Kontroversen um Doppelbesteuerung von Renten
Ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai zur Doppelbesteuerung von Renten hatte am Donnerstag, 10. Juni 2021, ein parlamentarisches Nachspiel. Vor dem obersten deutschen Finanzgericht hatten zwei Kläger die Ansicht vertreten, ihnen würden von Rentenzahlungen, die auf bereits versteuerten Rentenbeiträgen beruhten, erneut Steuern abgezogen. Das wäre verfassungswidrig gewesen. Das Gericht hatte diese Klagen zwar abgewiesen, aber festgestellt, dass solche Fälle in Zukunft eintreten könnten, und vom Gesetzgeber Abhilfe verlangt. In einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der FDP-Fraktion hat sich der Bundestag nun mit dem Thema „Urteil des Bundesfinanzhofs ernst nehmen – Doppelbesteuerung von Renten verhindern“ befasst.
Folge einer Reform von 2005
Die Problematik hat ihren Ursprung im 2005 in Kraft getretenen Alterseinkünftegesetz. Diesem war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorausgegangen, das eine Ungleichbehandlung darin gesehen hatte, dass Beamte ihre Pension versteuern mussten, Sozialversicherte ihre Rente aber nicht. Das Argument, dass die Rentenbeiträge aus dem versteuerten Einkommen entrichtet wurden, hatte Karlsruhe nicht gelten lassen.
Deshalb stellte der Gesetzgeber von der vorgelagerten auf die nachgelagerte Besteuerung um, das heißt, nicht mehr die Beiträge in die Rentenkasse, sondern die Zahlungen aus der Rentenkasse sollten der Steuer unterliegen. Die Umstellung in einem fließenden Prozess sollte 2040 abgeschlossen sein. Dabei aber, so nun die Feststellung des Bundesfinanzhofs, kann es in den nächsten Jahren, wenn bei Neurentnern ein wachsender Teil der Rente versteuert wird, tatsächlich zur Doppelbesteuerung kommen.
FDP fordert kurzfristige Gegenmaßnahmen
Mit diesem Urteil sei die Argumentation derer „in sich zusammengebrochen“, die die jetzige Regelung stets gerechtfertigt hätten, sagte Markus Herbrand (FDP) mit Blick auf CDU/CSU und SPD, aber auch Grüne. Er erwarte, dass die Bundesregierung kurzfristig Stellung bezieht und sich auch mit den Verfahren befasst, die bei Gerichten noch in Sachen Doppelbesteuerung anhängig seien.
Seine Fraktion habe im Bundestag eine Umkehr der Beweislast beantragt, damit nicht Rentner nachweisen müssen, dass sie doppelt besteuert werden, sondern das Finanzamt nachweisen muss, dass dies nicht geschieht. Dies könne kurzfristig beschlossen werden. Zudem sollten Steuerbescheide für Rentner bis zu einer Neuregelung nur vorläufig ausgestellt werden.
CDU/CSU bestreitet Zeitdruck
Diese Forderung richtete auch Antje Tillmann (CDU/CSU) an den Bundesfinanzminister. Für eine Erfüllung der Forderungen des Bundesfinanzgerichts sehe sie zwei Wege, sagte Tillmann. Man könne die Vorsorgeaufwendungen, also die Zahlungen in die Rentenkasse, früher als derzeit vorgesehen ganz von der Steuer freistellen. Und man könne die volle Rentenbesteuerung erst später als 2040 einführen.
Möglich sei eine Kombination aus beidem, sie präferiere es aber, die Vorsorge steuerlich zu begünstigen. „All das muss sorgfältig diskutiert werden“, mahnte Tillmann. Da selbst nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs erst ab 2025 mit Fällen der Doppelbesteuerung zu rechnen sei, solle die Neuregelung in der nächsten Legislaturperiode erfolgen.
AfD: Haben auf schlummernden Skandal hingewiesen
Das Alterseinkünftegesetz sei 2004 „trotz klarer Hinweise auf die verfassungsmäßigen Probleme durchgeprügelt“ worden, kritisierte Ulrike Schielke-Ziesing (AfD). „Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit.“
Albrecht Glaser (AfD) erinnerte an einen Antrag, den seine Fraktion bereits im Frühjahr 2019 eingebracht habe, „der diesen schlummernden Skandal zur Sprache brachte“. Dieser Antrag sei „mit den üblichen diskriminierenden Bemerkungen“ von allen anderen Parteien abgelehnt worden, bemerkte Glaser. „Jetzt haben Sie die Bescherung für Ihre Arroganz der Macht und für Ihre Kompetenzanmaßung.“ Er verwies zudem auf Modellrechnungen, wonach es auch bei heutigen Rentnern Fälle von Doppelbesteuerung gebe. Gegenteilige Behauptungen seien „schlichtweg unwahr“.
SPD für Lösung im Rahmen einer Steuerreform
Daraufhin bemerkte Cansel Kiziltepe (SPD): „Die eine oder andere Fraktion malt immer wieder dieses Schreckgespenst von Hunderttausenden Betroffenen an die Wand.“ Damit wolle man Angst machen , dass „irgend etwas mit der Rente nicht stimmt“, aber „die gesetzliche Rente ist und bleibt die Basis für ein gutes Leben im Alter“.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs begrüßte Kiziltepe, da man jetzt „Klarheit in der Rechtsmeinung“ habe. Die sei in der Vergangenheit nicht gegeben gewesen. Sie verwies auf unterschiedliche Expertenaussagen bei einer Anhörung im vergangenen Jahr und darauf, dass es auch unter den Richtern am Bundesfinanzhof unterschiedliche Meinungen gegeben habe. Eine Neuregelung solle nun im Rahmen einer ohnehin nötigen Einkommensteuerreform in der kommenden Legislaturperiode kommen. Sollte zuvor in Einzelfällen Doppelbesteuerung vorliegen, werde die Finanzverwaltung dies ausräumen.
Linke: Koalition hat Warnungen jahrelang ignoriert
Unruhe im Saal löste Matthias W. Birkwald (Die Linke) mit der Aussage aus, es seien 142.000 Klagen wegen Doppelbesteuerung anhängig. Tatsächlich seien dies Einsprüche gegen Steuerbescheide, korrigierte Dr. Wiebke Esdar (SPD). Birkwald sah in dem Richterspruch bestätigt, was seine Fraktion bereits im Mai 2019 in einem Antrag gesagt habe.
Warnungen habe es bereits im Gesetzgebungsverfahren gegeben, aber die „werten Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen“ hätten siebzehn Jahre lang „die Expertenmeinungen, Gesetzeskommentare und Medienberichte zur Doppelbesteuerung der Renten ignoriert oder geleugnet“. Birkwald forderte den Bundesfinanzminister auf, jetzt umgehend einen Lösungsvorschlag vorzulegen. Seine Fraktion schlage vor, die volle Rentenbesteuerung erst 2070 statt 2040 einzuführen.
Grüne: Emotionen mal ein bisschen runterfahren
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) mahnte nach dieser Rede, „die Emotionen mal ein bisschen runterzufahren“. Der Bundesfinanzhof habe bestätigt, dass die nachgelagerte Besteuerung verfassungsgemäß ist. Zudem wollten alle im Saal Doppelbesteuerung vermeiden. Bisher habe es allerdings „sehr unterschiedliche Expertenmeinungen“ gegeben, „was Doppelbesteuerung überhaupt ist“.
Jetzt gebe es Klarheit und „Handlungsbedarf, aber keinen übermäßigen Zeitdruck“. Im Übrigen habe das Finanzministerium am Vortag im Finanzausschuss mitgeteilt, dass es bereits mit Berechnungen zur Umsetzung des Urteils begonnen habe. (pst/10.06.2021)