Zeit:
Freitag, 24. Juni 2022,
17.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Die Vorschläge der Koalitionsfraktionen zur Reduzierung des Gasverbrauchs in Deutschland stoßen in Teilen auf heftige Kritik bei Sachverständigen. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie zum Gesetzentwurf „zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften“ (EKWG) (20/2356) Freitag, 24. Juni 2022, deutlich.
Schaffung zusätzlicher Erzeugungskapazitäten
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, dem Strommarkt für einen befristeten Zeitraum durch Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zusätzliche Erzeugungskapazitäten zur Stromerzeugung mit den Energieträgern Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen Kraftwerke genutzt werden, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Durch diese zusätzlichen Erzeugungskapazitäten soll die Stromerzeugung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzt werden können, um Erdgas einzusparen. Die Maßnahmen sollen für einen befristeten Zeitraum gelten und spätestens am 31. März 2024 enden.
Für den Bereich der Gaskraftwerke soll durch die Neuregelung eine Verordnungsermächtigung geschaffen werden, um im Fall einer Gefährdung des Gasversorgungssystems sehr schnell den Einsatz von Gaskraftwerken beschränken zu können und dadurch den Gasverbrauch in der Stromerzeugung noch weiter senken zu können. Betreiber von Anlagen, die elektrische Energie durch den Einsatz von Erdgas erzeugen, sollen eine Strafzahlung (Pönale) leisten müssen.
Expertin: Teures Gas wird noch verteuert
Insbesondere die Pönale wurde von mehreren Sachverständigen sehr kritisch bewertet. Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sagte, damit werde das dann schon teure Gas noch verteuert. Vor allem bei der Wärmeversorgung sei das ein kritischer Punkt. Bei einer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage (KWK-Anlage) könne Gas nicht durch Kohle ersetzt werden. So werde die benötigte Wärmeversorgung noch teurer. „Das ist nicht hilfreich“, sagte Andreae.
Ähnlich sah das Matthias Dümpelmann von der 8KU GmbH, einer Kooperation acht kommunaler Energieversorgungsunternehmen. Während die Verbreiterung der Kohlebasis sinnvoll sei, jedoch Präzisierungen im Sinne der realistischen Umsetzbarkeit erfordere, bewirke die Reduzierung von gasbasierter Erzeugung durch Eingriff in die Preisbildung mit einer Gaspönale beziehungsweise der Beschränkung von Laufzeiten keinerlei Zusatznutzen. Der Ansatz sei jedoch mit erheblichen ökonomischen Risiken für Energieunternehmen und ihre Kunden verbunden und sollte daher gestrichen werden, verlangte Dümpelmann.
Gescheiterte Energiestrategien mehrerer Bundesregierungen
Der Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung, Frank Hennig, hält den Gesetzentwurf für ein Dokument des Scheiterns der Energiestrategien mehrerer Bundesregierungen. Ein breiter Energiemix anstelle der Fokussierung auf Erdgas hätte seiner Ansicht nach die Resilienz des Systems erhalten und außenpolitische Einflüsse reduziert.
Mit Blick auf die Emissionen sei der Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke der Reaktivierung der Kohlekraftwerke vorzuziehen, befand Hennig. Das im Gesetz festgeschriebene Festhalten am Kohleausstieg 2030 sei unter den Bedingungen von Krieg, Inflation, Rohstoff- und Materialmangel, Gasmangel und ungünstiger Demografie „nicht nachvollziehbar“.
Wechsel von der Netzreserve zurück in den Markt
Peter Hoffmann vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT TSO GmbH zeigte sich zufrieden mit dem Gesetzentwurf. Bedenken der Übertragungsnetzbetreiber seien aufgegriffen worden. Der Wechsel von der Netzreserve zurück in den Markt müsse prozessual abwickelbar sein, weshalb es einen Vorlauf brauche, der im Gesetz enthalten sei, sagte Hoffmann. Auch sei geregelt, dass die Übertragungsnetzbetreiber auch künftig über die Kapazitäten der Kraftwerke verfügen könnten. Gelöst werden müsse nun noch das Problem der vollständigen und unkomplizierten Erstattung der anfallenden Mehrkosten für die Übertragungsnetzbetreiber, die mit erheblichen Summen in Vorleistung gingen.
Vor ungewünschten Folgeschäden durch die Gaspönale warnte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer beim Verband Kommunaler Unternehmen. 40 Prozent der kommunalen Stromerzeugung sei gasgetrieben – im Wesentlichen durch KWK, sagte Liebing. Dort lasse sich die Erzeugung aber nicht technisch trennen. Wenn die Anlagen zur Wärmeerzeugung weiterlaufen, aber der erzeugte Strom nicht mehr verkauft werden könne, oder nur verbunden mit einer Strafzahlung, erhöhe das die Kosten für die Kunden. „Das halten wir nicht für vertretbar“, sagte er.
Kostenrisiken und ungenutztes Einsparpotentiale
Auch Christine Wilcken vom Deutschen Städtetag machte sich „große Sorgen um die Stadtwerke und alles was an der Kette hinten dran hängt“. Es entstehe zudem ein erhebliches Kostenrisiko für die Bewohner gerade in Geschossbauten. Diese gestiegenen Kosten müssten die Städte dann „sozialpolitisch reparieren“. Gäben die Stadtwerke die Kosten nicht weiter, steige die Gefahr von Insolvenzen, so die Kommunalvertreterin. Zumindest die KWK-Anlagen müssten von der Pönale-Regelung ausgenommen werden, verlangte sie.
Charlotte Loreck vom Öko-Institut forderte, schnell umsetzbare Maßnahmen zur Reduzierung des Stromverbrauchs zu ergreifen, bevor zusätzliche Erzeugungskapazitäten in den Strommarkt gebracht werden. In der Industrie könne ein Stromsparpotenzial von mindestens 10 Terrawattstunden (TWh) mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen kurzfristig erreicht werden, sagte sie. Jenseits des Stromsektors sollten alle Energiesparpotentiale genutzt werden, um sowohl Erdgas zu sparen, als auch für den Klimaschutz Effizienzpotentiale zu erschließen.
Ungewisse Entwicklung auf den jeweiligen Märkten
Hauptkritikpunkt von John A. Miller vom Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte, und KWK (AGFW) ist die „Nichtberücksichtigung der Fernwärme und ihres Beitrages zur Versorgungssicherheit sowie die Betrachtung der KWK-Anlagen fast ausschließlich aus der Perspektive des Strommarktes“. Dabei, so Miller, habe das Gesetz einen deutlichen Einfluss auf den Wärmemarkt. Dem werde die geplante Gas-Pönale nicht gerecht. Wenn auf das Instrument einer Pönale nicht verzichtet wird, müsse sichergestellt werden, „dass Fernwärmeversorger von der Pönale ausgenommen werden oder zumindest sachgerecht entschädigt werden“, verlangte Miller.
Steinkohlekraftwerke könnten im Marktbetrieb Gaskraftwerke verdrängen, sagte Hans Wolf von Koeller vom Kraftwerksbetreiber Steag. Dafür sei aber rechtliche Planungssicherheit nötig, die der Gesetzentwurf nicht liefere. Wenn Steinkohlekraftwerke von der Netzreserve in den Dauerbetrieb wechseln sollen, brauche dies einen Vorlauf von mehreren Monaten. Der Entwurf mache aber den zeitlichen Vorlauf nicht klar und auch nicht die Zeitdauer des Markteinsatzes, sagte Koeller. Ein On/Off-Betrieb sei jedoch nicht zu leisten.
Gesetzentwurf der Koalition
Bereits vor der im Februar 2022 begonnenen Ausweitung des seit der Annexion der Krim andauernden völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine sei die Lage auf den Energiemärkten sehr angespannt und schwierig gewesen, heißt es in dem Entwurf. Um die Energieversorgungssicherheit in Deutschland zu stärken, sollen dem Strommarkt nun weitere Erzeugungskapazitäten zur Verfügung gestellt werden - mittels Energieträgern, die nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich aus Russland importiert werden. Ziel des Gesetzentwurfs sei es, dem Strommarkt für einen befristeten Zeitraum durch Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zusätzliche Erzeugungskapazitäten zur Stromerzeugung mit den Energieträgern Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen Kraftwerke genutzt werden, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Durch diese zusätzlichen Erzeugungskapazitäten solle die Stromerzeugung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzt werden können, um Erdgas einzusparen. Die Maßnahmen sollen für einen befristeten Zeitraum gelten und enden spätestens am 31. März 2024. Außerdem sollen die Kraftwerke nur dann in den Strommarkt zurückkehren, wenn dies erforderlich sei, um eine Gefährdung des Gasversorgungssystems abzuwenden. Zur Stärkung der Versorgungssicherheit sollen auch Kraftwerke, die aktuell noch in der Sicherheitsbereitschaft gebunden sind, zum 1. Oktober 2022 in eine Versorgungsreserve überführt werden. Das Ziel, den Kohleausstieg idealerweise im Jahr 2030 zu vollenden, sowie auch die Klimaziele, bleibe davon unberührt, heißt es.
Für den Bereich der Gaskraftwerke soll eine Verordnungsermächtigung geschaffen werden, um im Fall einer Gefährdung des Gasversorgungssystems sehr schnell den Einsatz von Gaskraftwerken beschränken zu können und dadurch den Gasverbrauch in der Stromerzeugung noch weiter senken zu können. Diese Maßnahme werde aufgrund ihrer Eingriffsintensität mit einem Auslösekriterium verbunden: Sie könne erst bei einer Gefährdung des Gasversorgungssystems in Kraft gesetzt werden. Die Anwendung ist laut Entwurf nur für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten möglich. (mis/ste/22.06.2022)