Der zweite Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit ist bei Experten auf Zustimmung, aber auch Kritik im Detail gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe unter der Leitung von Gyde Jensen (FDP) am Mittwoch, 14. April 2021, lobten die Sachverständigen die gründliche Beschäftigung mit dem Thema, regten jedoch an, in künftigen Berichten auch die Situation der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Deutschland und anderen europäischen Staaten in den Blick zu nehmen.
In ihrem Bericht für den Zeitraum 2018 und 2019 (19/23820) hatte die Bundesregierung einen weltweiten Trend zur Einschränkung des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit verzeichnet. Neben der digitalen Kommunikation seien insbesondere Blasphemie- und Anti-Konversionsgesetze eine aktuelle Herausforderung bei der Gewährleistung dieses Menschenrechts: Diese würden sich „unter dem Vorwand des Schutzes der Religions- und Weltanschauungsfreiheit oft als Einfallstor für die Einschränkung von Menschenrechten, unter anderem der Religions- und Weltanschauungsfreiheit selbst“ erweisen, so die Bundesregierung.
„Ein vielfältig verletztes und verdrehtes Menschenrecht“
Prof. Dr. Dr. h. c. Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg wies darauf hin, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit sei ein „vielfältig verletztes Menschenrecht“. Häufiges Motiv dafür sei Korruption, betonte der frühere Berichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats. Wo Korruption grassiere, erodiere Vertrauen, der öffentliche Raum schrumpfe. „Dann wird es eng, stickig und giftig in einer Gesellschaft.“
Die Religionsfreiheit sei zudem ein oftmals „verdrehtes“, von Staaten etwa für ihre Identitätspolitik missbrauchtes Recht: „Doch Religionsfreiheit ist ein Recht der Menschen, nicht der Staaten“, hob Bielefeldt hervor. Es sei ein Freiheitsrecht – und dürfe zudem keinesfalls „als eine Art Gegenrecht“ gegen andere Grundrechte wie etwa die Meinungsfreiheit aufgebaut werden.
„Religionsfreiheit ist kein Anhängsel“
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, nahm es positiv zur Kenntnis, dass die Bundesregierung mit ihrem Bericht ein „Signal für die Bedeutung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ setze. Dieses sei kein Anhängsel anderer Grundrechte, sondern ein „eigenständiges, elementares Freiheitsrecht“.
Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit schütze das Individuum vor Beschränkungen des Rechts, seine Religion auszuüben. Es schütze aber nicht Religionen und Weltanschauungen als solche – zum Beispiel vor Kritik und Satire, stellte die Expertin klar. In kommenden Berichten müsse zudem die Situation der Religionsfreiheit in Deutschland und anderen europäischen Staaten kritisch beleuchtet werden, mahnte sie an. Dass es hier keine „nennenswerten Probleme“ gebe, sei schließlich nicht realistisch.
„Keine Religionsfreiheit ohne Demokratisierung“
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, hielt die Aufnahme europäischer Staaten zwar für richtig, gab aber zu bedenken, dass dies den Missbrauch der Rede vom antimuslimischen Rassismus durch Islamisten weiter befördern könne. Sinnvoller wäre stattdessen, stärker zwischen innerislamischen Strömungen zu differenzieren. So werde etwa die Situation liberaler Muslime, die auch unter Repressionen litten, kaum beachtet.
Der Bericht weise zwar außerdem darauf hin, dass sich die Lage der Religionsfreiheit in fast allen islamischen Ländern verschlechtert habe. Doch die dahinterstehenden politisch-strukturellen Probleme würden zu wenig benannt, monierte Khorchide. Ohne Demokratisierung lasse sich Religionsfreiheit aber nicht herstellen. Die Instrumentalisierung der Religion gegen Pluralität sei meist politisch gewollt.
„Alle Signale stehen längst auf Alarm“
Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, nahm in ihrer Stellungnahme ebenfalls die Verletzungen der Religionsfreiheit in muslimisch geprägten Staaten in den Fokus. Diese nannte die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen als „am beunruhigendsten“ und warnte vor der Expansion des „politischen Islamismus“ in Richtung Europa.
Davor verschließe die Bundesregierung in ihrem Bericht die Augen, „obwohl alle Signale längst auf Alarm stehen“, kritisierte Steinbach. Das berge für die Demokratie auch in Deutschland Gefahren.
„Religionen nicht gegeneinanderstellen“
Viel Anerkennung für den Bericht äußerte Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Direktor des International Institute für Religious Freedom: Der Bericht enthalte substanzielle Informationen, beleuchte zentrale Querschnittsthemen und nehme die Lage der Religionsfreiheit allgemein und nicht nur die Lage der Christen „vorurteilsfrei“ in den Blick.
Letztlich kämen alle Berichte, die sich allgemein mit Bedrohungen der Religionsfreiheit beschäftigten und die, welche nur die Christenverfolgung in den Blick nähmen, sowieso zu einem „fast identischem Ergebnis“. Es sei daher zu vermeiden, unterschiedliche Religionen und die Situation der Gläubigen gegeneinander zu stellen, so der Theologe und Religionswissenschaftler.
Expertin lenkt den Blick auf andere Freiheitsrechte
Prof. Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, beurteilte den Bericht zwar als „wertvoll“, warf jedoch dennoch in ihrer Stellungnahme die Frage auf, weshalb die Bundesregierung die Religionsfreiheit mit ihrem Bericht so herausgreife, während die Meinungsfreiheit weltweit ebenso zunehmend unter Druck stehe.
Die Medienpädagogin äußerte sich „mit Blick auf die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie“ zudem skeptisch, ob bei der Umsetzung von gleichen Rechten für alle die Betonung von Gruppenzugehörigkeiten wirklich ein Vorteil sei.
Bericht schließt eine „Lücke“
Der Pfarrer und Kirchenrechtler Dr. Patrick Roger Schnabel, Beauftragter für den kirchlichen Entwicklungsdienst im Berliner Missionswerk, hingegen fand es „begrüßenswert“, dass die Bundesregierung religionsbezogenen Themen in der Außen- und Entwicklungspolitik sowie dem Schutz der Religionsfreiheit ein zunehmend größeres Maß an Beachtung schenke. Dies erhöhe die Qualität ihres analytischen und strategischen auswärtigen Handelns erheblich.
Der Religionsfreiheit komme historisch eine Schlüsselstellung für die Entwicklung von Grund- und Menschenrechten zu – bis heute sei sie ein „Gradmesser für die Freiheitlichkeit und Rechtstaatlichkeit eines Gemeinwesens“. Durch die Einbeziehung der Expertise möglichst vieler unabhängiger Akteure helfe der Bericht, die „Lücke wirklich belastbaren Materials“ zu diesem Thema zu schließen.
Zweiter Bericht der Bundesregierung
Die Bundesregierung erkennt in ihrem zweiten Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit für den Zeitraum 2018 und 2019 (19/23820) einen weltweiten Trend zur Einschränkung des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Besonders betroffen von der Verletzung der Religionsfreiheit seien Christen als Angehörige der zahlenmäßig größten Glaubensgemeinschaft. Aber auch Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen litten unter Diskriminierung und Verfolgung aufgrund ihres Glaubens oder weil sie selbst keinem Glauben anhängen, heißt es in dem Bericht.
Zur Stärkung des Engagements für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit habe die Bundesregierung das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit geschaffen. Durch Kabinettsbeschluss vom 11. April 2018 sei es dem CDU-Abgeordneten Markus Grübel übertragen worden. „Religions- und Weltanschauungsfreiheit stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang mit den anderen Menschenrechten. Das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie in Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (VN-Zivilpakt) verankert“, schreibt die Bundesregierung.
Drei aktuelle Herausforderungen
Menschenrechte verpflichteten Staaten dazu, Garanten der Freiheits- und Schutzrechte zu sein. Die Menschenrechte seien universell, unveräußerlich und unteilbar. Das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit könne gleichwohl im Spannungsverhältnis mit anderen Rechten stehen – etwa dem der Meinungsfreiheit. Ebenso bestünden auch Synergien. So bedeute gerade das Zusammenwirken der Menschenrechte auch eine wechselseitige Stärkung der jeweiligen Freiheitsrechte.
Drei aktuelle Herausforderungen identifiziert die Bundesregierung für die Gewährleistung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit: Blasphemie- und Anti-Konversionsgesetze, die digitale Kommunikation sowie den Bereich staatlicher Bildungsangebote. „Blasphemie- und Anti-Konversionsgesetze erweisen sich unter dem Vorwand des Schutzes der Religions- und Weltanschauungsfreiheit oft als Einfallstor für die Einschränkung von Menschenrechten, unter anderem der Religions- und Weltanschauungsfreiheit selbst“, so die Bundesregierung.
Wachsende Herausforderung durch digitale Kommunikation
Die Anzahl einzelner nationaler Blasphemie- und Anti-Konversionsgesetzgebungen steige weltweit an. Auch die digitale Kommunikation und der Einfluss von Online-Hassrede stelle eine wachsende Herausforderung dar. Ein Manko erkennt der Bericht zudem im Bereich staatlicher Bildungsangebote: „In internationalen Bildungsagenden wurden bisher Fragen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit kaum berücksichtigt“, heißt es weiter.
Im Länderteil informiert die Bundesregierung über die demografische und rechtliche Situation sowie über staatliche und gesellschaftliche Einschränkungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in den einzelnen Staaten. Schließlich stellt der Bericht mit einer Übersicht das Engagement der Bundesregierung zur Stärkung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Berichtszeitraum dar. Die weltweite Verwirklichung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, so heißt es dort, unterstütze die Bundesregierung „im Rahmen ihrer menschenrechtsbasierten Außen- und Entwicklungspolitik“. (sas/15.04.2021)