Experten: Bürokratie bremst Wiederaufbau nach Flutkatastrophe
Zeit:
Mittwoch, 6. Juli 2022,
10
bis 11.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.200
Beim Wiederaufbau der von der Flutkatastrophe im Juli 2021 betroffenen Regionen braucht es aus Sicht von lokalen Experten mehr Koordination und weniger Bürokratie. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am Mittwoch, 6. Juli 2022, deutlich.
„Wir schaffen den Wiederaufbau nur zusammen“
Markus Becker, Geschäftsführer eines Ingenieurbüros mit 50 Mitarbeitern in Bad Neuenahr-Ahrweiler, sprach von einer Riesenherausforderung, die private und die öffentliche Infrastruktur wieder instand zu setzen. Es gelte, die lokalen Experten in den Kommunen, die die technische Expertise haben, vor Ort besser zu unterstützen. „Wir schaffen den Wiederaufbau nur zusammen“, betonte er und forderte ein Gesamtprojekt-Management. Vor Ort brauche es einen Akteur, „der die Komplexität des Verwaltungsaufwandes auflöst“, sagte Becker. „Wir brauchen einen Hauptkümmerer vom Bund, der sagt, was geht und was nicht geht.“
Die Menschen in der Region seien erschöpft, zermürbt und enttäuscht, sagte der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen. Das hänge auch damit zusammen, dass die angebotenen Hilfen „keineswegs bürokratiearm sind“. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht aus Sicht des Bürgermeisters beim Hochwasserschutz. Im Flusseinzugsgebiet der Ahr gebe es „zwei Bundesländer, fünf Landkreise und zig Gemeinden“. Zuständig für den Hochwassersschutz seien die Gemeinden und Städte, die aber unterschiedliche Betroffenheiten und unterschiedliche Interessen hätten. Hier brauche es einen gesetzlichen Zwangszusammenschluss, so Orthen. Der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler plädierte zudem für die Verlängerung der Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld sowie der Antragsfristen für die Aufbauhilfen. Benötigt würden zudem Anpassungen im Baugesetzbuch und die Konkretisierung der energetischen Standards beim Wiederaufbau sowie finanzielle Mittel zu deren Umsetzung.
Forderung nach einfacheren Verwaltungsverfahren
Rolf Schmitt, „Dorfkümmerer“ bei der Hochwasserhilfe Marienthal, forderte eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren. Passiere das nicht, sei der Wiederaufbau in den nächsten Jahren gehemmt. Schmitt verwies darauf, dass die Verwaltungen vor Ort schon allein angesichts ihrer personellen Ausstattung „vollkommen überfordert und nicht in der Lage sind, dass zu leisten, was in der jetzigen Situation nötig wäre“. Aus seiner Sicht müsse dringend eine „Lex Flut“ auf den Weg gebracht werden, damit die vor Ort benötigten Fachleute von den Kommunen auch eingestellt werden können, was mit der aktuellen Eingruppierung nicht möglich sei. Schmitt sagte weiter, gerade bei der Zusammenführung verschiedener Gewerke fühlten sich die Experten vor Ort relativ alleingelassen. Damit Straßen zur Verlegung verschiedener Medien nur einmal geöffnet werden müssen, brauche es mehr Hilfe bei der Koordination.
Der Leiter des Projektbüros Wiederaufbau Ahrtal, Stefan Schmitt, bewertete das ähnlich. Das ganze Ahrtal sei im Grunde eine Baustelle, sagte er. „Daher bedarf es besonderer Koordinierung.“ Da die Straße im Ahrtal der Hauptverkehrsträger sei, komme ihr bei der Koordinierung eine besondere Rolle zu. Schmitt verwies auf Problematiken, die sich aus gesetzlichen Vorgaben ergeben würden. Dazu gehöre die Frage, inwieweit Denkmalschutz über das Allgemeingut des Hochwasserschutzes geht. Eine sehr intensive Beschäftigung mit diesem Thema koste dringend benötigte Zeit. Der Leiter des Projektbüros Wiederaufbau Ahrtal ging auch auf den Aufbaufonds ein, der Schäden durch die Flut abdecke. Nicht abgedeckt seien aber Folgeschäden, die im Rahmen des Wiederaufbaus entstünden, kritisierte er.
„Diejenigen, die das Ahrtal aufbauen, sind die Handwerker“
Der Heizungsbauer Frank Wershofen aus Heimersheim, Kreishandwerksmeister im Kreis Ahrweiler, sagte: „Wir dürfen uns selber nicht den Weg durch zu hohe Anforderungen und zu viel Verwaltung verbauen.“ Es brauche Vereinfachungen, um anpacken zu können. „Diejenigen, die das Ahrtal aufbauen, sind die Handwerker“, sagte Wershofen. Diese dürften aber bei ihren Bemühungen nicht gehemmt werden. Positiv bei dem ganzen Leid, „das wir erfahren haben und immer noch erfahren“, sei der Zusammenhalt der Handwerkerfamilie bundesweit. Von überall her hätten er und seine Kollegen Hilfe angeboten bekommen.
Prof. Dr. Jörn Birkmann vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart forderte, alle bekannten Informationen künftig besser in die strategischen Entscheidungen einfließen zu lassen. „Wir müssen Gefahren- und Risikokarten bei strategischen Entscheidungen über Investitionen stärker zu Rate ziehen und verschiedene Schutzwürdigkeiten besser beachten“, sagte Birkmann. Wegkommen müsse man hingegen von der Vorstellung, man könne das Wasser aus solchen Tälern raushalten oder man wisse genau, wo die Überschwemmungsgebiete liegen. (hau/07.07.2022)