Bundeskanzler Olaf Scholz will „Marshall-Plan“ für Wiederaufbau der Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich für einen „Marshall-Plan“ für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine ausgesprochen. In seiner Regierungserklärung am Mittwoch, 22. Juni 2022, zu den anstehenden Gipfeltreffen der EU in Brüssel, der Nato in Madrid und der G7-Staaten im bayerischen Elmau betonte Scholz, Europa stehe angesichts des russischen Angriffskriegs geschlossen an der Seite des ukrainischen Volkes. „Wir werden die Ukraine auch weiterhin massiv unterstützen – finanziell, wirtschaftlich, humanitär, politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen. Und zwar so lange, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht.“
Kanzler: Internationale Expertenkonferenz einberufen
Um langfristige Hilfe zu organisieren kündigte Scholz unter anderem an, im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft eine internationale Expertenkonferenz einberufen. Man müsse sich darüber verständigen, welche Investitionen die Ukraine am schnellsten voranbringen auf ihrem europäischen Weg, sagte der SPD-Politiker. Scholz kündigte zudem an, sich beim EU-Gipfel „mit allem Nachdruck“ dafür einzusetzen, dass sich die gesamte EU geschlossen für die EU-Perspektive für die Ukraine ausspricht: „27 mal Ja zum Kandidatenstatus“.
Auch mit Blick auf den Nato-Gipfel in Madrid sprach Scholz von einem Signal des Zusammenhalts und der Entschlossenheit. „Eine Partnerschaft mit Russland, wie sie noch das Strategische Konzept von 2010 als Ziel ausgegeben hat, ist mit Putins aggressivem, imperialistischen Russland auf absehbare Zeit unvorstellbar.“ Zugleich warnte der Kanzler davor, falsche Schlüsse zu ziehen. So wäre die Aufkündigung der Nato-Russland-Grundakte „unklug“, weil sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Propaganda nur in die Hände spielen würde.
CDU/CSU lobt Kiew-Besuch des Kanzlers
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU/CSU) begrüßte, „dass nun auch endlich die Lieferung der Waffen in Gang kommt“, die man gemeinsam im April für die Ukraine beschlossen habe und die Kanzler Scholz seit Wochen angekündigt habe. „Wir hätten es uns früher vorstellen können.“
Positiv wertete Merz, dass Scholz vergangene Woche gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis Kiew besucht hatte. „Das war ein wichtiges Zeichen der europäischen Solidarität mit diesem unverändert geschundenen Land und seinen Menschen.“ Dass Russland nun offenbar dabei sei, die Spannungen zu Litauen zu verschärfen, zeige, „dass wir in unserer Einschätzung richtig liegen, dass Putin in der Ukraine gestoppt werden muss. Wenn das nicht gelingt, macht er weiter.“
AfD kritisiert Russland-Sanktionen
Tino Chrupalla (AfD) stellte sich gegen die Sanktionen gegen Russland. Die Bundesregierung glaube, auf eine Kooperation mit einem der rohstoffreichsten Länder der Welt verzichten zu können. „Auch wir verurteilen den russischen Angriff auf die Ukraine“, betonte der AfD-Partei- und Fraktionschef. Aber nur Dialog und Zusammenarbeit könnten den Frieden wiederherstellen.
„Wir brauchen gute Beziehungen zu möglichst allen internationalen Partnern.“ Mit einem EU-Beitrittsversprechen an die Ukraine werde der Bevölkerung dort zudem eine Sicherheit versprochen, die niemals einzuhalten sei.
Grüne: Müssen Krisen gleichzeitig lösen
Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einer Gleichzeitigkeit der Krisen, die es auch gleichzeitig zu lösen gelte. „Unser Hunger nach fossilen Energien, der hat uns nicht nur in ein massives Sicherheitsrisiko“ und die Abhängigkeit von russischen Gas geführt, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende.
Dieser Hunger nach fossilen Energien sei auf der anderen Seite auch der „Brandbeschleuniger für die Klimakrise und trägt die Verantwortung dafür, wenn wir die Zukunft unserer Kinder zerstören.“ Neben kurzfristigen Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung in diesem Winter seien deshalb die eingeschlagenen Schritte auf dem Weg zur Energiewende so wichtig.
FDP nennt Kandidatenstatus „starkes Signal“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr betonte, vom EU-Gipfel könne mit dem Kandidatenstatus ein starkes Signal ausgehen. „Es geht um die Perspektive auf Freiheit, auf Wohlstand und auf Rechtsstaatlichkeit“, und damit um die Werte, die das russische Regime mit seinem Angriffskrieg fundamental bedrohe und zerstören wolle.
„Putin hat Angst vor Demokratie und Freiheit“, und genau diese Werte verteidige die Ukraine. Die Menschen dort wollten klar Teil der EU sein, die eben nicht für „aufgezwungen Gemeinsinn“ stehe, wie es der AfD-Vorredner Chrupalla dargestellt habe. „Welche ein Quatsch, die Realität straft Sie lügen.“
Linke kritisiert „Scheindebatte“
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) sprach sich gegen einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine aus. „Wer einmal in der EU ist, der kann nicht mehr ausgeschlossen werden, und wir alle wissen, dass die EU schon heute sehr problematische Mitglieder hat“, sagte der Vorsitzende der Linksfraktion.
„Wie soll denn ein Land, auf das es Raketen regnet, über 35 Beitragskapitel und mehr als 100.000 Seiten des Rechtsbestandes der EU verhandeln?“ Die Debatte um einen EU-Beitritt der Ukraine sei eine „Scheindebatte“. Gegenüber der Ukraine gelte: „Unterstützung ja, Hoffnung ja - aber keine falsche Hoffnung wecken.“
SPD: Deutschland liefert
Gabriela Heinrich (SPD) wandte sich gegen die verbreitete Lesart, die Bundesregierung lasse es an Unterstützung der Ukraine vermissen. Deutschland unterstütze als einer der größten Geber das Land nicht nur militärisch, sondern seit langer Zeit und umfassend finanziell, wirtschaftlich und humanitär. „Deutschland liefert“, und das werde international anerkannt.
Der Union warf Heinrich vor, diese Unterstützung kleinzureden. Der ukrainische Außenminister habe davon gesprochen, dass Deutschland „die erste Geige“ in Europa spiele. „Sie wollen uns glauben machen, wir bimmeln nur mit der Triangel.“
Entschließungsantrag der Union
Die Unionsfraktion hatte zur Regierungserklärung zwei Entschließungsanträge vorgelegt. Den ersten (20/2347) überwiesen die Abgeordneten zur federführenden Beratung in den Wirtschaftsausschuss. Darin forderte sie auf der Grundlage des Bundestagsbeschlusses vom 28. April 2022 unter anderem, die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine in Quantität und Qualität „unverzüglich und spürbar“ zu intensivieren sowie die Versprechungen im Rahmen der Ringtausch-Vereinbarungen, etwa mit Polen und Griechenland, „umgehend und vollumfänglich“ zu erfüllen. Hinsichtlich der Abgabe von sensitivem militärischem Material an die Ukraine sollte zudem Transparenz geschaffen werden, damit eine Einsichtnahme in der Geheimschutzstelle des Bundestages nicht nur einzelnen Abgeordneten gestattet ist.
Darüber hinaus sollen aus verfügbaren Beständen der Bundeswehr in größtmöglichem Umfang Rüstungsgüter direkt für die Ukraine bereitgestellt und unverzüglich dorthin geliefert werden, inklusive „schwerer Waffen“ wie gepanzerte Waffensysteme und Artilleriesysteme, weitreichende Aufklärungsmittel, Führungsausstattungen, Schutzausrüstungen, Mittel zur elektronischen Kampfführung, Gewehre, Munition, Flugabwehrraketen, Panzerabwehrwaffen sowie aller weiterer erforderlichen Mittel zur Bekämpfung der russischen Invasionstruppen.
Abgelehnter Entschließungsantrag der Union
Den zweiten Entschließungsantrag der Unionsfraktion wiesen die Abgeordneten gegen die Stimmen der Antragsteller und bei Enthaltung der AfD zurück. Darin hatte die Union gefordert, dass die Bundesregierung sich innerhalb der EU dafür einsetzen sollte, dass der Ukraine und der Republik Moldau eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union eröffnet und diesen Ländern auf dem Europäischen Rat am 23. / 24. Juni 2022 der Kandidatenstatus zugesprochen wird. Außerdem sollte sie sich im Rahmen der Verhandlungs- und Beitrittsprozesse dieser Länder dafür einsetzen, dass unterhalb der Vollmitgliedschaft ein neues Modell Möglichkeiten der Teilnahme an gemeinsamen Programmen wie zum Beispiel in der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie in den Bereichen Forschung, Energie, Verkehr oder Klimaschutz eröffnet.
Zudem sollte von den Kandidatenländern weiterhin konsequent die Erfüllung der Kriterien zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und dabei insbesondere eine verstärkte Korruptionsbekämpfung eingefordert werden. (hau/eis/irs/22.06.2022)