Rainer Keller übernimmt Patenschaft für Oppositionspolitiker aus Bahrain
„Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit“, sagt der Bundestagsabgeordnete Rainer Keller (SPD, †) über den Oppositionspolitiker Hassan Mushaima aus Bahrain. Obwohl dieser bereits mehrfach inhaftiert wurde und nun seit über zehn Jahren im Gefängnis sitzt, sei Mushaima weiter politisch aktiv und sein Wille ungebrochen, sein Land hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verändern.
Im Mai dieses Jahres hat Keller eine Patenschaft im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Deutschen Bundestages für Mushaima übernommen. In dem Programm können sich Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Fraktionen für verfolgte Kolleginnen und Kollegen sowie Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler weltweit mit einer Patenschaft einsetzen.
Hassan Mushaima, seit drei Jahrzehnten eine Schlüsselfigur in der Opposition Bahrains, ist weiterhin offiziell Generalsekretär der Al-Haq-Bewegung, einer der wichtigsten Oppositionsbewegungen seines Landes und Mitglied einer Gruppe Oppositioneller, der sogenannten „Bahrain 13“, die auch während des Arabischen Frühlings von 2010 bis 2012 gegen das Königshaus von Bahrain protestierten. Er präge – selbst aus der Haftanstalt heraus – immer noch die Politik in seinem Land mit, so Keller, auch wenn es ihm aufgrund seiner derzeitigen Inhaftierung nicht möglich sei, die Position des Generalsekretärs auszuüben.
Mushaima kämpft für Menschenrechte
Nachdem Mushaima sich bereits an den Demonstrationen gegen das Herrscherhaus 1994, dem sogenannten „Aufstand der Würde“, beteiligt hatte, der „vom Regime brutalst niedergeschlagen“ wurde, so Keller, kam der Oppositionelle mehrfach in Haft und war dort zahlreichen Repressalien ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und die internationale Presse berichteten darüber.
Doch der in Bahrain und auch darüber hinaus in der arabischen Welt bekannte Politiker blieb standhaft. Das Merkmal der Standhaftigkeit charakterisiere Mushaima am besten, findet der SPD-Abgeordnete, der die Golfregion sehr gut kennt. Mushaima wolle mit seinen Mitstreitern dem Volk von Bahrain international verbriefte Rechte geben, die dieses bis heute nicht habe: Grundrechte, demokratische Beteiligungsrechte, freie Meinungsäußerung. Er kämpfe dafür, die Regierung des dortigen Herrscherhauses, das sich mit Repressalien und Waffengewalt gegen Andersdenkende an der Macht halte, durch eine demokratische Staatsform zu ersetzen.
Zu lebenslanger Haft verurteilt
Damit zog er sich seit seinen ersten Äußerungen und Auftritten den Zorn der Regierung zu. Im März 2011 wurde er in Folge der Proteste des Arabischen Frühlings erneut festgenommen und im Juni desselben Jahres durch ein Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Begründung für Strafe und Strafmaß: sein Versuch, die Regierung zu stürzen und die Monarchie zu beseitigen. Menschenrechtsorganisationen prangerten das Verfahren als unfair an.
Mushaima hatte an den Protesten teilgenommen, mit Gleichgesinnten das Oppositionsbündnis „Alliance for the Republic“ gegründet und zusammen mit anderen Oppositionskräften zur Umwandlung Bahrains in eine Demokratie aufgerufen. Die Regierung hatte seiner Meinung nach ihre Legitimation verloren, da sie gegen friedlich Protestierende mit schweren Waffen vorgegangen war. Die internationale Presse berichtete darüber.
Menschenunwürdige Haftbedingungen
In der Haft habe Mushaima wiederholt Folter, Erniedrigung und Misshandlung erfahren, weiß Keller. „Er lebt dort unter menschenunwürdigen Haftbedingungen.“ Trotz einer Diagnose auf Lungenkrebs und Diabetes wurde ihm dort eine ausreichende medizinische Behandlung verwehrt. Der gesundheitliche Zustand des mittlerweile 74-Jährigen habe sich während der Haft immer weiter verschlechtert. Momentan befinde er sich daher im Krankenhaus.
Die schlechte medizinische Versorgung in den meist überbelegten Haftanstalten des Landes wurde wiederholt von internationalen Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch angeprangert. Die Pandemie verschlechterte die Lage offenbar nochmals. Die Menschenrechtsorganisation, über die das Büro von Rainer Keller in Kontakt mit Hassan Mushaima steht, habe kürzlich über dessen Gesundheitszustand geschrieben: „Die Bedingungen im Kanoo Medical Center, unter welchen Mushaima derzeit festgehalten wird, sind sehr schlecht und gleichen einer Isolationshaft.“
„Kritik an der Staatsführung verhallt“
Hassan Mushaima befindet sich seit Juli letzten Jahres im Kanoo Medical Center (18. Juli 2021) und ihm wird eine nötige medizinische Behandlung angesichts seines derzeitigen Gesundheitszustandes verweigert. Zudem hatte er im Gefängnis die Möglichkeit sich zumindest ein wenig zu bewegen, wohingegen er im Kanoo Medical Center nicht einmal das Zimmer verlassen darf, um sich zu bewegen oder Sport zu treiben. Dies wird ihm konsequent verboten. Man könnte seinen derzeitigen Zustand also als Isolationshaft beschreiben.
„Die Staatsgewalt geht offenkundig äußerst repressiv gegen Hassan Mushaima und andere Menschenrechtler vor“, resümiert Keller die schwierige und bedrohliche Lage seines Schützlings. Er habe außerdem den Eindruck, dass die Repressalien in Bahrain in den vergangenen Jahren insgesamt zugenommen hätten. Es gebe in dem Land im Persischen Golf seit einigen Jahren keine unabhängigen Medien mehr, auch die Sozialen Medien würden überwacht. Bereits bei leichter Kritik an Staat und Regierung kämen User in Haft. Kritik an dieser Art der Staatsführung, ob von innen oder von außerhalb, sei bislang jedoch leider verhallt.
Keller: Müssen Aufmerksamkeit und Druck erzeugen
Die „Widersprüchlichkeit der Golfstaaten“ habe ihn „schon immer erschrocken“, erzählt Keller, der vor seiner Tätigkeit als Abgeordneter beruflich viel in der Region unterwegs war. So versuche Bahrain auch im Tourismus Fuß zu fassen, während dort gleichzeitig die Menschenrechte in großem Stil missachtet würden. Nach außen werde dabei aber ein ganz anderes, geschöntes Bild transportiert.
Er stehe mit Menschenrechtsorganisationen, aber auch mit dem Auswärtigen Amt in Kontakt, um sich über die aktuelle Lage zu informieren und geeignete Möglichkeiten aufzutun, Menschenrechtlern dort zu helfen und die Lage in dem Land zu verändern. Außerdem habe er sich kürzlich an den internationalen Dachverband von Automobilclubs und Motorsport-Vereinen, die FIA (Fédération Internationale de l’Automobile), gewandt „um diese bekannte Organisation für die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Bahrain zu sensibilisieren“, ein Land, in dem trotz massiver Menschenrechtsverletzungen jährlich ein prestigeträchtiges Grand Prix-Rennen ausgerichtet werde. „Damit bekommen wir mehr Aufmerksamkeit für das Thema und können Druck auf die dortige Regierung ausüben“, ist sich Keller sicher. In die Vergabekriterien von Sportorganisationen wie der FIA müssten dringend Menschenrechtsstandards einbezogen werden, so der SPD-Politiker.
„Drahtseilakt zwischen Menschenrechts- und Energiepolitik“
Von dem Botschafter Bahrains in Deutschland habe er eine faire Behandlung Mushaimas, dessen bedingungslose, sofortige Freilassung sowie die Achtung der Menschenrechte in dem Land gefordert, erzählt Keller.
Problematisch sei mittlerweile, dass die bahrainische Führung sehr enge Verbindungen zur Russischen Föderation pflege. Deutschland vollführe gerade einen Drahtseilakt zwischen Menschenrechts- und Energiepolitik, man habe sich in eine sehr missliche Lage manövriert. Das dürfe aber „nicht in die Richtung gehen, dass massive Menschenrechtsverletzungen in den Hintergrund geraten. Das gehört unbedingt aufs Tableau.“
„Mushaima sofort und bedingungslos freilassen“
Als einer der zentralen politischen Figuren der Demokratiebewegung Bahrains müsse Mushaima nun unbedingt geholfen werden, das habe höchste Priorität, zumal es dem Menschenrechtler und Oppositionspolitiker körperlich miserabel gehe, unterstreicht Keller, wie nötig sein Engagement sei. Schon aus gesundheitlichen Gründen müsse Mushaima dauerhaft aus dem Gefängnis entlassen werden, fordert der Bundestagsabgeordnete. Auch das Europäische Parlament hatte jüngst die bedingungslose Freilassung Mushaimas und weiterer politischer Gefangener in Bahrain gefordert.
Mit Mushaima selbst stehe er über dessen Sohn im Kontakt, erzählt Keller. Dieser sei sehr dankbar für die Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag. 2021 hatte Mushaimas Sohn durch einen 23-tägigen Hungerstreik vor der Bahrainischen Botschaft in London auf das Schicksal seines Vaters und seiner Mithäftlinge aufmerksam gemacht und eine ausreichende medizinische Versorgung sowie die Möglichkeit von Familienbesuchen in der Haftanstalt gefordert. Das Angebot einer Freilassung im September 2021 unter Auflagen lehnte Mushaima jedoch ab. Das PsP-Programm stelle eine gute Möglichkeit dar zu helfen, die Situation für verfolgte Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler zu verbessern, sagt Keller, der durch die amerikanische Organisation „Americans for Democracy and Human Rights in Bahrain“ auf Mushaima aufmerksam geworden sei. Die hätte angeregt, dass sich Parlamentsabgeordnete in dem Fall engagieren. Als Parlamentarier verfüge man über einige Einflussmöglichkeiten, die über das hinausgingen, was Menschenrechtsorganisationen in die Waagschale werfen könnten.
Hilfe in den Rahmen wertebasierter Außenpolitik stellen
Für ihn sei es zudem spannend, die Erfahrung im konkreten Einzelfall in seine politische Arbeit einfließen zu lassen. „Politik muss sich am Menschen orientieren“, sagt Keller, der sich als ordentliches Mitglied in den Ausschüssen für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sowie im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch mit den Themen Flucht und Migration beschäftigt.
Neben der Hilfe für Mushaima dürfe man als langfristiges Ziel nicht aus dem Auge verlieren, die Lebensbedingungen und die Menschenrechtssituation in Bahrain insgesamt zu verbessern. „Wir müssen ihm und seinem Land auch langfristig helfen.“ Beides müsse Hand in Hand gehen und sei nicht voneinander zu trennen: das parlamentarische Wirken im Einzelfall einerseits und die Politik der Bundesregierung, des Auswärtigen Amtes, andererseits.
Mehr noch als mit dem alten Konzept, dass sich ein politischer Wandel einfach durch wirtschaftlichen Handel vollziehen werde, müsse es heute darum gehen, die Beziehungen zu Ländern, in denen man etwas bewirken wolle, auf eine breitere Basis zu stellen. Im Sinne des Begriffs eines Wandels durch Annäherung müsse Deutschland mit einer wertebasierten Außenpolitik „wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben“, einen Austausch auf allen Ebenen anstreben. Nicht akzeptabel sei es umgekehrt, zu einem Land die Türen komplett zuzuschlagen. Ohne sich zum Kollaborateur mit einem Regime zu machen, müsse man doch weiter vorausschauen und sich Gesprächskanäle und Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft offen halten, ist Rainer Keller überzeugt. (ll/17.08.2022)
† Rainer Johannes Keller verstarb am 22. September 2022 mit 56 Jahren.