Bundestag lehnt AfD-Anträge zur Integrationspolitik ab
Vier Anträge der AfD-Fraktion zur Integrationspolitik hat der Bundestag am Donnerstag, 10. Juni 2021, beraten. Einen Antrag mit dem Titel „Integrationsprobleme durch kulturelle Prägungen endlich wahrnehmen – Neues Forschungsfeld beim Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einrichten“ (19/30416) überwiesen die Abgeordneten im Anschluss an die einstündige Debatte an den federführenden Innenausschuss.
Abgelehnt mit den Stimmen aller Fraktionen außer der AfD wurde hingegen erstens ein Antrag der Fraktion mit dem Titel „Islamische Radikalisierung frühzeitig erkennen – Studie zur politisch-religiösen Einstellung der Muslime in Deutschland erneuern“ (19/29778), zweitens ein Antrag mit dem Titel „Dem radikalen Islam den Boden entziehen – Maßnahmenpaket gegen Islamisten und islamistische Verbände“ (19/23956) und drittens ein Antrag mit dem Titel „Mehr Transparenz bei der Analyse und öffentlichen Darstellung von Kriminalität im Kontext von Migration zur verbesserten Evaluierung der Sicherheits-, Integrations- und Migrationspolitik“ (19/23952). Zu allen drei Anträgen gab es Beschlussempfehlungen des Innenausschusses (19/30444, 19/26578, 19/24699).
AfD: Ein Klima der Einschüchterung wird geschaffen
Dr. Bernd Baumann (AfD) warf den Abgeordneten aus den anderen Fraktionen vor, sie unterdrückten Forschung und freie Wissenschaft über negative Formen der Integration, weil „die Antworten nicht in Ihr links-grün-verzerrtes Weltbild passen“.
Baumann sprach davon, dass ein Klima der Einschüchterung geschaffen werde und damit die Demokratie demontiert werde. Er verwies auf die, wie er sich ausdrückte, schmutzigen Seiten von Multikulti wie Genitalverstümmelung oder Zwangsehen. Diese blendeten die „Altparteien“ aus, um weiter ihrer Utopie, ja geradezu einer Religion von Buntheit und Vielfalt zu huldigen. Das könne so nicht weitergehen.
CDU/CSU: AfD will kein friedliches Zusammenleben
Christoph de Vries (CDU/CSU) verwies darauf, dass einer der AfD-Anträge laute, dem radikalen Islam den Boden zu entziehen. Mindestens genau so wichtig sei es, der radikalen AfD in Deutschland den Boden zu entziehen. De Vries befand, die Agitation gegen den Islam gehöre geradezu zur DNA der AfD. Sie verlasse dabei den Boden konstruktiver Religionskritik und habe kein Interesse an einem friedlichen Zusammenleben in Deutschland.
Er räumte Probleme mit dem politischen Islamismus als Nährboden für den extremistischen Islamismus ein. Zu ihm brauche es Distanz. Er werde abgelehnt wie jeglicher anderer Extremismus auch.
FDP wünscht mehr innermuslimische Diskussionen
Konstantin Kuhle (FDP) prangerte Gewalt gegen Muslime und Diskriminierung von Muslimen an. Sehr viel werde auch im Bundestag über islamistischen Extremismus geredet, aber nicht über muslimische Unternehmer, Ärzte, Steuerzahler.
Zugleich meinte er, wer antimuslimischen Rassismus anprangere, der müsse auch Menschenfeindlichkeit innerhalb der muslimischen Community kritisieren. Als Beispiele verwies er auf Antisemitismus und Homophobie. Er wünsche sich mehr innermuslimische Diskussionen.
SPD: Starker Rechtsstaat muss Radikalität entgegenwirken
Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) strich heraus, Radikalismus in jeder Form und jeder Couleur lehne seine Fraktion ab. Die Zahlen sprächen allerdings eine klare Sprache: Die Anfeindungen der Demokratie und die antisemitischen Übergriffe gingen auf das Konto von Rechts. Deshalb sei es die erste Aufgabe, dem verlängerten Arm dieser Extremisten, der sich in den deutschen Parlamenten in Gestalt der AfD breitmache, den Kampf anzusagen.
Ein starker Rechtsstaat und Repression sei nötig, der Radikalität entgegenzuwirken. Das heiße aber nicht, dies sage er in Richtung Koalitionspartner, dass man immer nur eine neue Gesetzesverschärfung erfinde. Bestehende Gesetze müssten angewandt werden.
Linke: Der Islam gehört zu Deutschland
Ulla Jelpke (Die Linke) warf der AfD vor, sie arbeite sich mal wieder an ihrem Lieblingsfeind ab und schüre Angst und Hass gegen Muslime. Die dürften nicht ständig unter den Generalverdacht der Demokratiefeindlichkeit gestellt werden. Sie verwies auf das Grundrecht der Religionsfreiheit und des Gleichheitsgrundsatzes im Grundgesetz: Jeder dürfe glauben, was er wolle.
Der Islam gehöre zu Deutschland ebenso wie die Menschen, die ihn lebten. Es gebe eine ganze Reihe hochproblematischer Islam-Verbände. Aber sie repräsentierten nur einen Bruchteil der Muslime.
Grüne: AfD will Muslime stigmatisieren
Dr. Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, die AfD verlange eine neue Studie, um ihr rassistisches und islamfeindliches Süppchen kochen zu können. Integration sei kein einfacher Weg. Aber wer sie einfordere, müsse sie auch selber wollen. Die AfD-Anhänger seien die hartnäckigsten Integrationsverweigerer, weil sie nicht wollten, dass Migranten in der deutschen Gesellschaft ankämen. Aber auch: Weil sie sich selbst nicht integrieren wollten.
In den Anträgen der AfD scheine es vordergründig um Studien zu gehen, aber eigentlich lehne sie Wissenschaftlichkeit zutiefst ab. Vordergründig gehe es um Radikalisierung, aber sie wolle nur Muslime stigmatisieren. Mihalic sprach von einem hassbasierten Politikmodell.
Erster abgelehnter Antrag der AfD
In ihrem ersten abgelehnten Antrag forderte die Fraktion die Bundesregierung auf, eine aktualisierte wissenschaftliche Studie zur politischen Einstellung der Muslime in Deutschland nach Vorbild der 2007 von der Universität Hamburg erstellten Untersuchung „Muslime in Deutschland“ erstellen zu lassen. Auch sollte die Bundesregierung diese aktualisierte Studie nach dem Willen der Fraktion wie diejenige von 2007 durch das Bundesinnenministerium (BMI) zeitnah veröffentlichen.
In der Begründung schrieb die Fraktion, dass das BMI im Jahr 2004 eine Studie zu Fragen von Integration und Integrationsbarrieren in Auftrag gegeben habe, die im Juli 2007 unter dem Titel „Muslime in Deutschland - Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt - Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen“ fertiggestellt worden sei. Zur Gewinnung eines umfassenden Bildes der politisch-religiösen Einstellung der Muslime seien vier Befragungen durchgeführt worden; Herzstück sei eine standardisierte Befragung einer repräsentativen Stichprobe der erwachsenen muslimischen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren gewesen.
Zweiter abgelehnter Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion drang in ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/23956) auf ein „Maßnahmenpaket gegen Islamisten und islamistische Verbände“. Die Fraktion forderte von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der „geeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung von radikal-islamischen Moscheevereinen durch ausländische Staaten und Organisationen vorsieht“ und die dauerhafte Ausweisung ausländischer Geistlicher erleichtert, die etwa in Predigten zur Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen.
Darüber hinaus plädierte die Fraktion für bundeseinheitliche gesetzliche Regelungen, wonach islamische Geistliche Predigten und Vorträge in deutscher Sprache zu halten haben. Ferner sollten ihrem Antrag zufolge alle als islamistisch einzuschätzenden Vereine intensiv überprüft „und bei Vorliegen der im Grundgesetz genannten Voraussetzungen die entsprechenden Verbote“ ausgesprochen werden.
Zudem sollte die Bundesregierung laut Vorlage „im Rahmen der Extremismus-Prävention des Bundes, insbesondere durch die Bundeszentrale für Politische Bildung und das Programm ,Demokratie leben', den Kampf gegen den radikalen Islamismus verstärken und dazu finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, die dem Ausmaß der von ihm ausgehenden Gefahr tatsächlich entsprechen“. Des Weiteren wurde die Bundesregierung in dem Antrag aufgefordert, flächendeckend Aussteigerprogramme insbesondere für junge Menschen und Frauen bereitzustellen, „die sich aus Strukturen des radikalen Islamismus lösen möchten“.
Dritter abgelehnter Antrag der AfD
In ihrem dritten abgelehnten Antrag forderte die Fraktion die Bundesregierung auf, in Zusammenarbeit mit den Ländern verbesserte Erfassungs- und Berichtsstandards „insbesondere auch im Hinblick auf eine transparente öffentliche Berichterstattung zu relevanten Erkenntnissen wie der Staatsangehörigkeit und gegebenenfalls konkreten Herkunftsländerbezügen von Tatverdächtigen“ festzulegen.
Ihrer Vorlage (19/23952) zufolge sollte der Anteil in Deutschland ansässiger Nichtdeutscher und die Gruppe nichtdeutscher Tatverdächtiger grundsätzlich zur Ermittlung einer eigenen „Tatverdächtigenbelastungszahl“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Beziehung gesetzt werden. Auch sollten die zuständigen Polizei- und Sicherheitsbehörden nach dem Willen der Fraktion unter Beachtung verfassungsrechtlicher wie datenschutzrechtlicher Rahmenvorgaben deutsche Tatverdächtige nach gegebenenfalls vorhandenen Herkunftsländerbezügen befragen und diese notfalls ermitteln. Daneben sollten künftig alle Pressemeldungen der Polizei zu deutschen Tatverdächtigen bundesweit einheitlich standardisierte Angaben zu etwaig festgestellten Herkunftsländerbezügen beinhalten.
Neuer Antrag der AfD
Mit ihrem neuen Antrag (19/30416) will die Fraktion innerhalb des Forschungszentrums des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ein viertes Forschungsfeld zum Thema „Integrationsprobleme aufgrund von kulturellen Prägungen“ eröffnen lassen.
Eine der Forschungsfragen solle lauten: „Welche tiefgreifend sozialisierten Differenzen in Verhaltenskulturen und Wertehaltungen können dazu beitragen, den weit voneinander abweichenden ökonomischen und gesellschaftlichen Integrationserfolg oder -misserfolg unterschiedlicher Zuwanderergruppen in Deutschland und anderen Ländern der westlichen Welt zu erklären?“ (fla/hau/sto/ste/10.06.2021)