Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben am Freitag, 8. Juli 2022, dem geplanten Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato zugestimmt. Mit der bereiten Mehrheit von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke wurde ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Ampelkoalition und der Union (20/2534) angenommen, der die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für eine Zustimmung von deutscher Seite regelt. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (20/2652) zugrunde.
Im Verlauf des Tages wird sich auch der Bundesrat mit der Vorlage beschäftigen, bei Zustimmung der Länderkammer steht einer Ratifizierung nichts mehr im Wege. Am vergangenen Dienstag hatten die Botschafter der 30 Bündnisstaaten im Nato-Hauptquartier in Brüssel in Anwesenheit der Außenminister der beiden nordischen Länder bereits die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnet. Eine formelle Beitrittseinladung Schwedens und Finnlands wurde Ende Juni beim Nato-Gipfel in Madrid beschlossen. Beide Länder hatten im Mai einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt
Staatsminister: Demokratische Mitte der Nato gestärkt
In der Debatte betonten die Vertreter von Bundesregierung, Koalition und Union den Zugewinn an Sicherheit für das Verteidigungsbündnis durch den Beitritt der beiden skandinavischen Länder sowie für diese selbst. „Die geplanten Beitritte Finnlands und Schwedens zum Nordatlantischen Verteidigungsbündnis sind von herausragender Bedeutung für uns und unsere Partner angesichts der Erschütterungen, die wir aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Europa und in der ganzen Welt erfahren“, sagte Dr. Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Dass beide Länder ihre Neutralität hinter sich lassen würden, sei auch ein „Vertrauensbeweis“ für das Bündnis. „Wir stärken heute die demokratische Mitte der Nato.“
CDU/CSU: Zugewinn insbesondere im Ostseeraum
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) bezeichnete den Beitritt beider Länder als Zeichen dafür, dass „Putins neoimperiale Politik“ krachend gescheitert sei. Der Entschluss Finnlands und Schwedens zeige, wie attraktiv die Nato sei: „Quicklebendig nach über 70 Jahren – nicht hirntot. Existenziell für die Sicherheit des Westens – nicht obsolet.“
Der Beitritt sei ein Zugewinn für das Bündnis, insbesondere für den Ostseeraum, insbesondere auch für Deutschland.
Lambrecht: Europäische Fußabdruck wird größer
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach von einer Stärkung jener Friedensordnung und Sicherheitsarchitektur in Europa, die Russlands Präsident Putin mit seinem brutalen Angriffskrieg zerstören wolle. „Er erreicht nur das Gegenteil von dem, was er sich erhofft hatte: Die Demokratien werden wehrhafter, sie rücken zusammen.
Der Westen, den er so verachtet, wird stärker, nicht schwächer.“ Lambrecht hob zudem hervor, dass der „europäische Fußabdruck“ in der Nato größer werde und die USA entlastet werde.
AfD: Zum Jubel besteht kein Anlass
Dr. Alexander Gauland (AfD) betonte, dass der Wunsch beider Länder nach größerer Sicherheit zu akzeptieren sei. „Zum Jubel besteht kein Anlass. Zu einem realpolitischen Willkommen schon.“
Die Einschätzung, dass die Ausdehnung der Nato von Russland nie akzeptiert worden sei und eine Ursachen für die „krisenhafte Zuspitzung“ in Europa sei, bleibe indes richtig. Es sei wichtig, dass keine Nato-Truppen oder Atomwaffen auf dem Territorium Finnlands und Schwedens stationiert würden.
FDP: Russische Außenpolitik ist gewalttätig
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) wandte sich gegen „Legendenbildung“. Das „Narrativ des bedrängten Russlands“ solle nur der Bemäntelung der Unterstützung einer russischen Außenpolitik dienen, die „expansionistisch, revisionistisch und gewalttätig ist“.
Den Abschied von der traditionellen Neutralität bezeichnete Lambsdorff als „dramatischen Wendepunkt“ in der Geschichte Finnlands und Schwedens. Ihr Beitritt zum Bündnis bedeute insbesondere für das Baltikum und den Ostseeraum einen enormen Sicherheitsgewinn.
Linke: Preis an die Türkei ist zu hoch
Dr. Gregor Gysi (Die Linke) verwies auf die Zugeständnisse, die Schweden und Finnland gegenüber der Türkei gemacht hätten in Bezug auf die Unterstützung bestimmter kurdischer Gruppen.
Der Preis, den die Nato an die Türkei zahlen müsse, sei „zu hoch“, sagte Gysi. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde „noch dreister werden nach seinem Erfolg“, er führe jetzt bereits „völkerrechtswidrige Kriege“ gegen die Kurden in Syrien und im Irak.
Grüne: Finnland und Schweden nicht nur militärisch stark
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem „großen Gewinn für die euroatlantische Sicherheit“.
Finnland und Schweden seien nicht nur militärisch sehr fähige Staaten, sondern auch „ein starke Stimme in der Welt für handlungsfähige Diplomatie, für Rüstungskontrolle, für zivile Konfliktbearbeitung und eine feministische Außenpolitik“.
SPD: Es gibt in Europa nur einen Aggressor
Michael Roth (SPD) wandte sich gegen die russische „Lügenpropaganda“, eine immer aggressivere Nato greife nach Osten aus, ignoriere russische Sicherheitsinteressen und stelle eine Gefahr für die Friedenordnung in Europa dar.
Allerspätestens seit dem Angriff auf die Ukraine sei klar: „Es gibt in Europa nur einen Aggressor, nur ein Land, das die Friedens- und Freiheitsordnung bedroht, und das ist Russland, und das ist Putin.“
Gesetzentwurf von Koalition und Union
Die Protokolle zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt beider Länder ist Grundlage einer förmlichen Einladung zum Beitritt. Erst nach Inkrafttreten der Protokolle, das heißt wenn jedes Nato-Mitgliedsland der Regierung USA als Verwahrer des Vertrags die Annahme der Protokolle gemäß ihres Artikel II notifiziert habe, könne der Nato-Generalsekretär den Regierungen Finnlands und Schwedens eine förmliche Beitrittseinladung übermitteln.
Mit dem angenommenen Gesetz sind den Angaben zufolge die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Annahme der Protokolle durch die Bundesrepublik Deutschland geschaffen worden. Ein Vertragsgesetz ist erforderlich, da die Protokolle die politischen Beziehungen des Bundes im Sinne von Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes regeln. „Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass die Nato-Beitritte der Republik Finnland und des Königreichs Schweden einen Beitrag zu Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum leisten werden“, heißt es in der Vorlage weiter. Der Beitritt werde an dem Tag vollzogen, an dem die Regierungen in Helsinki und Stockholm ihre Beitrittsurkunden bei der US-Regierung hinterlegen. Offen lässt der Gesetzentwurf das Datum der Unterzeichnung durch alle Nato-Mitgliedsländer. „Das Datum wird eingesetzt, wenn die Bundesregierung bestätigt, dass die Protokolle unverändert unterzeichnet worden sind“, heißt es dazu in der Vorlage. (ahe/ste/08.07.2022)