Streit über Corona-Krisenmanagement und Strukturreformen
Die seit mehr als zwei Jahren andauernde Corona-Pandemie hat auch die Debatte über den Gesundheitsetat für 2022 geprägt. Dabei ging es am Donnerstag, 24. März 2022, im Bundestag unter anderem um die allgemeine Impfpflicht sowie die immensen Ausgaben zur Eindämmung der Pandemie. Daneben spielten mittel- und langfristig nötige Strukturreformen im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) warnte bei der Einbringung seines Rekordhaushaltes in Höhe von rund 52,6 Milliarden Euro davor, die Pandemie jetzt schon abzuschreiben.
In der ersten Lesung des Einzelplans 15 des Bundeshaushalts 2022 (20/1000) betonte er: „Die Pandemie ist leider nicht vorbei.“ Dies werde auch beim Blick auf den Haushalt deutlich, der wesentlich größer ausfalle als ursprünglich geplant. Zwar sei Deutschland bisher mit einer relativ niedrigen Sterblichkeit durch die Coronakrise gekommen, allerdings seien 200 bis 300 Tote pro Tag und aktuell mehr als 300.000 Neuinfektionen inakzeptabel. Lauterbach betonte daher: „Es gibt keinen Freedom Day.“ Er warb für eine differenzierte Anwendung des geänderten Infektionsschutzgesetzes (IfSG) je nach regionaler Infektionslage.
Gesundheitsminister warnt vor Risiko für Ungeimpfte
Lauterbach ging auf die enormen Kosten für Impfstoffe, Bürgertests, Arzneimittel und Ausgleichzahlungen für Krankenhäuser ein. Das Geld sei sinnvoll eingesetzt, es werde nicht verschwendet, versicherte er. Vor allem die Krankenhäuser bräuchten zusätzliches Geld, sie trügen die schwerste Last in dieser Pandemie.
Der Minister verwies zudem auf die zusätzlichen Mittel in Milliardenhöhe für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und ging dabei auf künftige Belastungen ein. So sei damit zu rechnen, dass Long Covid in der Zukunft zu den wichtigsten chronischen Erkrankungen zählen werde. Er warb daher nachdrücklich für die Impfung und auch für eine allgemeine Impfpflicht. Lauterbach warnte: „Noch nie war das Risiko für die Ungeimpften so groß.“
CDU/CSU kritisiert „chaotische Kommunikation“
Tino Sorge (CDU/CSU) hielt der Bunderegierung eine chaotische Kommunikation in der Gesundheitspolitik mit völlig widersprüchlichen Aussagen vor. Das gelte auch für die langfristige Finanzierung des Gesundheitswesens. Es gebe offensichtlich keine Einigkeit in der Ampelkoalition, wie mit der Finanzierungslücke in der GKV umgegangen werden solle. „Wer solche Kabinettskollegen hat, braucht keine Opposition.“
Sorge mahnte, die Finanzierung des Gesundheitssystem sei eine Teamaufgabe. Auch bei der Anwendung des neuen IfSG seien gegensätzliche Hinweise aus der Koalition gekommen. „Jedes einzelne Projekt der Ampel ist ein Flop.“ Er rügte, es gebe keine erkennbare Vorhabenplanung des Bundesgesundheitsministeriums und nannte als Beispiele die Kassenfinanzen, die Pflegeversicherung oder die Strukturierung der Krankenhauslandschaft. Was die von Lauterbach angesprochene allgemeine Impfpflicht betreffe, gebe es dafür im Bundestag keine Mehrheit.
Grüne: Pandemie ist enorme Belastung für Klinikpersonal
Die Ärztin Dr. Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen) schilderte aus ihrer ganz persönlichen Sicht die teils dramatischen Zustände im Klinikalltag während der Corona-Pandemie und die enorme Belastung für das Personal. Es sei zwar Geld mit vollen Händen ausgegeben worden, um die Folgen der Pandemie abzufedern, aber mit Geld allein könnten keine Krankenhausbetten betrieben und Patienten versorgt werden. Notwendig sei ausreichend Personal, das sei aber teilweise nicht vorhanden.
An den Tarifverträgen habe sich nichts geändert, kritisierte die Grünen-Abgeordnete. Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen müssten sich deutlich verbessern, das Geld müsse gezielt für eine bessere Versorgung eingesetzt werden. Da sei in der Vergangenheit unglaublich viel schief gelaufen. Piechotta warnte, viele Mitarbeiter im Gesundheitswesen seien nach dieser langen Pandemie völlig ausgebrannt. Auch ein Corona-Bonus werde niemanden dazu bewegen, seine beruflichen Pläne zu ändern. Geld werde jetzt benötigt für eine Präventionsstrategie, bessere Arbeitsbedingungen und für eine bessere medizinische und pflegerische Versorgung insbesondere im ländlichen Raum.
SPD: Gesundheitssystem ist im Wandel
Auch Svenja Stadler (SPD) äußerte sich teilweise selbstkritisch zur bisherigen Gesundheitspolitik und forderte grundsätzlich neue Weichenstellungen. So fehle es an Fachkräften in Kliniken und Pflegeheimen, auch Ärzte fehlten, Apotheken müssten schließen, weil die Nachfolge nicht geregelt sei. Die Digitalisierung wertete sie insgesamt als eine Chance für das Gesundheitswesen. Sie mahnte, was vor Jahren noch funktioniert habe, sei heute veraltet. „Wir haben eben nicht effektiv gehandelt in der Vergangenheit, wir haben die falschen Wege genommen.“
Auch die Bundesländer seien ihrer Verantwortung nicht immer gerecht geworden, sagte die SPD-Abgeordnete. Die Gesundheitsfinanzierung müsse weiterentwickelt, das Gesundheitssystem zukunftstauglich gemacht werden. Der technologische Fortschritt sollte genutzt werden, um den Alltag zu vereinfachen. Der große Gesundheitsetat zeige, dass die Bürger nicht im Stich gelassen würden. Jedoch sei das Gesundheitssystem im Wandel.
AfD: Impfpflicht muss tabu sein
Nach Ansicht der AfD-Fraktion wird die Bevölkerung in der Coronakrise systematisch drangsaliert. Wolfgang Wiehle (AfD) sagte, es sei ein Unterschied, Politik für die Gesundheit zu machen oder mit Krankheit Politik zu machen. Die Regierung mache den Menschen in der Pandemie Angst, um sich dann als Retter in Szene zu setzen. Den Bürgern werde ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen. Das mache sich auch im Haushalt bemerkbar. Der Gesundheitsetat zeige eine „deutliche Aufblähung“ und sei so groß wie nie zuvor.
Die Impfkampagne sei völlig verfehlt. So seien Millionen von Impfstoffdosen bestellt worden. „Diese Bundesregierung rechnet mit einem Dauer-Booster-Zwangs-Abo für alle Deutschen.“ Der Ankauf von Impfstoffen koste Milliarden, viele Bürger hätten sich jedoch gegen Impfungen entschieden. Jetzt solle sogar die allgemeine Impfpflicht kommen. Wiehle warnte, damit würde das Vertrauen in den Staat für Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt. Eine Impfpflicht müsse tabu sein.
FDP: Impfen ist der Schlüssel
Karsten Klein (FDP) dankte hingegen allen Bürgern, die sich haben impfen lassen. „Impfen ist der Schlüssel, um diese Pandemie zu beenden.“ Die Corona-Pandemie sei nicht vorbei, es gelte darum, wachsam zu bleiben. Er attestierte der Bundesregierung ein erfolgreiches Krisenmanagement. Mehrere Corona-Wellen seien überstanden, der Bund agiere in der Pandemie sehr kraftvoll und investiere Geld in Krankenhäuser, den Gesundheitsfonds, in Tests und Impfungen sowie den Öffentlichen Gesundheitsdienst.
Klein forderte auch die Länder auf, ihren Anteil an den Investitionen zu leisten. Die Länder würden ihrer Verantwortung nicht immer gerecht, sagte er mit Blick auf die fehlenden Investitionsmittel für die Krankenhausinfrastruktur.
Linke fordert Reform des Gesundheitswesens
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) forderte, die Gesundheitspolitik müsse einen höheren Stellenwert bekommen und finanziell besser untersetzt werden. Sie nannte zum Vergleich das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr. Mit einem Sondervermögen Gesundheit könne viel erreicht werden, etwa eine Stabilisierung der Krankenkassenbeiträge. Krankenhäuser könnten saniert, Geburtskliniken oder Kinderkliniken eröffnen werden.
Lötzsch forderte eine Reform des Gesundheitswesens mit Einführung einer Bürgerversicherung. Die absurden Fallpauschalen im Krankenhaus müssten abgeschafft werden. Gesundheit sei keine Ware. Nötig seien gut bezahlte Jobs und gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.
Zuweisungen und Zuschüsse
Das Gros des Gesundheitsetats mit 51,71 Milliarden Euro (2021: 49,69 Milliarden Euro) bilden Zuweisungen und Zuschüsse. An die gesetzliche Krankenversicherung gehen 40,83 Milliarden Euro (2021: 35,49 Milliarden Euro), davon 21,73 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds für Belastungen, die durch die Sars-CoV-2-Pandemie verursacht wurden (2021: 13,49 Milliarden Euro) und 14,5 Milliarden Euro wie 2021 als pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
Die Ausgaben für Pflegevorsorge und sonstige soziale Sicherung schlagen mit 2,08 Milliarden Euro zu Buche (2021: 84,92 Millionen Euro). Eine Milliarde Euro ist eingestellt für die Prämien für Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Für die Prävention und für die Gesundheitsverbände sind insgesamt 8,54 Milliarden Euro in den Etat eingestellt gegenüber 14 Milliarden Euro 2021. Darin enthalten sind 6,3 Milliarden Euro als Zuschüsse zur zentralen Beschaffung von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 (2021: 8,89 Milliarden Euro) und 1,9 Milliarden Euro als Zuschüsse zur Bekämpfung des Ausbruchs des neuen Coronavirus (2021: 4,06 Milliarden Euro). (pk/vom/24.03.2022)