Zeit:
Montag, 9. Mai 2022,
14.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600
Der von der Fraktion Die Linke vorgelegte Gesetzentwurf (20/679) zur Wiederherstellung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten (Neues Vorkaufsrecht-Gesetz) ist am Montag, 9. Mai 2022, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen unter Vorsitz von Sandra Weeser (FDP) überwiegend auf Zustimmung bei Experten gestoßen. Allerdings bewerteten die Sachverständigen die VorLAGE als nicht weitreichend genug, um die Wohnbevölkerung in angespannten Wohnlagen vor Verdrängung zu schützen und die Mieten bezahlbar zu halten. Die Kritiker des Gesetzentwurfs bemängelten den Entwurf als zu vage formuliert und warnten unter anderem vor neuen Rechtsunsicherheiten.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte das kommunale Vorkaufsrecht für Mietwohnungen in angespannten Wohngebieten im November 2021 praktisch gestoppt. Um die gängige behördliche Praxis wieder zu ermöglichen, schlägt die Linksfraktion vor, Paragraf 26 Nummer 4 des Baugesetzbuches (BauGB) so zu ändern, dass es in den Erhaltungsgebieten auf zukünftige Nutzungen des Grundstücks ankommt.
Bedeutung des Vorkaufsrecht für Kommunen
„Dieses Instrument ist uns wichtig“, betonte Hilmar von Lojewski von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Der vom Gericht beanstandete Passus im BauGB müsse „repariert“ werden, um die Anwendung des Vorkaufsrechts durch die Kommunen schnell wieder zu ermöglichen. Um Rechtsunsicherheiten bei der Umsetzung zu vermeiden, empfahl er jedoch, auch § 27 BauGB zu ändern, in dem geregelt wird, wann der Käufer oder die Käuferin einer Immobilie das Vorkaufsrecht der Kommune abwenden kann. Es müsse sichergestellt werden, dass das Vorkaufsrecht nur dann abgewendet werden könne, wenn der Erwerber sich verpflichtet, die von der Gemeinde festgelegten Erhaltungsziele einzuhalten, sagte von Lojewski.
Für eine derartige Harmonisierung beider Paragrafen plädierte auch Dr. Andreas Hentschel von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Prof. Dr. Martin Kment von der Universität Augsburg empfahl außerdem, Paragraf 172 zur Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten (Erhaltungssatzung) mit in den Blick zu nehmen, um ein „in sich kohärentes System zu schaffen“. So werde den Gemeinden ermöglicht, mit den neuen Eigentümern milieuschützende Abwendungserklärungen zu vereinbaren.
Forderung nach Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit
Die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes, Dr. Melanie Weber-Moritz, sagte, ohne eine Reform sei das wichtige Instrument des Vorkaufsrechts „nutzlos und ausgehöhlt“. Um die Anwendung „rechtssicher und praxistauglich“ zu machen, schlug sie vor, eine Regelung in das Gesetz aufzunehmen, wonach eine widersprechende künftige Nutzung insbesondere bei einem hohen Kaufpreis anzunehmen sei sowie dann, wenn der Eigentümer sich weigert, eine Erhaltungserklärung abzugeben. Eine Alternative wäre es, grundsätzlich ein Vorkaufsrecht festzulegen. Dieses sollte nur abgewendet werden können, wenn der Käufer oder die Käuferin sich zur Einhaltung der Milieuschutzziele verpflichtet.
Die Berliner Anne-Kathrin Krug berichtete im Ausschuss über ihre Erfahrungen als Mieterin eines Neuköllner Wohnhauses, das verkauft werden soll. Um alteingesessene Mieter wie sie vor Verdrängung zu schützen, müsse die Bundesregierung schnellstmöglich die bisherige Vorkaufspraxis wieder ermöglichen, forderte sie. Der Gesetzentwurf der Linksfraktion sei zwar „spartanisch“, doch bevor ein in sich kohärentes System entwickelt werde, sei es „jetzt wichtig zu handeln“. Darüber hinaus betonte Krug die Notwendigkeit, die Selbstbestimmung von Mietern zu stärken und mehr Transparenz über den Verkaufsprozess und Abwendungsvereinbarungen herzustellen.
Kritik an Rechtsunsicherheit und uneinheitlicher Anwendungspraxis
Einhellig gegen den Gesetzentwurf sprachen sich die Vertreter der Immobilienverbände sowie der Rechtsanwalt Dr. Mathias Hellriegel aus. Ihrer Ansicht nach bleiben die Maßstäbe für die Beurteilung der künftigen Nutzungsabsichten unklar. In der Folge drohten Rechtsunsicherheiten und eine uneinheitliche Anwendungspraxis. Um die bezweckte Verschärfung des Erhaltungsrechts durchzusetzen, müssten die erhaltungsrechtlichen Vorschriften selbst geändert werden, sagte Hellriegel.
Der Präsident des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V., Dirk Salewski, urteilte, die Mieter würden bereits durch andere Regelungen, etwa die Erhaltungssatzungen und das Mietrecht, geschützt. Außerdem sei das kommunale Vorkaufsrecht „ein sehr teures Instrument“. Allein in Berlin seien dafür mehr als 500 Millionen Euro aufgewendet worden. „Dieses Geld hätte es besser zielgerichtet etwa in den Neubau von Sozialwohnungen investiert.“
Behinderung oder Verhinderung von Neuinvestitionen
Oliver Wittke vom Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) warnte, eine Ausweitung der Vorkaufsrechte behindere oder verhindere schlimmstenfalls Neuinvestitionen. Um das Ziel zu erreichen, in dieser Legislaturperiode 400.000 Wohnungen neu zu bauen, gelte es, „alles zu unterlassen, was zur Verunsicherung von Investoren führt“. Zudem erlaubten es bereits die bestehenden Rechtsinstrumente des Städtebaurechts, Fehlentwicklungen einen Riegel vorzuschieben. Wittke und Hellriegel kritisierten zudem den Ausschluss bestimmter Sanierungsmaßnahmen, wie der energetischen Sanierung oder den Einbau eines Aufzugs, in einigen Abwendungserklärungen. Die energetische Sanierung diene dem Klimaschutz, sagte Hellriegel, ein Fahrstuhl der Barrierefreiheit. „So entwickelt man keine zukunftsfesten Wohnbestände“, urteilte Wittke.
Das Bundesbauministerium von Klara Geywitz (SPD) hat als Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts einen eigenen Gesetzentwurf zur Stärkung des kommunalen Vorkaufsrechts angekündigt, der es Gemeinden erlauben soll, in bestimmten Gegenden mit angespannter Lage auf dem Wohnungsmarkt, anstelle von privaten Investoren Häuser zu kaufen.
Gesetzentwurf der Linken
Das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten soll aus Sicht der Linksfraktion wiederhergestellt werden, um die Verdrängung der Bewohner zu verhindern. Damit die Gemeinden zu ihrer bisherigen Vorkaufsrechtspraxis zurückkehren können, soll Paragraf 26 Nummer 4 des Baugesetzbuchs geändert werden, um deutlich zu machen, dass es in den Erhaltungsgebieten auf zukünftige Nutzungen des Grundstücks ankommt.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 9. November 2021 entschieden, dass das Baugesetzbuch die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts auch in sozialen Erhaltungsgebieten ausschließe, wenn das Grundstück gegenwärtig entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt werde, schreiben die Abgeordneten. Einer in Rechtsprechung und Literatur weit verbreiteten Ansicht, wonach in sozialen Erhaltungsgebieten – entsprechend der dort verfolgten städtebaulichen Zielrichtung, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung vor gegenwärtigen wie künftigen Veränderungen zu schützen – auch und vor allem zu erwartende zukünftige Entwicklungen des betreffenden Grundstücks in den Blick zu nehmen seien, habe sich das Gericht damit nicht angeschlossen.
Diese Entscheidung entziehe der bisher in Berlin, Hamburg, München oder auch andernorts gängigen Vorkaufsrechtspraxis die Grundlage und führe im Ergebnis dazu, dass das Vorkaufsrecht in den Erhaltungsgebieten, vor allem in den sozialen Erhaltungsgebieten, kaum noch angewendet werden könne.
„Gängige behördliche Praxis ermöglichen“
Die Auswirkung auf die Haushalte sei abhängig von der Anzahl der ausgeübten Vorkaufsrechte, argumentieren die Abgeordneten. Zudem sei entscheidend, ob das Vorkaufsrecht zugunsten der Gemeinde oder gemäß Baugesetzbuch zugunsten eines Dritten ausgeübt werde. Im letzteren Fall könnten – je nach Beschlusslage in den Bundesländern – Eigenkapitalzuführungen zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Fördermittel zugunsten von Wohnungsbaugenossenschaften anfallen. Nach dem Baugesetzbuch sei vorrangig zu prüfen, ob eine Abwendungsvereinbarung in Betracht kommt, die mit ihrem Inhalt die Ziele des Erhaltungsrechts sichert und bei Abschluss das Vorkaufsrecht entfallen lässt. In diesem Fall würde der öffentliche Haushalt – mit Ausnahme von Personalkosten – nicht mit weiteren Ausgaben belastet.
Die personellen Kapazitäten in vielen Städten seien bereits hergestellt. Für deren Arbeit fehle derzeit die Rechtsgrundlage. Durch das Gesetz würde lediglich die gängige behördliche Praxis von vor dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 9. November2021 wieder ermöglicht. Für die aktive Nutzung des Rechts auf Vorkäufe beziehungsweise das Aushandeln von Abwendungsvereinbarungen werde zusätzliches Personal benötigt mit entsprechenden Personalkosten. (joh/nki/09.05.2022)