Auswärtiges

Ukrainischer Parlaments­präsident Stefantschuk wirbt für EU-Beitritt seines Landes

Der ukrainische Parlamentspräsident, Ruslan Stefantschuk, hat im Bundestag das Ziel eines EU-Beitritts seines Landes bekräftigt und für eine entsprechende Resolution des Bundestages für die Anerkennung als Beitrittskandidat geworben. „Die Ukraine ist Europa“, sagte der Rada-Vorsitzende am Donnerstag, 2. Juni 2022, bei einem Gespräch mit dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und dem Auswärtigen Ausschuss unter Leitung der jeweiligen Vorsitzenden, Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) und Michael Roth (SPD) im Beisein von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Es war die erste Auslandsreise des Politikers seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022.

Stefantschuk: Wollen keine russische Kolonie oder Pufferzone sein

Sein Land wolle nicht als „russische Kolonie oder Pufferzone“ enden, sondern „Teil der europäischen Architektur sein“, betonte Stefantschuk in seinen Eingangsworten, für die ihm die Abgeordneten lange stehenden Applaus spendeten. Dabei stellte der Politiker klar, dass die Ukraine kein beschleunigtes Verfahren erwarte, sondern die Kopenhagener Kriterien der Europäischen Union vollständig erfüllen wolle. „Dafür müssen wir noch viel dafür tun“, sagte Stefantschuk. Doch sein Land werde die erforderlichen Schritte gehen und könne selbst viel in die EU einbringen. „Wir werden Sie nicht im Stich lassen“, versprach Stefantschuk.

Er dankte Deutschland für seine politische, finanzielle und militärische Unterstützung sowie die Aufnahme von rund 800.000 Flüchtlingen, mahnte in der anschließenden Presskonferenz aber auch mehr Tempo bei den Waffenlieferungen an. Jeder Kriegstag koste rund hundert ukrainischen Soldaten das Leben, um die 500 würden täglich verletzt, sagte der Rada-Präsident. Dazu kämen tausende zivile Opfer. „Das sind Tage der Entscheidung.“ Um den Krieg, den die Ukraine auch für die Freiheit Europas führe, gewinnen zu können, brauche sie moderne und effiziente Waffen.

Mehrheit der Abgeordneten sichert Ukraine Unterstützung zu

Eine breite Mehrheit der Abgeordneten, mit Ausnahme der Parlamentarier der AfD-Fraktion, sicherte der Ukraine Unterstützung bei ihrem Beitrittsgesuch zu. Die EU sollte sich „nicht überhetzt, aber so rasch wie möglich“ erweitern und der Ukraine noch auf dem Gipfeltreffen Ende Juni den Kandidatenstatus erteilen, sagte Michael Roth. Im Bundestag gebe es dazu allerdings noch keine abgeschlossene Haltung, räumte er ein, über einen gemeinsamen Antrag müssten die Fraktionen noch beraten. Anton Hofreiter nannte den Kandidatenstatus ein wichtiges Signal gegenüber Russland, „dass wir bereit sind, unsere Werte zu verteidigen“. Michael Link (FDP) warnte, Russlands Präsident Wladimir Putin würde es als Ermutigung verstehen, wenn die EU der Ukraine den Kandidatenstatus jetzt nicht erteile.

Aus den Reihen der Opposition sprach sich Gunther Krichbaum (CDU/CSU) für einen Kandidatenstatus „ohne Wenn und Aber“ für die Ukraine, Georgien und Moldau aus. Er warf der Bundesregierung  zugleich ein zu zögerliches Verhalten bei den Waffenlieferungen vor. Dr. Gregor Gysi (Die Linke) betonte, er sei „uneingeschränkt“ für die Aufnahme der Ukraine als EU-Beitrittskandidat. Er fragte zugleich, ob dadurch die Sicherheit der Ukraine erhöht werde und wie eine europäische Friedensordnung nach Ende des Krieges aussehen könne. Für die AfD warnte Harald Weyel die Ukraine vor einer Integration in die „wirtschaftlich unterentwickelte“ und mit einer „schwachen Währung“ ausgestattete EU. „Sie sind dabei, ein Ticket auf der Titanic zu buchen“, sagte Weyel, begleitet von lautstarkem Protest der übrigen Fraktionen.

Bericht eines ukrainischen Abgeordneten aus Mariupol

An dem Gespräch nahmen auch zahlreiche Abgeordnete anderer Bundestagsauschüsse sowie ein ukrainischer Abgeordneter aus dem Wahlkreis Mariupol teil. Er berichtete den sichtlich bewegten Parlamentariern von der Situation in der von Russland besetzten Hafenstadt und den „barbarischen Taten“ der russischen Streitkräfte. Die Kämpfe hätten in der Stadt seinen Schätzungen zufolge mindestens 50.000 Zivilisten das Leben gekostet, darunter tausend Kindern. Die Stadt sei zu einem „Friedhof“ geworden, er selbst habe viele Freunde und Verwandte verloren.

Parlamentspräsident Stefantschuk hatte bereits am Morgen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsidentin Bas zu Gesprächen getroffen. Bas, die am 8. Mai auf Einladung ihres ukrainischen Amtskollegen nach Kiew gereist war, um dort den 77. Jahrestag des Kriegsendes zu begehen, sicherte der Ukraine im Ausschuss die weitere Unterstützung Deutschlands beim Kampf gegen Russland, dem Wiederaufbau des Landes und den Weg der Ukraine in die EU zu. „Die Ukraine hat das Recht, selbstbestimmt über ihren Weg zu entscheiden“, betonte Bas. „Deutschland steht dabei fest an Ihrer Seite.“ (joh/02.06.2022)