Inneres

Experten sehen Nachbesserungsbedarf im Bevölkerungsschutz

Die Corona-Pandemie hat Schwächen und Defizite im System des Bevölkerungsschutzes offenbart, wenn auch insgesamt Deutschland bisher besser durch die Krise gekommen ist als in der Öffentlichkeit gelegentlich dargestellt. Dies war am Montag, 12. April 2021, die gemeinsame Einschätzung der Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU. Das Gesundheitswesen sei zum Teil unzureichend auf die Krise vorbereitet gewesen, was auch darauf zurückzuführen sei, dass in der Vergangenheit Kapazitäten abgebaut worden seien. Notwendig seien zusätzliche Investitionen, um Deutschlands „Krisenresilienz“ zu stärken, und der Aufbau neuer koordinierender und forschender Institutionen.

Broemme: Kein Krisenmanagement, sondern Krisenverwaltung

Der Vorsitzende des Berliner Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, Albrecht Broemme, bemängelte, dass es in der Krise vielfach nicht gelungen sei, vorhandenes Wissen zu kommunizieren und umzusetzen. „Das Streben nach perfekten Lösungen verhindert die guten“, laute eine der Lehren aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres. Statt Krisenmanagement sei oftmals nur Krisenverwaltung zu erleben.

Gezeigt habe sich, dass die Digitalisierng im Deutschland „im Status eines Embryos“ verharre. Auch an der Verständigung über gesellschaftspolitische Grundsatzfragen, etwa zum Umgang mit Grundrechten oder dem Datenschutz, habe es gefehlt. Broemme empfahl die Ernennung von Corona-Beauftragten „mit Durchgriffsrecht“ auf Bundes-, Länder und Kreisebene.

Friedsam fordert nationale Gesundheitsschutz-Reserve

Dass vorhandene Systeme der Krisenbewältigung vielfach nicht angemessen genutzt worden seien, kritisierte auch der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Gerd Friedsam. Die Pandemie habe die Fragilität internationaler Lieferketten offenbart. In bundesweiten Notlagen bedürfe es schneller Zugriffsmöglichkeiten auf Schutz- und Versorgungsmaterial.

Friedsam sprach sich daher für den Aufbau einer nationalen Gesundheitsschutz-Reserve in bundesweit acht von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam unterhaltenen Logistikzentren aus. Vier davon seien derzeit im Aufbau. Für seine eigene Organistation zog Friedsam eine positive Bilanz. In 580 der insgesamt 668 Ortsvereine des THW hätten 70.000 ehrenamtliche Helfer bisher 900.000 Arbeitstunden geleistet.

Götz: Föderale Partnerschaft zur Bewältigung von Krisen

Das föderale System habe insgesamt bisher seine Fähigkeit bewiesen, der Pandemie wirksam zu begegnen, sagte Dr. Alexander Götz, Vorsitzender des Arbeitskreises für Rettungswesen und Katastrophenschutz der Innenministerkonferenz. Statt einer Zentralisierung von Vorgaben und Steuerungsmaßnahmen bedürfe es einer „föderalen Partnerschaft“, um Krisen zu bewältigen. „Wir werden in den nächsten Jahren insgesamt viel mehr in den Bevölkerungsschutz investieren müssen“, betonte Götz. Dies sei erforderlich angesichts der „Vielzahl neuer Lagen“ und Herausforderungen, mit denen das Land in Zukunft zu rechnen habe.

Der Bielefelder Staatsrechts-Professor Prof. Dr. Christoph Gusy forderte eine Änderung des Grundgesetzes, um eine Bundeskompetenz im Bereich des Katastrophenschutzes zu begründen, die bisher nicht gegeben sei. Es bedürfe einer Bundesbehörde mit Exekutivaufgaben sowie einer besseren „Vernetzung und Verzahnung“ der Zuständigen in Bund und Ländern. Bisher habe der Bund auf dem Feld des Infektionsschutzes zwar eine Gesetzgebungs-, aber keine Vollzugszuständigkeit.

Reuter: Mangel an Ausstattung und Material wurde offenbart

Die Notwendigkeit, mehr in den Bevölkerungsschutz zu investieren, betonte auch der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Christian Reuter. Dies sei gewissermaßen als „Versicherungsprämie“ aufzufasssen, denn: „Wir werden öfter solche Lagen bekommen.“ Bisher habe jede große Krise einen eklatanten Mangel an Ausstattung und Material offenbart, was auch damit zu tun habe, dass in der Vergangenheit im trügerischen Gefühl einer „Friedensdividende“ Ressourcen abgebaut worden seien. Reuter mahnte auch, die Bevölkerung in der Breite mehr als bisher für Rettungs- und Pflegaufgaben in Notlagen zu sensibilisieren und zu qualifizieren.

Vor Cyber-Angriffen auf Systeme der Gesundheitsversorgung warnte der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm: „Der Schutz der IT-Systeme im Gesundheitssektor ist von besonderer Bedeutung.“ Als Erfolg verbuchte Schönbohm die Entwicklung der Corona-Warnapp. Sie sei bisher 27 Millionen Mal heruntergeladen und 14 Mal erweitert worden. In 60 allerdings unkritischen Fällen seien Schwachstellen identifiziert und behoben worden.

Schuster: Mehr Vorsorge, weniger Prinzip Hoffnung

Eine „nationale Resilienzstrategie“ mahnte der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, an: „Mehr Vorsorge, weniger Prinzip Hoffnung.“ Insgesamt sehe Deutschland in der Pandemie „immer noch gut aus“. Viele Helfer hätten einen hervorragenden Job gemacht. Schuster regte in diesem Zusammenhang die Stiftung eines „Corona-Verdienstordens“ an.

Die Frage sei allerdings, was geschähe, wenn die Bundeswehr einmal nicht in dem Umfang verfügbar sei wie derzeit. Wie stehe es um die „zivile Durchhaltefähigkeit“ Deutschland? Für die Aus- und Fortbildung von Entscheidungsträgern und Experten schlug Schuster eine Bundesakademie für Bevölkerungsschutz vor.

Voss: Laufende Krise in ihrer Komplexität adäquat analysieren

Die Gründung einer neuen Bundesinstitution befürwortete auch der Leiter der  Katastrophenforschungssstelle an der Berliner Freien Universität, Dr. Martin Voss. Ihm schwebe ein interdisziplinär besetztes Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutzforschung vor. Eine Schwachstelle sei bisher, dass die Forschung nicht in der Lage sei, die laufende Krise und ihre Komplexität adäquat zu analysieren.

Eine systematisierte Auswertung der in der Pandemie gesammelten Erfahrungen forderte auch der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, der einen entsprechenden Bericht der Regierung anregte. Die gewonnenen Erkenntnisse dürften nicht wieder verlorengehen. (wid/12.04.2021)