Es sei nicht länger hinnehmbar, dass in Umfragen eine übergroße Mehrheit der Bundesbürger angebe, bereit zu sein, für Lebensmittel mehr Geld als bisher auszugeben, „sich an der Supermarktkasse aber anders entscheide“.
Seine Fraktion sei deshalb bereit, die von der Borchert-Kommission geforderte Mehrbelastung von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch mitzutragen, damit der Stallumbau für mehr Tierwohl begonnen werden könne. Allerdings solle damit ein Auflagen-Moratorium verbunden sein, dass bis zu 20 Jahre lang keine weiteren Auflagen folgten. „Wir wollen, dass die ländlichen Regionen auch in 20 Jahren noch eine Perspektive haben“, sagte Hocker. (nki/vom/08.09.2022)