Koalition und Union halten am Progressionsvorbehalt fest
Die Linksfraktion ist mit einem Vorstoß, das Kurzarbeitergeld durch Aussetzung des Progressionsvorbehalts vorübergehend steuerfrei zu stellen, im Bundestag auf Ablehnung gestoßen. Zwar wird das Kurzarbeitergeld steuerfrei ausgezahlt, es erhöht jedoch den persönlichen Steuersatz, so dass häufig nach dem Bezug Steuernachforderungen anfallen. Ein Antrag der Linksfraktion (20/1101), diesen Progressionsvorbehalt vorübergehend auszusetzen, wurde am Donnerstag, 7. April 2022, vom Deutschen Bundestag an den Finanzausschuss überwiesen.
Linke: Schwierige Situation für Menschen in Kurzarbeit
Die Probleme mit dem Progressionsvorbehalt griff Christian Görke (Die Linke) in der Debatte auf und ging auf die ohnehin schwierige Situation von Menschen in Kurzarbeit ein, die Angst hätten, ihre Arbeit zu verlieren, ihre Miete nicht zahlen zu können und mit dem Kurzarbeitergeld nicht über die Runden zu kommen. „Das letzte, was man dann noch in dieser bescheidenen Situation bekommen kann, ist Post vom Finanzamt mit einer Nachzahlung.“
Görke schilderte den Fall einer Köchin, die 40.000 Euro verdient und wegen einiger Zeit in Kurzarbeit 5.000 Euro Kurzarbeit bezogen habe. Die Frau müsse 652 Euro Steuern nachzahlen, „die ganz schön wehtun können“. Aufgrund dieser Sachlage seien Hunderttausende von Kurzarbeitern zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Die zusätzliche Steuerbelastung durch den Progressionsvorbehalt bezifferte Görke auf 3,5 Milliarden Euro im Jahr.
SPD: Abschaffung führt zu neuen Ungerechtigkeiten
Dagmar Andres (SPD) lehnte den Antrag ab, weil die Abschaffung des Progressionsvorbehalts zu neuen Ungerechtigkeiten führen würde. Denn warum solle jemand mit 40.000 Euro Verdienst und 5.000 Euro Kurzarbeitergeld genauso viel Steuern bezahlen wie jemand, der nur 40.000 Euro verdiene und keine Lohnerzsatzleistungen bezogen habe.
„Was soll denn dagegen sprechen, dass eine höhere Leistungsfähigkeit höhere Steuern verursacht?“, fragte Andres und verwies auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das gegen den Progressionsvorbehalt keine verfassungsrechtlichen Bedenken gehabt habe.
CDU/CSU will Besteuerung nach Leistungsfähigkeit
Die Linksfraktion wolle den anerkannten Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit aushebeln, kritisierte Olav Gutting (CDU/CSU).
Nur der Progressionsvorbehalt stelle die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit sicher. „Wer mehr verdient, wer leistungsfähiger ist, der muss natürlich höhere Steuern bezahlen als der, der weniger hat“, stellte Gutting fest.
Grüne: Aus gefühlter keine tatsächliche Ungerechtigkeit machen
Sascha Müller (Bündnis 90/Die Grünen), erklärte, emotional könne er das Anliegen der Linksfraktion nachvollziehen. Natürlich sei es ärgerlich, wenn man zuerst Kurzarbeitergeld bekomme und dann zeitverzögert über die Einkommensteuer wieder etwas zurückzahlen solle, obwohl das Kurzarbeitergeld eigentlich steuerfrei sei.
Wenn dem Antrag folgen würde, würde man jedoch aus einer „gefühlten Ungerechtigkeit“ eine tatsächliche Ungerechtigkeit machen, indem die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit ausgehebelt werde.
AfD: Wirkung des Progressionsvorbehalts ist enorm
Gerrit Huy (AfD) stimmte dem Vorstoß der Linken grundsätzlich zu, fragte jedoch andererseits, warum Die Linke nicht bereits einem früher gestellten ähnlichen Antrag der AfD zugestimmt habe. Die Wirkung des Progressionsvorbehalts für die Betroffenen sei enorm.
So seien von 12,6 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld im Jahr 2020 2,1 Milliarden wieder an den Fiskus zurückgeflossen. Ein Jahr später seien 8,1 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld gezahlt worden, 1,4 Milliarden Euro seien wieder an den Staat zurückgeflossen. „Das ist doch nicht fair“, kritisierte Huy.
FDP: Der Antrag kommt im Jahr 2022 zu spät
Auch wenn seine Fraktion die Aussetzung des Progressionsvorhalts schon selbst geforderte habe, lehnte Markus Herbrand (FDP) den Linken-Antrag ab. „Gute Ideen verlieren ihre Wirkung, wenn sie zum falschen Zeitpunkt kommen“, stellte Herbrand klar.
Im Jahr 2020 habe der Antrag seiner Fraktion eine gute und nachvollziehbare Agenda gehabt. Damals wäre es eine große Unterstützung für die Menschen und eine Unterstützung der Verwaltung gewesen. Jetzt im Jahr 2022 sei es zu spät, den Fehler der Großen Koalition zu beheben.
Steuerbelastungen von 3,5 Milliarden Euro
Steuernachzahlungen für Kurzarbeiter soll es aus Sicht der Linksfraktion nicht mehr geben. Wie es im Antrag der Linksfraktion heißt, soll der Progressionsvorbehalt nach dem Einkommensteuergesetz für die Veranlagungszeiträume 2020, 2021 und 2022 ausgesetzt werden. Auch die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung bei Bezug von Einkünften aus Lohnersatzleistungen soll für diese Veranlagungszeiträume ausgesetzt werden.
Wie die Fraktion erläutert, ist zwar das Kurzarbeitergeld steuerfrei, doch aufgrund des sogenannten Progressionsvorbehalts könne das Kurzarbeitergeld dazu führen, dass die übrigen steuerpflichtigen Einkünfte der Beschäftigten höher besteuert würden, als dies ohne das Kurzarbeitergeld der Fall wäre. Daraus ergebe sich für Kurzarbeiter auch die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung, deren Ergebnis eventuell die Aufforderung zu einer Steuernachzahlung sein könne. Unter Bezugnahme auf eine Antwort der Bundesregierung schreibt die Fraktion, dass sich aus dem Progressionsvorbehalt allein für die Jahre 2020 und 2021 Steuerbelastungen von 3,5 Milliarden Euro für Kurzarbeiter ergeben würden.
Eine Steuernachzahlung wäre eine zusätzliche Belastung für Menschen, die ohnehin schon besonders stark unter dem wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gelitten hätten. Dies gelte umso mehr, da viele Beschäftigte von der Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung überrascht worden seien und mit der etwaigen Steuernachzahlung nicht gerechnet hätten. Außerdem wird von der Fraktion Die Linke darauf verwiesen, dass die Regelung auch einen erheblichen Mehraufwand für Steuerberater und Finanzverwaltung bedeute. (hle/07.04.2022)