Zeit:
Mittwoch, 14. April 2021,
14.30
bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Die von der Bundesregierung geplante umfassende Digitalisierung im Gesundheitswesen wird von Fachverbänden grundsätzlich als sinnvoll erachtet. Die Verbände sehen unter anderem in der Ausweitung der Videoangebote eine Möglichkeit, die Versorgung der Patienten zu verbessern. Die Sachverständigen äußerten sich anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages unter Leitung von Erwin Rüddel (CDU/CSU) am Mittwoch, 14. April 2021, über den Entwurf der Bundesregierung für das sogenannte Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG, 19/27652) in schriftlichen Stellungnahmen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Vorlage sieht eine Weiterentwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs), den Ausbau der Telemedizin, zusätzliche Einsatzmöglichkeiten in der Telematikinfrastruktur (TI) und eine stärkere digitale Vernetzung vor. Gesundheits-Apps sollen künftig auch in der Pflege zum Einsatz kommen. Digitale Pflegeanwendungen (DiPAs) sollen helfen, mit speziellen Trainingsprogrammen die eigene Gesundheit zu stabilisieren oder den Austausch mit Angehörigen oder Pflegefachkräften zu erleichtern.
Dazu wird ein neues Verfahren geschaffen, um die Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen zu prüfen. Die Pflegeberatung soll auch um digitale Elemente erweitert werden. Der Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs) wird erweitert. So können Versicherte künftig ihre DiGA-Daten in der elektronischen Patientenakte (ePA) speichern. Leistungen von Heilmittelerbringern und Hebammen, die im Zusammenhang mit DiGAs erbracht werden, sollen vergütet werden. Zugleich soll der Datenschutz für DiGAs durch ein verpflichtendes Zertifikat gestärkt werden.
Telemedizin soll stärker genutzt werden
Die Telemedizin soll häufiger als bisher genutzt werden. So werden künftig bei der ärztlichen Terminvergabe auch telemedizinische Leistungen vermittelt. Auch der kassenärztliche Bereitschaftsdienst soll telemedizinische Leistungen anbieten. Zudem sollen auch Heilmittelerbringer und Hebammen telemedizinische Leistungen erbringen können. Die Telematikinfrastruktur (TI) wird aktualisiert und ausgebaut. Mit Heil- und Hilfsmittelerbringern, Erbringern von Soziotherapie und von Leistungen in zahnmedizinischen Laboren werden weitere Berufe an die TI angebunden. Die verantwortliche Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) soll einen sicheren und an die Bedürfnisse der Nutzer angepassten Zugang zur TI entwickeln.
Kommunikation auch per Video- und Messagingdienst
Die Kommunikation zwischen Versicherten, Leistungserbringern und Kostenträgern soll nicht nur per Mail, sondern auch per Video- oder Messagingdienst möglich sein. Ferner sollen Versicherte und Leistungserbringer ab 2023 digitale Identitäten bekommen, mit denen sie sich sicher authentifizieren können.
Die elektronische Gesundheitskarte soll in der Zukunft als Versicherungsnachweis und nicht mehr als Datenspeicher dienen. Notfalldaten und Hinweise der Versicherten, wo persönliche Erklärungen aufbewahrt werden, werden zu einer elektronischen Patientenkurzakte weiterentwickelt. Der elektronische Medikationsplan soll eine eigene Anwendung bekommen. Die Versicherten sollen auf alle ihre digitalen Anwendungen selbstständig zugreifen können.
Erklärungen zur Organspende
Erklärungen zur Organspende sollen künftig auch über die Versicherten-Apps der Krankenkassen möglich sein, auch dann, wenn die ePA nicht genutzt wird. Außerdem soll bis Mitte 2023 eine E-Health-Kontaktstelle errichtet werden, sodass Versicherte ihre Gesundheitsdaten auch Ärzten im EU-Ausland zur Verfügung stellen können. Das elektronische Rezept (E-Rezept) wird auf die Bereiche häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege, Soziotherapie, Heil- und Hilfsmittel, Betäubungsmittel und andere verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgeweitet. Die jeweiligen Erbringer der Leistungen werden zum Anschluss an die TI verpflichtet, die Kosten werden erstattet.
Ausgebaut werden sollen die Informationen auf dem Nationalen Gesundheitsportal. Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sollen Daten zur ärztlichen Versorgung nutzbar machen. Schließlich übernimmt der Gesetzgeber für die Verarbeitung personenbezogener Daten in den Komponenten der dezentralen TI die Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA). Das soll bei Ärzten zu weniger Bürokratie und niedrigeren Kosten führen.
Investitionen in Technik und Software erforderlich
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) sieht in dem Entwurf große Potenziale, um Versorgungsbrüche im fragmentierten Gesundheitssystem zu reduzieren. Voraussetzung sei allerdings, dass auch die Pflegeeinrichtungen an die digitalen Netze angeschlossen würden. Vielerorts verfügten Einrichtungen noch nicht über Internet-Anschlüsse und WLAN-Netze, was jedoch die Voraussetzung sei für eine Anbindung an die TI und den Einsatz elektronischer Verordnungen. Videosprechstunden etwa ermöglichten eine zielgenauere Versorgung der Patienten, dazu müsse in Technik und Software investiert werden. Für Pflegeeinrichtungen werde jedoch keine entsprechende Förderung vorgesehen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erklärte, Videosprechstunden könnten bei geeigneten Indikationen und Fallkonstellationen eine Ergänzung sein. Der unmittelbare persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient müsse aber der Maßstab bleiben. Die KBV wies ferner darauf hin, dass eine nachhaltige Akzeptanz der Digitalisierung nur durch leistungsfähige und sichere Technologien und nicht mit fortgesetzten Sanktionen zu erreichen sei. Bestehende Sanktionsmechanismen sollten daher vollständig gestrichen werden.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) forderten in ihrem Bereich eine Ausweitung der Videosprechstunden über die Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen hinaus. Auch wenn telemedizinische Verfahren im zahnärztlich-kurativen Bereich von nachgelagerter Bedeutung seien, spielten Videosprechstunden bei Information, Beratung und Aufklärung eine zunehmend wichtige Rolle. Die Verbände kritisierten die geplante Ablösung der Notfalldaten (NFD) von der eGK und warnten, die Daten könnten in Offline- und Ausfallszenarien nicht mehr verfügbar sein.
Rolle der Videobehandlung
Auf Videoangebote setzt auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Derzeit könnten Psychotherapeuten ihren Patienten keine Akutbehandlungen per Video anbieten. Damit blieben die Chancen der Digitalisierung ausgerechnet für solche Patienten ungenutzt, die besonders dringend auf psychotherapeutische Hilfe angewiesen seien. Der Verband schlug vor, bei der Förderung der Videobehandlung auch die psychotherapeutische Akutbehandlung zu berücksichtigen.
Der Gesetzentwurf stieß bei der Bundespflegekammer mit einigen Einschränkungen auf Zustimmung. Die Kammer kritisierte, dass die Videobehandlung in der Pflege nicht umfänglich vorgesehen sei. Dies stehe im Widerspruch zu den Möglichkeiten für Heilmittelerbringer und Hebammen. Die reine Pflegeberatung per Video greife zu kurz, auch in der Pflege könnten die Videokonsultation und das Videomonitoring eine wichtige Rolle spielen, etwa bei der Wundbehandlung. Die Videobehandlung sollte auch für die Pflege ermöglicht werden. Die Pflegekammer forderte ferner neben der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen auch die Refinanzierung der pflegerischen Unterstützungsleistungen bei der pflegebegleitenden Softwareanwendung.
AOK begrüßt Ausbau der Telemedizin
Der zu der Anhörung nicht geladene AOK-Bundesverband erklärte, die Digitalisierung des Gesundheitswesens biete viel Potenzial, um die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen zu verbessern. Der Ausbau der Telemedizin sei zu begrüßen, sofern die individuellen Bedürfnisse der Versicherten berücksichtigt würden und die neuen Angebote in einem angemessenen Verhältnis zur regulären ärztlichen Tätigkeit stünden. Würden perspektivisch 30 Prozent der Leistungen telemedizinisch erbracht und dafür normale Sprechstunden eingeschränkt, benachteilige dies den Teil der Versicherten, der die neuen Angebote nicht annehmen könne oder wolle.
Auch müsse klargestellt werden, ob telemedizinische Angebote zum Sicherstellungsauftrag und damit zu den vertragsärztlichen Pflichten gehörten. Kritisch sieht die AOK Anwendungen (DiGAs) ohne nachgewiesene positive Versorgungseffekte und forderte eine Qualitäts- und Kostenkontrolle. Notwendig sei ein Nutzennachweis als Voraussetzung für den Markteintritt von DiGA und ein damit verbundenes Preisfestsetzungssystem. Die Rahmenbedingungen sollten in den Kategorien von Wirksamkeit, Nutzen und Wirtschaftlichkeit ausgestaltet werden. (pk/14.04.20201)