Der effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und besseren Erfassung des Cyberstalkings soll ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/28679, 19/29639) dienen, der am Mittwoch, 19. Mai 2021, Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz war. In der vom stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) geleiteten Sitzung begrüßten die meisten Sachverständigen den Entwurf, sprachen sich in ihren schriftlichen Stellungnahmen und Eingangsstatements aber gleichzeitig für Nachbesserungen aus.
In der Vorlage heißt es, dass die bisherige Fassung des Paragrafen 238 des Strafgesetzbuches (Nachstellung) die Strafverfolgungspraxis noch immer vor Probleme stelle. So bereite zum einen das Tatbestandsmerkmal „beharrlich“ gerade auch aufgrund der parallelen Existenz weiterer unbestimmter Tatbestandsmerkmale erhebliche Schwierigkeiten. Ähnliches gelte für das Merkmal „schwerwiegend“, das sich auf die potenzielle Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers beziehe und das insgesamt zu hohe Anforderungen an ein strafbares Verhalten stelle. Gesetzlicher Anpassungsbedarf bestehe auch aufgrund des technischen Fortschritts und der damit einhergehenden Zunahme des Cyberstalkings.
Probleme bei der Strafverfolgung
Dr. Oliver Piechaczek vom Deutschen Richterbund erklärte, der Entwurf trage den Ergebnissen der Evaluierung zur Neufassung des Paragrafen 238 angemessen Rechnung. Die vorgeschlagenen Änderungen dürften in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, die in der Strafverfolgungspraxis weiterhin bestehenden Nachweisprobleme zu reduzieren und einen effektiveren Opferschutz zu bewirken.
Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund (djb) begrüßte, dass der Entwurf angesichts der Probleme mit unbestimmten Rechtsbegriffen eine Vereinfachung der Handhabung des Tatbestandes anstrebe. Durch die Ersetzung des Tatbestandsmerkmals „beharrlich“ durch „wiederholt“ werde eine einfachere Handhabung des Tatbestandes durch die Rechtspraxis gewährleistet. Aus diesem Grund werde ebenfalls begrüßt, dass die Tathandlungen nicht mehr geeignet sein müssen, die Lebensführung der Betroffenen „schwerwiegend“ zu beeinträchtigen. Der djb rege jedoch an, das neue Tatbestandsmerkmal „nicht unerheblich“ in der Gesetzesbegründung genauer zu definieren, um die Rechtsanwendung zu erleichtern.
„Tatbestandsmerkmale in der Praxis einfacher handhabbar“
Auch Claudia Hurek, Leitende Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld, hält den Gesetzentwurf angesichts der Probleme bei praktischen Handhabung des Tatbestandes für angebracht. Die neuen Tatbestandsmerkmale seien in der Praxis einfacher handhabbar, sagte sie.
Dr. Clemens Prokop, Präsident des Landgerichts Landshut, erklärte, aufgrund der bisherigen Kriterien scheitere in der Praxis häufig die strafrechtliche Verfolgung von Nachstellungen. Der Entwurf verbessere den Schutz der Opfer, da die strafrechtliche Eingriffsschwelle abgesenkt werde und die bei Nachstellungen häufig anzutreffenden Eskalationen besser verhindert werden können. Bedenken, die beabsichtigte Gesetzesänderung könnte zu einer Sanktionierung von Verhalten führen, das sich an der Bagatellschwelle bewegt, erschienen unbegründet.
„Wiederholt“ statt „beharrlich“
Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Jörg Eisele, Lehrstuhlinhaber an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, erklärte dazu, es wäre vorzugswürdig, von einer „erheblichen“ Beeinträchtigung zu sprechen, weil ansonsten lediglich Bagatellfälle ausgeklammert und bereits leichteste Beeinträchtigungen erfasst wären.
Zu begrüßen sei die Ersetzung des Merkmals „beharrlich“ durch das Merkmal „wiederholt“, da die Beharrlichkeit, die auf die innere Einstellung des Täters abstellt, unscharf, schwer nachweisbar und im Hinblick auf ein Tatstrafrecht fragwürdig sei.
Weiterhin unbestimmte Rechtsbegriffe
Eher skeptisch bewertete Dr. Rainer Spatschek vom Deutschen Anwaltverein (DAV) den Entwurf. Der DAV erkenne an, dass Stalking für die Opfer eine enorme psychische Belastung darstellen kann und einen wirksamen staatlichen Schutz, auch im Bereich von Social Media, erforderlich macht.
Zudem müsse sichergestellt sein, dass strafbares Verhalten auch als solches zu identifizieren sein und wirksam verfolgt werden kann. Allerdings gehe der DAV davon aus, dass es einer Senkung der Strafbarkeitsschwelle dafür nicht bedarf. Auch sei es nicht zielführend, unbestimmte Rechtsbegriffe durch andere unbestimmte Rechtsbegriffe zu ersetzen.
„Gesetzentwurf in wesentlichen Teilen gelungen“
Dagegen begrüßte Anne-Kathrin Krug vom Verein Nebenklage, einer Vereinigung von Rechtsanwältinnen zur Wahrung von Opferinteressen im Strafverfahren, die Bemühungen um eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Geschädigten. Der Gesetzentwurf erscheine in wesentlichen Teilen gelungen, erklärte Krug.
Einige häufig anzutreffende und die Geschädigten stark belastende Handlungsweisen erfasse die Neuregelung jedoch nur unzureichend, während in einigen Fällen derart hohe Anforderungen formuliert worden seien, dass es trotz bestehenden Regelungsbedarfs kaum je zu Anwendungsfällen kommen werde.
Verbesserung des Opferschutzes
Beate M. Köhler, Leiterin eines Berliner Anti-Stalking-Projekts für betroffene Frauen, berichtete den Abgeordneten über ihre Erfahrungen in der Praxis. Angesichts der wachsenden Gewalt in der Gesellschaft sei jeder Schritt, der einen effektiveren Schutz für von Gewalt betroffene Personen biete und somit eine Verbesserung im Opferschutz darstelle, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Die Änderungen böten eine Chance, gegen Bedrohungen vorzugehen, bevor eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung betroffener Personen eintritt.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Entwurf sieht verschiedene Änderungen des Paragrafen 238 des Strafgesetzbuches vor. In Absatz 1 soll der Begriff „beharrlich“ durch den Begriff „wiederholt“ ersetzt werden. Das Merkmal „schwerwiegend“ soll durch das Merkmal „nicht unerheblich“ ersetzt und damit zugunsten eines verbesserten Opferschutzes die Strafbarkeitsschwelle herabgesetzt werden. Der Absatz 2 wird von einer Qualifikationsvorschrift in eine Regelung besonders schwerer Fälle umgestaltet und ergänzt.
Zum anderen werden im Handlungskatalog von Paragraf 238 Absatz 1 typische Begehungsformen des Cyberstalkings aufgenommen. Wie es in dem Entwurf heißt, können über sogenannte Stalking-Apps beziehungsweise Stalkingware Täter auch ohne vertiefte IT-Kenntnisse unbefugt auf E-Mail- oder Social-Media-Konten sowie Bewegungsdaten von Opfern zugreifen und so deren Sozialleben ausspähen. Cyberstalking erfolge aber nicht nur durch den unbefugten Zugriff auf Daten des Opfers, sondern insbesondere auch dadurch, dass Täter unter Vortäuschung der Identität eines Opfers etwa in sozialen Medien Konten anlegen und unter dem Namen des Opfers abträgliche Erklärungen abgeben oder Abbildungen von ihm veröffentlichen. Diese besonderen Begehungsweisen von Nachstellungstaten gelte es gesetzlich besser und rechtssicherer zu erfassen. (mwo/19.05.2021)