Evelyn Zupke sieht dringenden Handlungsbedarf für SED-Opfer
Die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, hat „dringenden Handlungsbedarf“ für die SED-Opfer angemeldet. In ihrem am Montag, 8. November 2021, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergebenen Bericht „Dringende Handlungsbedarfe für die Opfer der SED-Diktatur“ (20/10) regt Zupke eine Überarbeitung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze an und plädiert dafür, die gesundheitlichen Folgeschäden von SED-Opfern leichter anzuerkennen.
Abgeordnete können Stasi-Überprüfung beantragen
Darüber hinaus schlägt sie die Einrichtung eines bundesweiten Härtefallfonds vor, mahnt eine „zukunftsfeste Gestaltung des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer des Kommunismus“ an und empfiehlt, Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Erforschung des SED-Unrechts und seiner Folgen zu schaffen. Schließlich wirbt sie bei Bundestagsabgeordneten, die am 12. Januar 1990 das 18. Lebensjahr vollendet hatten, dafür, sich auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst überprüfen zu lassen. Bei der Bundestagspräsidentin könne ein entsprechender Antrag gestellt werden.
Zupke schreibt, mit der Einrichtung des Amtes der SED-Opferbeauftragten beim Bundestag sei ein weiteres Instrument geschaffen worden, damit die Anliegen der Opfer in Politik und Gesellschaft besser wahrgenommen werden. Wichtig ist es aus ihrer Sicht, zu beobachten, wie Behörden und Ämter die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze in der Praxis umsetzen. Beispielsweise sei bei Betroffenen, die in Jugendwerkhöfen untergebracht waren, festzustellen, dass bei teils gleichen Fallkonstellationen manchen Betroffenen eine Rehabilitierung zuerkannt wird, während die Anträge anderer Betroffener abgelehnt würden.
„Zweitantragsrecht gesetzlich verankern“
Als Beispiel für Opfergruppen, denen nur selten eine Rehabilitierung zuerkannt wird, nennt Zupke die Dopingopfer. Hier empfiehlt sie, die Definition der Opfergruppen anhand aktueller Forschungsergebnisse zu erweitern. Zudem stellt sie fest, dass die Rechtsprechung die Möglichkeit, nach abgelehnten Rehabilitierungsantrag einen Zweitantrag zu stellen, nicht einheitlich behandelt. Zupke plädiert hier dafür, ein Zweitantragsrecht im Gesetz zu verankern.
Die soziale Lage der Betroffenen verschlechtert sich nach Darstellung der Opferbeauftragten auch deswegen, weil die Ausgleichsleistungen aus dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz von 240 auf 180 Euro abgesenkt werden, sobald zusätzlich eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird. Hier rät sie, den bestehenden Satz der Ausgleichsleistungen für Erwerbstätige auch nach Renteneintritt zu zahlen und dem gesetzlich vorgesehenen Zeitraum für die Überprüfung der Leistungshöhe von fünf auf drei Jahre zu verkürzen, um schneller auf eine veränderte soziale Lage der Opfer reagieren zu können.
„Auf Anrechnung von Partnereinkommen verzichten“
Für zu niedrig hält Zupke die gesetzlich verankerte Bedürftigkeitsgrenze. Das Gesetz sieht das Vorliegen einer besonderen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage vor. Dass bei der Feststellung der Bedürftigkeit das Einkommen des Ehe- oder Lebenspartners einbezogen wird, hält die Opferbeauftragte für „nicht nachvollziehbar“. Auf die Anrechnung sollte ihrer Meinung nach verzichtet werden. Auch sollten die Voraussetzungen für die Ausgleichsleistungen nicht mehr jährlich, sondern nur alle drei Jahre überprüft werden.
Ausgleichsleistungen erhält nur, wessen Verfolgung bis 2. Oktober 1990 oder mehr als drei Jahre lang andauerte. Zupke will, dass auch bei kürzerer Verfolgungszeit Ausgleichsleistungen beantragt werden können. Um die SED-Opferrente inflationssicher zu gestalten, will sie die besondere Zuwendung für Haftopfer von 330 Euro an die allgemeine Lohn- und Rentenentwicklung koppeln.
Plädoyer für bundesweiten Härtefallfonds
Handlungsbedarf sieht Evelyn Zupke auch aufgrund mehrjähriger Verfahrensdauern, niedriger Anerkennungsquoten und wegen des zunehmenden Alters der betroffenen. So könnte auf Grundlage bestimmter Kriterien wie etwa politischer Haft der Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und dem Gesundheitsschaden als gegeben vorausgesetzt werden, um ohne umfassende Nachweise und Begutachtungsverfahren einen bestimmten Grad der Schädigung (GdS 30) anzuerkennen. Die Betroffenen sollten laut Zupke auch die Möglichkeit erhalten, ihre Gutachter selbst auszuwählen und zum Begutachtungstermin eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.
Zupke plädiert ferner für einen bundesweiten Härtefallfonds, um unabhängig vom Wohnort den Zugang zu Unterstützungsleistungen zu ermöglichen. Als Trägerin eines solchen Fonds könnte sie sich die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge vorstellen, die schon jetzt Leistungen aus dem Häftlingshilfegesetz vergibt.
„Widerstand der Frauen in der DDR würdigen“
Überarbeitet werden muss ihrer Auffassung nach das Gedenkstättenkonzept des Bundes. Beispielsweise fehle es an einem national bedeutsamen Ort; der den Widerstand der Frauen in der DDR würdigt und an die Schicksale der weiblichen politischen Häftlinge erinnert. Sie wirbt dafür, die Gedenkstätte Frauenzuchthaus Hoheneck in die institutionelle Förderung des Bundes aufzunehmen.
Für das am 13. Dezember 2019 vom Bundestag beschlossene zentrale Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft (19/15778) empfiehlt Zupke einen Standort im Umfeld des Bundestages. Sie regt an, besonders die gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht zu erforschen und ein nationales Kompetenzzentrum zur Begutachtung und Behandlung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern zu legen.
Die SED-Opferbeauftragte hatte ihr Amt zeitgleich mit der Integration des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv am 17. Juni 2021 angetreten. Eine Woche zuvor war sie vom Bundestag in dieses neue Amt gewählt worden. (vom/09.11.2021)