Schulze will Schwerpunkt auf feministische Entwicklungspolitik legen
Über den 16. Entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung (19/32715) hat der Bundestag am Donnerstag, 17. Februar 2022, beraten. Darüber hinaus debattierte der Bundestag erstmals über zwei Anträge der AfD-Fraktion mit dem Titel „Strategiewechsel in der Entwicklungspolitik – Entwicklungszusammenarbeit im deutschen Interesse“ und „Digitalpolitisches Entwicklungsland Deutschland fördern statt Blockchain-Geschäftsmodelle in Afrika“ (20/706). Beide wurden im Anschluss an die gut einstündige Debatte zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen.
Ministerin Schulze kündigt „Genderaktionsplan“ an
In ihrer Rede skizzierte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die entwicklungspolitischen Schwerpunkte der neuen Bundesregierung und kündigte „mehr Tempo“ an, um die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 zu erreichen. Ein besonderes Augenmerk wolle die Bundesregierung auf eine feministische Entwicklungspolitik legen. „Wer eine menschliche Gesellschaft will, der muss die männliche überwinden“, betonte Schulze.
Ziel müsse die gleiche politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe von Menschen, unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung, sein. Ihr Ministerium wolle dazu unter Beteiligung der Zivilgesellschaft einen umfassenden „Genderaktionsplan“ erarbeiten.
SPD: Grundlegender Wandel in der Entwicklungspolitik
Auch Rebecca Schamber (SPD) stellte einen „grundlegenden Wandel“ in der Entwicklungspolitik der Ampel-Koalition in Aussicht, „im Stil und in der Sache“. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium würden künftig mit einer Stimme sprechen und den vernetzten Ansatz stärken.
Eine feministische Entwicklungspolitik „macht schlicht und ergreifend Sinn“, ergänzte Schamber mit Verweis auf Untersuchungen. Die Zahlen belegten eindeutig, dass die Chancen auf einen Friedensvertrag und einen Erhalt des Friedens steigen würden, wenn Frauen an den Friedensverhandlungen beteiligt seien.
Grüne: Feministische Perspektive ist „Herzensanliegen“
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte Agnieszka Brugger, globale Gerechtigkeit und die Ziele der Agenda 2030 seien nicht Aufgabe eines einzelnen Ressorts, sondern müssten Leitmotiv für die gesamte Bundesregierung werden.
Nötig sei mehr Einsatz für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, die Stärkung der globalen Gesundheit und der globalen Impfgerechtigkeit. Eine feministische Perspektive in der Entwicklungszusammenarbeit sei außerdem „ein Herzensanliegen der Grünen“. Der Gedanke dahinter sei eine Politik, „von der am Ende alle profitieren“.
FDP: Entwicklungspolitik darf nicht abhängig machen
Nach Ansicht von Knut Gerschau (FDP) zeigt der 16. Entwicklungspolitische Bericht der Vorgänger-Regierung viele Erfolge, aber auch viele Schwachstellen auf. Künftige Schwerpunkte müssten aus Sicht der Liberalen eine bessere internationale Zusammenarbeit und Koordination, der globale Kampf gegen den Klimawandel, die Rechte von Mädchen und Frauen sowie eine stärkere Beteiligung der Privatwirtschaft sein.
Klar sei aber auch: „Entwicklungspolitik darf nicht auf Dauer abhängig machen.“ Ziel müsse es sein, dass die Partnerländer ihre Zukunft immer eigenverantwortlicher und selbstbewusster in die Hand nehmen.
CDU/CSU lobt Politik der Vorgängerregierung
Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) nannte die Entwicklungspolitik der Vorgängerregierung unter Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) eine Erfolgsgeschichte. So habe sie das Lieferkettengesetz zur Stärkung grundlegender Menschenrechte in globalen Lieferketten verabschiedet, private Investitionen gefördert und die Eigeninitiative der Partnerländer gestärkt. Seit 2020 setze das BMZ zudem ein weltweites Corona-Sofortprogramm in Höhe von 4,7 Milliarden Euro um.
Nicht zuletzt habe sich der Haushalt des BMZ von 6,3 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf rund 13,4 Milliarden in 2021 mehr als verdoppelt, sodass auch das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklung auszugeben, erreicht worden sei. „Wir werden schauen, ob es Ihnen gelingt, diesen furiosen Aufwuchs fortzusetzen“, sagte Kippels in Richtung von Ministerin Schulze.
AfD kritisiert „Bevormundung“ Afrikas
Dietmar Friedhoff (AfD) forderte die Bundesregierung auf, aufzuhören „mit eurozentristischem, klimafeministischen, queer-gegenderten, linksgrünen Kulturimperialismus“. Afrika sei nach 60 Jahren Entwicklungspolitik „kein bisschen weiter“ und fragiler denn je, die Bevölkerungsexplosion entziehe „jedem gedachten Erfolg wieder den Boden“.
Statt Bevormundung benötige der Kontinent Unterstützung bei der Gestaltung eines geschlossenen Binnenmarktes, dem Aufbau von Wertschöpfungsketten im Bereich der Rohstoffveredelung und der Umsetzung der Agenda 2063 der Afrikanischen Union.
Linke fordert mehr Tempo und Konsequenz
Cornelia Möhring (Die Linke) sprach sich für eine globale Umverteilung und die Freigabe von Impfstoffpatenten aus. Im Januar 2022 seien nur fünf Prozent der Menschen in ärmeren Ländern vollständig geimpft gewesen. Der schnelle Ausbau von Produktionskapazitäten sei daher wichtig. „Forschung, Pharmarzie und Gesundheit dürfen nicht dem Markt überlassen werden.“
Insgesamt brauche es mehr Tempo und Konsequenz in der Entwicklungspolitik, forderte Möhring. Mit Blick auf Afghanistan sprach sie sich für eine „doppelte Luftbrücke“ aus. Hilfsgüter müssten bei den Betroffenen ankommen, bedrohte Menschen das Land verlassen können.
16. Entwicklungspolitischer Bericht
Die Bundesregierung legt alle vier Jahre einen umfassenden Bericht zur Entwicklungspolitik vor. Neben dem Erreichten zeigt er auch aktuelle Herausforderungen und Schwerpunkte sowie mögliche Entwicklungen auf. Ein Kernthema des 16. Berichts ist der globale Klimaschutz. Der deutsche Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung sei von 2014 bis 2020 mehr als verdoppelt worden, schreibt die Bundesregierung – von zwei auf mehr als fünf Milliarden Euro. Das BMZ leiste rund 85 Prozent davon.
Des Weiteren macht die Bundesregierung auf das im Jahr 2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aufmerksam. Dies sei die bislang umfassendste Regelung, betont sie. Darüber hinaus hätten sich die Ausgaben für Bildung und berufliche Bildung von zehn Prozent (400 Millionen Euro) im Jahr 2013 auf 17 Prozent (mehr als eine Milliarde Euro) im Jahr 2020 erhöht. Mehr als eine Milliarde Euro würden jährlich zusätzlich in globale Gesundheit investiert.
Erster Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung unter anderem auf, die Ausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit sofortiger Wirkung zu beenden und die Ausgaben für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit vorerst schnellstmöglich auf das Niveau des Haushaltsjahres 2014 zu senken.
Auch sollen keine Globalbewilligungen an die kirchlichen Träger mehr gewährt werden und sie stattdessen nur noch bedarfsgerecht und projektbezogen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit beauftragt werden.
Zweiter Antrag der AfD
Die Bundesregierung soll laut dem zweiten Antrag der AfD-Fraktion ihre zukünftige Entwicklungspolitik auf Entwicklungshemmnisse an der digitalen Basisinfrastruktur der Partnerstaaten fokussieren und insbesondere „gesicherte Stromversorgung, Breitband-Internetanschlüsse sowie Zugang zu Computern“ fördern. Dabei solle sie Rahmenbedingungen zur Selbsthilfe gewährleisten und die Umsetzung von öffentlich geförderten Vorhaben und Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung mit messbaren Zielen hinterlegen und deren Erreichung systematisch überprüfen.
Darüber hinaus fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, die Förderung und Anwendung von Digitalisierung „nicht zur Umsetzung genderpolitischer oder anderer ideologiegetriebener Gesellschaftsmodelle zu missbrauchen, sondern die Technologie der Gesellschaft als Ganzes zur Verfügung zu stellen“. Bei einem geplanten Verbot sozialer Medien, wie dem Messenger-Dienst Telegram, solle sie sich auf die Bedeutung solcher Kommunikationsmittel für unterdrückte Menschen in autokratischen Regimen besinnen. (joh/hau/eis/irs/17.02.2022)