Wehrbeauftragte: 2021 war das Jahr der Bundeswehr
2021 war das Jahr der Bundeswehr„2021 war das Jahr der Bundeswehr“: Das hat die Wehrbeauftragte des Bundestages, Dr. Eva Högl, am Freitag, 29. April 2022, in der Debatte zum Jahresbericht 2021 (20/900) gesagt. Högl hat ihren Bericht zehn Minuten lang im Bundestag vorgestellt. Es folgte eine knapp 40-minütige Aussprache, ehe der Bericht zur weiteren Beratung in den federführenden Verteidigungsausschuss überwiesen wurde.
Högl begrüßt das geplante Sondervermögen
Die Truppe habe gezeigt, was sie kann. Bei der Amtshilfe oder beim Ende des Afghanistan-Einsatzes: „Die Bundeswehr war da, wo sie gebraucht wurde – professionell und zuverlässig“, befand Högl. Aktuell sei die Bundeswehr gefordert wie noch nie. Daher bräuchten die Soldatinnen und Soldaten beste Rahmenbedingungen, sagte die Wehbeauftragte und begrüßte ausdrücklich das geplante 100 Milliarden Euro-Sondervermögen und die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes.
„Das sind in schweren Zeiten gute Nachrichten für die Bundeswehr.“ Die Mittel müssten genutzt werden, um die volle Einsatzbereitschaft wieder herzustellen. Die Priorität sollte aus ihrer Sicht die persönliche Ausstattung der Soldaten sein, wofür der Bundestag 2,4 Milliarden Euro bereitgestellt habe. „Das Geld muss schnell und vollständig in der Truppe ankommen“, verlangte sie.
Ministerin will vollausgestattete und einsatzbereite Bundeswehr
Der Wehrbericht nenne die Mängel bei der Bundeswehr klar beim Namen, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Jetzt sei Handeln gefragt, „mehr denn je“. Die Entwicklungen des Ukrainekrieges machten deutlich: „Wir brauchen eine vollausgestattete und einsatzbereite Bundeswehr.“ Angesichts des massiven Investitionsbedarfes sei das 100 Milliarden Euro Sondervermögen so entscheidend, sagte die Verteidigungsministerin. „Wir sind nach den vielen Jahren des Mangels auf diesen Booster dringend angewiesen“, betonte sie.
Ebenso wie Högl monierte auch Lambrecht den geringen Frauenanteil in der Bundeswehr, der bei knapp über zwölf Prozent liegt. Das sei zu wenig. „Vielfalt in all ihren Dimensionen ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern bietet auch einen praktischen Mehrwert“, so die Ministerin. Studien zeigten schließlich, dass diverse Teams leistungsfähiger und erfolgreicher seien.
CDU/CSU: Angekündigte Zeitenwende konsequent durchziehen
Die 2015 bei der Bundeswehr angestoßenen Trendwenden zeigen aus Sicht von Kerstin Vieregge (CDU/CSU) erste Erfolge. „Wir waren auf einem guten Weg, und die Weichen wurden richtig gestellt“, sagte sie. Angesichts der grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Rahmenlage müsse dieser Kurs nun „bedrohungsgerecht intensiviert werden“, forderte Vieregge. Daher sei es unerlässlich, dass die Bundesregierung die angekündigte Zeitenwende konsequent durchzieht.
Signale aus der Ampelkoalition zeichneten aber ein anderes Bild, urteilte die Unionsabgeordnete. Beleg dafür seien der zweite Regierungsentwurf für den Verteidigungshaushalt und die stagnierende mittelfristige Finanzlinie, die Infragestellung der Zweckgebundenheit des Sondervermögens und der Hick-Hack-Kurs der Regierung bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, sagte Vieregge.
Grüne: Planungsvorgänge zu beschleunigen
Für Merle Spellerberg (Bündnis 90/Die Grünen) stellt der Wehrbericht eine Mängelliste dar. Als Abgeordnete eines Landes mit einer Parlamentsarmee fordere sie eine vollumfängliche persönliche Schutzausrüstung für die Soldaten, eine angemessen Unterbringung und Versorgung, die härteste Bekämpfung von Rechtsextremismus sowie Gleichberechtigung in den Streitkräften. Es müsse gelingen, Planungsvorgänge zu beschleunigen sowie dem Bau neuer und der Sanierung alter Bundeswehreinrichtungen eine höhere Priorität zukommen zu lassen, sagte Spellerberg.
Was die Verbesserung der persönlichen Ausstattung der Soldaten angeht, so habe die Bundesregierung schon erste Maßnahmen getroffen. Die Grünenabgeordneten betonte außerdem, dass Rechtsextremisten in der Bundeswehr nichts zu suchen hätten und der Frauenanteil gesteigert werden müsse.
AfD forderte mehr gesellschaftliche Anerkennung
Hannes Gnauck (AfD) betonte: Kernaufgabe der Bundeswehr sei die Landesverteidigung. Die im Wehrbericht aufgezeigten Mängel machten aber deutlich, dass die etablierte Politik die Bundeswehr nicht wie eine ernstzunehmende Armee behandle. Vielfach müssten die Soldaten Teile der Ausrüstung selbst beschaffen. Das könne aber nicht der Anspruch einer professionellen Armee sein, sagte Gnauck.
Der AfD-Abgeordnete forderte mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Beruf des Soldaten, anstatt ihn nur mit Geldanreizen attraktiver machen zu wollen. Kritik übte er an der Verweigerungshaltung der SPD zum Einsatz bewaffneter Drohnen. „Damit hätten viele Gefallene in Afghanistan verhindert werden können“, sagte er. Gnauck bemängelte auch die aus seiner Sicht fehlende Veteranenkultur. Dem Thema werde im Wehrbericht „nicht mal eine Viertelseite“ gewidmet. Zu Gender- und Vielfaltsideologien hingegen gebe es mehrere Seiten. „Ihre politischen Prioritäten haben nichts mit der Verantwortung für die Soldaten zu tun, die Sie in die Auslandseinsätze schicken“, sagte Gnauck.
FDP: Es geht um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Soldaten
Lars Lindemann (FDP) sagte, es gehe jetzt darum, die im Bericht aufgezeigten Unzulänglichkeiten zu beseitigen. In der Vergangenheit, so räumte er ein, seien aus den Wehrberichten offenbar nicht immer die richtigen Schlüsse gezogen worden. Die Wehrbeauftragte, so der FDP-Politiker weiter, müsse künftig noch stärker darauf eingehen, „ob die von uns in diesen Tagen auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Ertüchtigung unserer Bundeswehr tatsächlich und ganz besonders in der Wahrnehmung der Soldaten tatsächlich wirksam werden“.
Dabei gehe es um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Soldaten „und auch gegenüber unserem Land“. Dies sei notwendig, damit der eingeschlagene Weg der aufwendigen Ertüchtigung der Bundeswehr die Akzeptanz im Parlament aber auch in der deutschen Gesellschaft behält, so der FDP-Abgeordnete.
Linke moniert Missmanagement der politisch Verantwortlichen
Zaklin Nastic (Die Linke) verwies auf den innerhalb der vergangenen 20 Jahre verdoppelten Wehretat. „Wenn also etwas schief läuft, dann liegt das wohl nicht an mangelndem Geld“, sagte sie. Es liege vielmehr am völligen Missmanagement der politisch Verantwortlichen, an schlechten Verträgen und fragwürdigen Beraterverträgen.
Deutschland, so die Linken-Abgeordnete weiter, brauche dringend die 100 Milliarden Euro. „Aber nicht für weitere Aufrüstung sondern für Bildung, Gesundheit und gute Renten.“ Das seien die besten Waffen, sagte Nastic.
SPD: Überbordende Bürokratie bei der Beschaffung
Falko Droßmann (SPD) stellte die Verantwortung des Parlamentes für Probleme bei der Bundeswehr in den Fokus. „Wenn wir den Begriff der Parlamentsarmee ernst nehmen, ist es doch unsere Aufgabe, die nötigen Änderungen vorzunehmen“, sagte er. Das Parlament habe es in den vergangenen Jahren versäumt, die Bundeswehr mit dem auszustatten, was es für seine Aufgabenerfüllung braucht.
Droßmann bezog sich unter anderem auf die immer wieder angesprochene überbordende Bürokratie bei der Beschaffung. „Aber sind es nicht wir, die die Regeln aufgestellt haben, dass auch jede Tube Schuhcreme in einem langen Verfahren öffentlich ausgeschrieben werden muss“, gab er zu bedenken.
„Streitkräfte müssen modernisiert werden“
In ihrem Bericht begrüßt Högl die von der Bundesregierung angekündigte Einrichtung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro und die Erhöhung des Verteidigungshaushalts. „Um die Bundeswehr bei Material, Personal und Infrastruktur bestmöglich aufzustellen, braucht es Investitionen“, schreibt sie.
Die Streitkräfte müssten modernisiert werden, damit sie für ihren „Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung“ gerüstet seien. Die Dringlichkeit und Notwendigkeit habe der Angriff von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine „schonungslos“ offengelegt.
Materielle Defizite bei Auslandseinsätzen
Die Wehrbeauftragte moniert die materiellen Defizite der Bundeswehr in ihren Einsätzen in Mali, im Niger und in Litauen im Rahmen der Nato-Mission „Enhanced Forward Presence“. Die Einsatzbereitschaft von Großgerät habe „teilweise nur knapp 50 Prozent“ betragen. Alltägliche Ausrüstungsgegenstände wie Schutzwesten oder Winterjacken seien mitunter erst in das Einsatzgebiet nachgeschickt worden, was „völlig inakzeptabel“ sei.
„Im Ernstfall riskieren unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ihr Leben. Dafür haben sie Anspruch auf bestmögliche und vollumfängliche Ausstattung.“ Högl mahnt bei der Beschaffung der persönlichen Ausrüstung der Soldaten eine Vereinfachung des Vergaberechts an. Der Truppe komme es vor allem auf eine funktionale Ausstattung an, „die häufig auf dem freien Markt lieferbar ist und damit schnell zu beschaffen wäre“.
„Bundeswehr-Einsatz in Mali überprüfen“
Zudem fordert sie eine Überprüfung des Bundeswehr-Einsatzes in Mali. Der Einsatz in der Sahelregion gestalte sich in der Praxis aufgrund der sich „stetig verschlechternden politischen Rahmenbedingungen“ immer schwieriger.
„Ein erneuter Putsch in Mali und die undurchsichtigen Absichten der Militärjunta lassen viele Fragen offen – wie es in Mali, in der Region, mit dem internationalen und deutschen Engagement weitergeht“, schreibt die Wehrbeauftragte. Es sollte „sorgfältig und bedacht diskutiert werden“, ob oder wie der Einsatz fortgeführt werden soll.
„Hauptwaffensysteme nicht voll einsatzfähig“
Der verfügbare Bestand aller Hauptwaffensysteme der Bundeswehr sei „immer noch weit davon entfernt, voll einsatzfähig zu sein“, heißt es in Högls Bericht weiter. Den Klarstand, also die Einsatzfähigkeit des militärischen Geräts, gibt sie für Ende 2021 mit 77 Prozent an. Als Beispiel benennt Högl den Hubschrauber CH-53, der seit rund 50 Jahren zum Inventar der Bundeswehr gehöre und der die „niedrigste Einsatzbereitschaft der fliegenden Systeme der Luftwaffe“ habe. Aufgrund seines Alters sei er besonders störanfällig, es fehle an notwendigen Ersatzteilen. Daher sei es „misslich“, dass im vergangenen Jahr keine Entscheidung über das dringend notwendige Nachfolgemodell gefallen sei.
Sorgen bereitet der Wehrbeauftragten zudem die bauliche Infrastruktur der Truppe. So sei der Zustand von Unterkünften, Sanitäreinrichtungen, Truppenküchen und Sportplätzen zum Teil „desolat“. Es bestehe ein „erheblicher Investitionsbedarf“. Die zuständigen Landesbauverwaltungen seien personell nicht ausreichend aufgestellt. Hinzu kämen enge rechtliche Vorgaben sowie das Zusammenspiel verschiedener Akteure, die Sanierungen und Neubauten mitunter erheblich verzögerten.
„Afghanistan-Einsatz schonungslos analysieren“
Högl verweist in ihrem Bericht zudem auf den im vergangenen Jahr beendeten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Insgesamt hätten 59 Soldaten ihr Leben in Afghanistan verloren. Viele weitere seien seelisch und körperlich verwundet worden. Zum Ende des Einsatzes sei es der Bundeswehr gelungen, in nur elf Tagen mehr als 5.000 Personen nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. „Es war die größte, schwierigste und gefährlichste Evakuierungsmission in der Geschichte der Bundeswehr.“
Der Afghanistan-Einsatz müsse „schonungslos und umfassend“ durch die noch einzurichtende Enquete-Kommission des Bundestages analysiert werden. Högl forderte zudem für alle Auslandseinsätze eine Exit-Strategie, die auch die Ortskräfte der Bundeswehr umfasse. „Hier hätte in Afghanistan frühzeitiger und umfassender gehandelt werden müssen“, mahnt Högl.
„Amtshilfe im Inland darf kein Dauerzustand sein“
Ausdrücklich lobt die Wehrbeauftragte die Amtshilfe-Einsätze der Bundeswehr während der Corona-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern. In diesen Einsätzen habe die Bundeswehr ihre Einsatzfähigkeit bewiesen. Zum anderen seien aber auch „eklatante Defizite im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe offengelegt“ worden.
Es bedürfe grundlegender Reformen, um für künftige Pandemien und Naturkatastrophen „tragfähig und nachhaltig“ aufgestellt zu sein. Högl betonte, dass die Amtshilfe der Bundeswehr im Inland „subsidiär und kurzzeitig“ angelegt sei. „Sie ist und darf kein Dauerzustand sein“, stellt die Wehrbeauftragte fest. Kernauftrag der Bundeswehr sei die Landes- und Bündnisverteidigung.
„Anstrengungen für mehr Frauen in der Truppe notwendig“
Ausführlich geht die Wehrbeauftragte auch auf die Situation der Frauen in der Bundeswehr ein. Seit der Öffnung der Streitkräfte für Frauen in allen Laufbahnen vor 20 Jahren habe sich die Zahl der Soldatinnen von 5.800 auf 23.606, einschließlich 1.605 freiwillig Wehrdienst Leistende, im vergangenen Jahr erhöht.
Die anvisierten Quoten von 15 Prozent in allen Laufbahnen mit Ausnahme des Sanitätsdienstes und von 50 Prozent im Sanitätsdienst seien jedoch noch immer nicht erreicht. So liege der Anteil von Soldatinnen in der Bundeswehr insgesamt bei 12,85 Prozent und im Sanitätsdienst bei 41,08 Prozent. Es seien deshalb weitere Anstrengungen für mehr Frauen in der Truppe und vor allem in Führungspositionen notwendig. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 2.606 persönliche Eingaben von Soldaten und Soldatinnen bei der Wehrbeauftragten eingegangen. Im Jahr 2020 waren es 2.753. (hau/aw/29.04.2022)