Zeit:
Mittwoch, 5. Mai 2021,
15.30
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.228
Die von der Bundesregierung geplante „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ trifft bei Historikern, Vertretern von Museen sowie Gedenk- und Erinnerungsstätten auf viel Zustimmung. Kritik und Nachbesserungswünsche gibt es aber auch. Dies zeigte sich am Mittwoch, 5. Mai 2021, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien unter Leitung von Johannes Selle (CDU/CSU) über den entsprechenden Gesetzentwurf (19/28648) und das ebenfalls von der Bundesregierung vorgelegte Rahmenkonzept zur Stiftung (19/28535).
Ein Video der Sitzung wird frühestens am Donnerstag, 6. Mai, in der Mediathek des Bundestages zur Verfügung gestellt.
„Die deutsche Demokratiegeschichte wird unterschätzt“
Der Historiker Prof. Dr. Bernd Faulenbach verwies darauf, dass die deutsche Demokratiegeschichte unterschätzt werde. Viele Menschen glaubten, dass die Demokratie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland gekommen sei und dass es in Deutschland an historischen Traditionen fehle.
Im Zentrum der deutschen Erinnerungskultur stehe noch immer vorwiegend die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocausts.
„Entwicklungsschub für neue Formate“ erhofft
Professorin Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, Prof. Dr. Hans Walter Hütter von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Dr. Susanne Kitschun vom Ausstellungs- und Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen in Berlin argumentierten, dass die geplante Stiftung geeignet sei, um die Arbeit der bereits bestehenden Museen und Gedenkorte besser zu vernetzen und stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.
Schwerpunkt der Stiftung sollte die Entwicklung neuer interaktiver und partizipatorischer Vermittlungsformate sein, forderte Lutum-Lenger. Nachholbedarf bestehe vor allem im Bereich digitaler Formate, sagte Hütter. Dies zeigten vor allem die Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Er erhoffe sich von der Stiftung einen „Entwicklungsschub“ für die Entwicklung neuer zielgruppenorientierter Formate für museale Ausstellungen.
„Demokratiegeschichte nicht auf Sternstunden reduzieren“
Die Geschichtsdidaktikerin Charlotte Bühl-Gramer, Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg, warnte davor, bei der Auswahl von Orten, Personen und Ereignisse die Demokratiegeschichte auf ihre „Sternstunden“ zu reduzieren. Gerade auf Jugendliche wirke eine solche Vermittlung sehr schnell ermüdend. Es sollten vermehrt historische Situationen der Gefährdungen der Demokratie und die langen Kämpfe und Rückschläge thematisiert werden. Dies verdeutliche auch den Wert von Demokratie.
Es dürfe nicht das Bild eines „abgeschlossenen Begriffscontainers“ vermittelt werden. Demokratie sei ein Prozess. So sei ein Demokrat aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nach heutigen Maßstäben eventuell eben gar kein so guter Demokrat mehr, argumentierte Bühl-Gramer.
„Rahmenkonzept örtlich und zeitlich zu begrenzt“
Der Historiker Dr. Stefan Scheil mahnte, die Auswahl der Orte der Demokratiegeschichte dürfte nicht auf das Gebiet des heutigen Deutschlands begrenzt werden. So seien etwa das Grab von Ferdinand Lasalle im polnischen Breslau oder Immanuel Kants in Königsberg, dem heutigen russischen Kaliningrad, ebenfalls Ort der deutschen Demokratiegeschichte.
Auch zeitlich sei das Rahmenkonzept für die Stiftung, das mit dem Hambacher Fest von 1832 beginne, zu begrenzt. Die Wurzeln der Demokratiegeschichte reichten bis in die frühe Neuzeit zurück, argumentierte Scheil.
„Friedliche Revolution in der DDR bislang unterbelichtet“
Übereinstimmend monierten der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, und Gesine Oltmanns von der Stiftung Friedliche Revolution bei ansonsten großer Zustimmung zu dem Stiftungskonzept, dass die Friedliche Revolution in der DDR bislang im Konzept unterbelichtet sei. Leipzig sei als Ort der deutschen Demokratiegeschichte eben genauso wichtig wie Frankfurt mit seiner Paulskirche.
In diesem Sinne argumentierte auch Roland Jahn. Von einem französischen Historiker sei ihm gesagt worden, die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin sei „eure Bastille“. Die Bedeutung solcher „Orte der Macht“, die vom Volk erstürmt worden seien, müssten stärker herausgestellt werden. Auch Faulenbach attestierte, dass im vorliegenden Rahmenkonzept die Entwicklungen in der ehemaligen DDR unterbelichtet seien. Das Rahmenkonzept dürfe nicht eine geschlossene, sondern müsse eine offene Liste von Orten sein.
„Ausblendung der kolonialen Vergangenheit“ kritisiert
Scharfe Kritik am Rahmenkonzept der Stiftung wurde von Dr. Sebastian Garbe als Vertreter des Bündnisses „Decolonize“, einem Zusammenschluss post- und dekolonialer Gruppen und Initiativen, geübt. Dieses blende die koloniale Vergangenheit und den Kampf von Protagonisten in den ehemals kolonisierten Ländern gegen den Imperialismus weitgehend aus. Diese hätten mit ihrem Kampf maßgeblich zur Demokratieentwicklung des imperialen Deutschlands beigetragen, argumentierte Garbe.
Kritisch bewertete er auch die zentrale Rolle der Paulskirche in Frankfurt im Konzept. Sie sei ohne Zweifel ein wichtiger Ort der Demokratiegeschichte. Allerdings habe sich die dort tagende Nationalversammlung in großer Mehrheit für die Errichtung einer deutschen Flotte als auch für die Förderung deutscher Auswanderung in zu errichtende überseeische Kolonien ausgesprochen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetz soll eine „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ errichtet werden. Deren Aufgabe soll es dem Entwurf zufolge sein „der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Deutschland Sichtbarkeit zu verleihen, Verständnis für Ursachen und Wirkungen zu wecken, das Wertefundament der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anschaulich und breitenwirksam zu vermitteln und den Wert eines demokratisch verfassten Gemeinwesens noch stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern“.
Durch dieses Errichtungsgesetz soll eine bundesunmittelbare, rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in Frankfurt am Main geschaffen werden, die dem Anliegen einer verstärkten Befassung mit den Themen Demokratie und insbesondere ihrer Geschichte in Deutschland die notwendige Aufmerksamkeit ebenso wie Breitenwirkung verschafft. Dadurch soll der demokratische Zusammenhalt gestärkt werden. Die Errichtung einer solchen Stiftung gewährleiste eine inhaltliche Autonomie, die für eine überparteilich arbeitende Stiftung notwendig sei. Damit würden selbstständige und unabhängige Entscheidungsstrukturen geschaffen, heißt es in dem Entwurf.
Rahmenkonzept der Bundesregierung
Für die demokratische Entwicklung seien zahlreiche Orte in ganz Deutschland bedeutsam, heißt es im Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte, das die Bundesregierung als Unterrichtung vorgelegt hat (19/28535). Um ihre historische Rolle deutlich zu machen, würden viele bereits vom Bund gefördert. Künftig jedoch solle eine Bundesstiftung mit Sitz in Frankfurt am Main dieses Engagement koordinieren und bündeln – und so besser sichtbar machen.
Im Fokus stehen laut Konzept Projekte auch kleinerer Orte in Deutschland, die demokratiegeschichtlich bedeutsam sind. Durch Veranstaltungen, Kooperationen und den Aufbau von Netzwerken sollen „Impulse für eine aktive Beteiligung am demokratischen Miteinander gegeben werden“, schreibt die Bundesregierung in ihrem Rahmenkonzept. (aw/05.05.2021)