Der Bundestag hat am Freitag, 11. Juni 2021, nach halbstündiger Aussprache einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler beschlossen. Den entsprechenden Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD (19/29764) nahm er mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei Enthaltung von AfD, FDP und Linksfraktion in der vom Familienausschuss geänderten Fassung (19/30512) an. Den wortgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/30236) erklärte der Bundestag einvernehmlich für erledigt. Zudem hatte der Haushaltsausschuss einen Bericht gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (19/30529) vorgelegt. Ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion (19/30556) wurde auch von den Grünen unterstützt. Die Koalition lehnte ihn ab, die AfD und die Linkfraktion enthielten sich.
Darüber hinaus beschloss der Bundestag einen weiteren Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD „zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und zur Änderung weiterer Gesetze“ (19/29765) in der vom Familienausschuss geänderten Fassung (19/30507). Auch dazu lag ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (19/30526) vor.
Erster Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter tritt stufenweise ab dem 1. August 2026 in Kraft (19/29764). Der Rechtsanspruch gilt mit Beginn des Schuljahres 2026/2027 zunächst für Grundschüler der ersten Klasse und wird dann jährlich um je eine weitere Klassenstufe ausgeweitet. Ab dem 1. August 2029 haben somit alle Grundschulkinder der Klassenstufen eins bis vier den Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung. Der Bund stellt den Ländern zur Realisierung des Rechtsanspruchs Investitionshilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Darüber hinaus beteiligt er sich an den laufenden Betriebskosten. Finanziert werden soll dies über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Länder.
Der Familienausschuss hatte am Regierungsentwurf einige Änderungen vorgenommen. Diese sehen vor, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel für Investitionskosten nicht nur für den Neubau, den Umbau sowie die Sanierung der kommunalen Bildungsinfrastruktur verwendet werden dürfen, sondern auch für die Ausstattung, soweit damit zusätzliche Betreuungsplätze oder räumliche Kapazitäten geschaffen werden. Zudem wird im Ganztagsfinanzierungsgesetz die Frist zum Erwerb von Anwartschaften auf die Bonusmittel um ein Jahr bis zum 31. Dezember 2022 verlängert.
Entschließung verabschiedet
Der Bundestag verabschiedete zudem mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der AfD, der FDP und der Linken eine Entschließung zu dem Gesetz. Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, die vom Bund bereitgestellte Beteiligung an den jährlichen Betriebsausgaben vollumfänglich an die mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs beauftragten Träger weiterzuleiten.
Darüber hinaus sollen die Länder gemeinsam mit dem Bund eine Fachkräfteoffensive starten, um den zusätzlichen Bedarf an pädagogischem Betreuungspersonal zu decken.
Zweiter Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
Mit dem Gesetz „zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und zur Änderung weiterer Gesetze“ (19/29765) will die Koalition unter anderem erreichen, dass die Bewilligungen der Bundesmittel durch die Länder bis zum 30. Juni 2022 ausgesprochen werden können.
Mit der Verlängerung der Akuthilfen soll sichergestellt werden, dass die Sonderregelungen für pflegende Angehörige und eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aus Anlass der Covid-19-Pandemie über den 30. Juni 2021 hinaus gültig bleiben.
Oppositionsanträge abgelehnt
Abgelehnt wurden mehrere Oppositionsvorlagen. Zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gutes Essen für alle in Kita und Schulen“ (19/25786) lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft vor (19/30010). Die Linke stimmte für ihren Antrag, die Grünen enthielten sich, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab.
Zum Antrag der Grünen „Zeit für mehr – Recht auf gute Ganztagsbildung im Grundschulalter umsetzen“ (19/22117) hatte der Familienausschuss eine Beschlussempfehlung abgegeben (19/30512). Die Linke und die Grünen stimmten dafür, die FDP enthielt sich, die übrigen Fraktionen stimmten dagegen.
Die Beschlussempfehlung zum zweiten Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Jedes Kind ist exzellent – Förderprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und Quartieren“ (19/29280) hatte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eingebracht (19/30528 Buchstabe f). Die Linke und die Grünen stimmten dafür, die FDP enthielt sich, die übrigen Fraktionen votierten dagegen.
Die Beschlussempfehlung (19/30528 Buchstabe a bis d) bezieht sich auch auf Anträge der AfD mit dem Titel „Lernförderliche Bedingungen schaffen – Gelder für bundesweites Nachhilfeprogramm zielführend einsetzen“ (19/29298), der FDP mit den Titeln „Aus der Corona-Krise lernen, kluge Bildungsreformen jetzt anpacken – Eine nationale Einrichtung für Bildungsinnovationen und Qualitätssicherung schaffen“ (19/29217), „Jugend im Lockdown – Zeit für eine generationengerechte Krisenpolitik“ (19/28436) und „Bundesprogramm Lern-Buddys – Studierende helfen im Corona-Schuljahr“ (19/26880).
Den AfD-Antrag lehnten alle übrigen Fraktionen ab, den ersten FDP-Antrag lehnten ebenfalls alle übrigen Fraktionen ab. Beim zweiten und dritten FDP-Antrag enthielten sich jeweils die Linksfraktion und die Grünen.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem abgelehnten Antrag (19/29298) eine Verdopplung der Mittel für das geplante bundesweite Nachhilfeprogramm. Um entstandene Lernrückstände auszugleichen und weitere Schulschließungen zu verhindern, verlangte die Fraktion, die in Aussicht gestellte Summe von einer Milliarde Euro auf zwei Milliarden Euro zu erhöhen. So sollte jedem Schüler ein verbindliches Angebot gemacht werden, das Versäumte aufzuholen, schreiben die Abgeordneten. Zudem sollte zügig der Umfang der Lernrückstände ermittelt und zusammen Konzepte mit den Ländern für Fördermaßnahmen entwickelt werden.
Um Schulschließungen zu vermeiden und allen Schülern „umgehend wieder Präsenzunterricht zu ermöglichen“, drang die AfD-Fraktion auf „stimmige und konsistente Hygiene- und Schutzkonzepte“. Es brauche massive Investitionen in neues Lehrpersonal, um kleinere Klassen einrichten zu können. Weitere Forderungen zielten auf Investitionen in neue Schulgebäude und Sanierungen, um das Bildungswesen „corona-resistent“ zu machen. Von einer allgemeinen Masken- und Testpflicht insbesondere für jüngere Kinder sei aber generell abzusehen, hieß es in dem Antrag.
Erster Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion plädierte in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/29217) für die Schaffung einer nationalen Einrichtung für Bildungsinnovationen und Qualitätssicherung. Wie die Abgeordneten darin kritisierten, mangelt es im Bereich der Bildung an „klaren, evidenzbasierten Entscheidungen“. In der Corona-Krise habe sich zudem endgültig gezeigt, dass der Bildungsföderalismus überfordert sei. „Jedes Land kocht sein eigenes Süppchen“, monierte die FDP. Wo etwa in der Medizin eine Behandlungsmethode erst eingeführt werde, wenn ihr Wirksamkeit wissenschaftlich belegt sei, sei das Handeln in der Bildungspolitik „oft durch ideologische Vorstellungen geprägt“, so ein weiterer Vorwurf der Fraktion.
Konkret forderte sie deshalb eine nationale Einrichtung, welche die „besten, wissenschaftlich basierten“ Bildungskonzepte erarbeitet. Das bestehende, von den Kultusministern gegründete Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) sollte dazu zu einer „nationalen Instanz bei der wissenschaftlichen Formulierung von Empfehlungen für Aus- und Fortbildungsinhalte“ fortentwickelt werden. Von der Bundesregierung forderte FDP-Fraktion außerdem, mit den Ländern auf eine Satzungsänderung hinzuwirken, um dem Bund eine Mitgliedschaft im IQB zu ermöglichen.
Als eine der Kernaufgaben des künftigen Instituts nannte die Fraktion das systematische Monitoring des gesamten Bildungswesens. Außerdem sollte es, ausgebaut zu einem „beratenden Think Tank“, Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik erarbeiten.
Zweiter Antrag der FDP
In ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/28436) setzte sich die FDP dafür ein, persönliche Aufstiegschancen junger Menschen auch in der Krise zu fördern. Unter anderem sollten über einen Digitalpakt 2.0 Mittel bereitgestellt werden, um die digitale Weiterbildung von Lehrkräften im Bereich digitaler Methodik und Didaktik zu finanzieren. Zudem sollten damit professionelle IT-Kräfte an den Schulen finanziert werden können. Um die technische Wartung von Servern und Betriebssystemen sollten sich nicht Pädagogen kümmern, sondern dafür ausgebildete IT-Fachkräfte. Durch regelmäßige Schnelltests vor Schulbeginn sollte sichergestellt werden, dass sich Infektionen nicht unbemerkt ausbreiten. Für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte sollten kostenfreie FFP2-Masken zur Verfügung stehen.
Ferner sollte die Gesundheit junger Menschen in der Corona-Krise sichergestellt werden. Auch junge Menschen bräuchten eine konkrete Impfperspektive. Die Bundesregierung sollte auf eine solide Studienlage zur Wirkung von Sars-CoV-2-Impfstoffen bei jungen Menschen mit dem Ziel hinwirken, Impfungen in dieser Personengruppe rasch auf einer fundierten Datenlage durchführen zu können. Ferner sollte mit Hilfe innovativer Ideen sichergestellt werden, dass Isolation vermieden wird und soziale Nähe sowie gemeinsame Veranstaltungen unbedenklich stattfinden können, indem unter anderem bei allen einschränkenden Maßnahmen auch die Nutzung innovativer Werkzeuge in die Betrachtung der Verhältnismäßigkeit einfließen. Das schließe Lösungen ein, die dem Nachweis dienen, dass ein Mensch zumindest aktuell nicht ansteckend ist.
Dritter Antrag der FDP
Studierende sollten die Schulen und den Schulunterricht kostenfrei unterstützen, forderte die FDP-Fraktion in ihrem dritten Antrag (19/26880). Dazu sollte nach Ansicht der Liberalen ein bundesweites Lern-Buddy-Programm gemeinsam mit den Ländern und den Hochschulen aufgesetzt werden. So sollten die in der Corona-Pandemie entstandenen Lernrückstände aufgeholt werden. Schulen sollten in Abhängigkeit der Schülerzahl aus dem Lern-Buddy-Programm ein festes Kontingent an Unterstützungsstunden erhalten.
Lehrkräfte sollten im Fern- oder Präsenzunterricht Unterstützung erhalten, oder sie sollten in Kleingruppen oder für eine individuelle Eins-zu-eins-Betreuung bei besonders unterstützungsbedürftiger Schülerinnen und Schüler verwendet werden können. Das Lern-Buddy-Programm sollte nach den Vorstellungen der Abgeordneten bis zum Ende des Schuljahrs 2021/22 mit insgesamt einer Milliarde Euro aus Bundesmitteln gefördert werden und wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke forderte in ihrem abgelehnten Antrag (19/25786) ein Konzept für eine beitragsfreie Verpflegung an Schulen und in Kitas. Dabei seien die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) einzuhalten, heißt es.
Außerdem gelte es, den dafür nötigen Aus- und Umbau von Küchen in Schulen und Kitas, die Ausstattung von Räumlichkeiten zum Essen und die Anlage von Schulgärten voranzutreiben. Auch müssten, so die Fraktion, „kompetitive Verpflegungsangebote“, etwa private Cafeterien, Kioske und Verkaufsautomaten reguliert werden.
Erster Antrag der Grünen
Die Grünen forderten die Bundesregierung in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/22117) auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vorzulegen, um den Rechtsanspruch ab dem Jahr 2025 realisieren zu können. Der Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung sollte unabhängig vom Umfang der Berufstätigkeit der Eltern an fünf Tagen in der Woche für mindestens neun Stunden pro Tag für jedes Kind gelten und zudem ein Mittagessen umfassen.
Zudem forderten die Grünen eine gemeinsame Qualifizierungsoffensive für pädagogisches Fachpersonal an Schulen und Horten von Bund und Ländern. So sollten unter anderem bundesweit die ausbildungsbezogenen Schulgelder entfallen und ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung geschaffen werden, um den Einstieg in den Erzieherberuf zu erleichtern.
Zweiter Antrag der Grünen
Die Fraktion verlangte zudem ein Förderprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und Quartieren. Das geht aus ihem zweiten abgelehnten Antrag (19/29280) hervor. Gleichberechtigter Zugang zu guter Bildung sei Grundlage für gesellschaftliche Weiterentwicklung und Zusammenhalt, hieß es in der Vorlage. Doch dieser sei in Deutschland noch immer nicht gewährleistet. Die Corona-Pandemie habe die Situation zusätzlich verschärft.
Um der „Bildungsungerechtigkeit“ in Deutschland ein Ende zu setzen, forderten die Abgeordneten die Bundesregierung auf, mit Bundestag und Ländern die bestehenden Kooperationsmöglichkeiten zu nutzen und „perspektivisch weitere zu öffnen“. So sollte die Regierung vor allem ein Bundesmodellprogramm auf den Weg bringen, um Schulen in benachteiligten Regionen und Quartieren zu unterstützen. 400 Millionen Euro sollten nach dem Willen der Grünen dafür innerhalb von fünf Jahren eingesetzt werden. Damit sollten unter anderem „multiprofessionelle Teams“ an Schulen etabliert werden, die Lehrkräfte entlasten und damit individuelle Förderung, „systematische Präventionsarbeit“ und Nachhilfe ermöglichen.
Weitere Forderungen bezogen sich auf den umfassenden Ausbau der Ganztagsschulen, die Verbesserung der digitalen Grundausstattung sowie den Abbau des „immensen Investitionsstaus“ an Schulen über eine Verlängerung und Aufstockung des Kommunalinvestitionsförderfonds über 2023 hinaus. (sas/aw/hau/11.06.2021)