Kontroverse um CO2-Abgabe auf bestimmte EU-Importe
Zeit:
Mittwoch, 11. Mai 2022,
11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800
Auf ein unterschiedliches Expertenecho stößt der Vorschlag der EU-Kommission für einen Grenzausgleichsmechanismus für Kohlendioxid (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) für bestimmte Sektoren, um dem Risiko der Verlagerung von Treibhausgasemissionen (Carbon Leakage) entgegenzuwirken. Während bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Mittwoch, 11. Mai 2022, Anne Gläser vom Verein Germanwatch die zeitnahe Einführung eines klimapolitisch ambitionierten und kooperativ ausgerichteten CO2-Grenzausgleichs forderte, plädierte der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Söllner von der Technischen Universität Illmenau für einen Verzicht auf CBAM und die Beibehaltung der teilweise kostenlosen Zuteilung von EU-ETS-Zertifikaten als Instrument zur Kompensation der durch die Klimapolitik verursachten Kostennachteile europäischer Unternehmen.
Hauptziel des CBAM ist es, durch Regulierung der herstellungsbedingten Treibhausgas-(THG)-Emissionen von Waren bei ihrer Einfuhr in das Zollgebiet der EU das Carbon-Leakage-Risiko zu verhindern. Darüber hinaus soll der CBAM den EU-Emissionshandel stärken und die Industrie außerhalb der EU und ihre internationalen Partner dazu anregen, ihre Emissionen zu reduzieren. Der CBAM soll das Modell der kostenlosen Zuteilung von EU-Zertifikaten (EUAs) ersetzen.
Grenzausgleichsmechanismus und Handelspolitik
Aus Sicht von Matthias Blum vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) birgt der CBAM eine Reihe ungelöster Probleme in sich. So bestehe etwa das Carbon-Leakage-Risiko für Exporte weiterhin, da nur für Importe eine Regulierung geplant sei. Blum warnte davor, mit dem Grenzausgleichsmechanismus protektionistische Handelshürden aufzubauen, die zu Handelskonflikten führen könnten. Für einen CBAM brauche es ein international abgestimmtes Vorgehen.
Ziel eines Grenzausgleichsmechanismus müsse die umweltpolitische Lenkungswirkung sein, sagte Andreas Bodemer als Vertreter der IG Metall, und forderte, die Einnahmen aus einem Grenzausgleich zweckgebunden für die Gestaltung der Transformation zu verwenden. Der CBAM müsse zudem so gestaltet werden, dass er nicht gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstößt. Auch dürfe der Grenzausgleichsmechanismus nicht dazu führen, „dass der Produktionsstandort Europa einen Wettbewerbsnachteil auf dem Weltmarkt erfährt“.
Zuteilung von Emissionszertifikaten
Nach Auffassung von Anne Gläser von Germanwatch ermöglicht CBAM ein zeitnahes Ende der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten „und beschleunigt so die Industrietransformation in Richtung Klimaneutralität“. Unternehmen erhielten bei einem Wegfallen der kostenlosen Zuteilung „das volle Preissignal“ und damit einen stärkeren Anreiz für Investitionen in den klimaneutralen Umbau ihrer Produktion. Statt in den EU-Haushalt, wie aktuell geplant, müssten die Einnahmen gezielt zur Transformation verwandt werden, forderte Gläser.
Vorbehalte gegen den Kommissionsvorschlag gibt es beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Noch fehlten Antworten auf Fragen zu praktischer Umsetzbarkeit, den Auswirkungen auf komplexe Wertschöpfungsnetzwerke und auf handelspolitische Beziehungen sowie die Exporte, sagte BDI-Vertreterin Sigrid Linher. Außerdem könne die WTO-Kompatibilität nicht garantiert werden, was große Unsicherheit schaffe. Linher warb für eine längere Testphase. CBAM sollte aus Sicht des BDI nicht vor 2030 greifen, die freie Zuteilung von Zertifikaten bis dahin fortgesetzt werden.
Fragen zu internationalen Wettbewerbsfähigkeit
Als einen ersten Schritt zur Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU als Industriestandort und zur Verhinderung von Produktionsabwanderung aufgrund der hohen europäischen Energiepreise sieht Prof. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, den CBAM an. Der CO2-Grenzausgleich müsse aber nicht nur Grundstoffe, sondern auch nachgelagerte Produkte erfassen. Dies sei jedoch ohne internationale Koordination und gemeinsame Standards schwer umzusetzen. In seiner aktuell vorliegenden Ausgestaltung ist der CBAM nach Ansicht Hüthers nicht geeignet, den bisherigen Schutz vor Carbon-Leakage-Risiken weiter zu gewährleisten. Der CBAM stelle auch kein Klimaschutzinstrument im engeren Sinne dar, sondern solle den europäischen CO2-Preis flankieren, um für die Beibehaltung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Ohne Exportrabattierung würde dieses Ziel jedoch verfehlt.
Julia Metz von der Organisation Agora Industrie hält das CBAM für „sinnvoll und notwendig“. Das aktuelle Carbon-Leakage-System mit der kostenlosen Zuteilung sei nicht nachhaltig, betonte sie. Durch das Abschmelzen der kostenlosen Zuteilung könne das CO2-Preissignel seine volle Wirkung entfalten. Die erzielten Einnahmen müssten in eine gesamteuropäische Transformationsstrategie fließen, forderte sie. Außerdem, so Metz, stelle der CBAM einen Anreiz für globalen Klimaschutz dar. Internationale Handelspartner könnten so erkennen, „dass Europa mit seiner Transformation Kurs hält und sich Absatzmärkte für emissionsintensive Produkte schließen werden“.
Kritik am EU-Vorschlag
Der Emissionshandel mit der kostenlosen Verteilung von Zertifikaten habe bisher nicht zur Dekarbonisierung des Industriesektors beigetragen, sagte Viviane Raddatz von WWF Deutschland. Ihrer Ansicht nach sollte die kostenlose Zuteilung ab 2023 ganz eingestellt werden. „Bis dahin sollte der CBAM vollständig in Kraft treten“, so Raddatz. Eine längere Beibehaltung der kostenlosen Zuteilung - oder ihre Abschaffung über mehr als zehn Jahre, wie von der Kommission vorgeschlagen, sei zu langsam und würde Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie verzögern.
Für Prof. Fritz Söllner von der TU Ilmenau weist das vorgeschlagene CO2-Grenzausgleichssystem „weitaus mehr Nachteile als Vorteile auf“. Es verursache sehr hohe Kosten, trage nicht zu einer kosteneffizienten Emissionsreduktion bei und setze kaum Anreize zur Emissionsreduktion im außereuropäischen Ausland, befand er. Des Weiteren bestünden Umgehungs- und Missbrauchsmöglichkeiten, welche Anlass zu Streitigkeiten und Handelskonflikten geben könnten. Noch wichtiger, so Zöllner, sei die Gefahr für das Welthandelssystem durch wahrscheinliche Vergeltungsmaßnahmen der Handelspartner der EU, „da die WTO-Konformität des vorgeschlagenen Systems zumindest sehr zweifelhaft ist“. (eis/11.05.2022)