Olaf Scholz sieht EU auf dem Weg in eine gemeinsame Finanzpolitik
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht die EU auf dem Weg in eine gemeinsame Finanzpolitik. Mit dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds (Next Generation EU, NGEU), für den die EU erstmals auch Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen soll, werde nicht nur die Krise bekämpft, sagte er am Donnerstag, 25. Februar 2021, im Bundestag.
Gesetzentwürfe der Regierung und der FDP
Anlass war die einstündige erste Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz, 19/26821), den der Bundestag zusammen mit einem Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des EUZBBG zur Stärkung der Beteiligungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten des Aufbauinstruments Next Generation EU (NGEU, 19/26877) zur weiteren Beratung an den federführenden Haushaltsausschuss überwiesen hat. EUZBBG steht dabei für das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union.
Der EU-Eigenmittelbeschluss muss von allen nationalen Parlamenten der EU ratifiziert werden und ist Voraussetzung für das Inkrafttreten des Mehrjährigen Haushalts der EU von 2021 bis 2027 sowie die Schuldenaufnahme zur Finanzierung des Wiederaufbaufonds.
Minister erntet Widerspruch vom Koalitionspartner
Der Fonds lege mit Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung nicht nur die Grundlage für eine bessere Zukunft, sondern bedeute auch den „Weg in die Fiskalunion“, sagte Scholz. Damit vollende die EU, was mit Blick auf den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung jahrelang als Problem erschienen sei. Scholz warb im Bundestag auch für die geplante Einführung eigener EU-Steuern etwa für CO2, digitale Konzerne und Finanztransaktionen. „Wir müssen dafür sorgen, dass es zur Finanzierung auch europäische Einnahmen gibt“, betonte der SPD-Politiker.
Unterstützung für diese Haltung bekam Scholz von den Grünen, klaren Widerspruch erntete er vonseiten der AfD, aber auch vom Koalitionspartner. So stellte Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) klar: „Eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa können Sie mit der Union im Bundestag nicht durchsetzen.“ Den Fonds selbst lobte er: „Wir als Deutsche werden am meisten profitieren, auch wenn wir viermal mehr einzahlen als wir zurückbekommen.“
Linke: Finanztransaktionsteuer einführen
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) appellierte an Scholz, insbesondere die seit der Finanzkrise versprochene Finanztransaktionsteuer einzuführen.
Die Einnahmen brauche Europa unbedingt, um mehr Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen.
Grüne: Historischer Paradigmenwechsel
Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) betonte die Unterstützung seiner Fraktion für das Wiederaufbauinstrument der EU. Europa befinde sich sozial, ökonomisch und gesundheitlich in der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Dass die Bundesregierung ihre Blockadehaltung gegen gemeinsame Kredite aufgegeben habe, bedeute einen „historischen Paradigmenwechsel“.
Damit der NGEU zu einem zentralen Erfolg werde, müsse die EU aber sehr genau auf die konkrete Umsetzung in den Mitgliedsländern schauen. Die Gelder müssten klug eingesetzt werden, um „einen großen Aufbruch zu organisieren“. Auch beim nationalen Aufbauplan, den die Bundesregierung im Dezember vorgelegt hat, vermisste Kindler noch eine ambitionierte Klima- und Digitalstrategie.
FDP: Parlamentsrechte stärken
Die Redner der FDP signalisierten, dass sie vor der finalen Entscheidung über ihre Haltung zum Eigenmittelbeschluss die weiteren Beratungen im Bundestag abwarten wollen, etwa eine Expertenanhörung im Haushaltsausschuss im März. Konstantin Kuhle lobte zwar die Einigung auf den Wiederaufbaufonds, jedoch wolle seine Fraktion die Auswirkungen „ausgiebig diskutieren“. Wichtig sei eine klare Begrenzung des Instruments mit Blick auf Höhe, Dauer und Zweck. Auch sei eine begleitende Stärkung der Parlamentsrechte erforderlich.
Kuhles Fraktionskollege Otto Fricke sprach von einem „Next Generation EUZBBG“ ergänzend zum bestehenden Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG).
AfD: Eigenmittelbeschluss eine historische Zäsur
Für die AfD übte Peter Boehringer Fundamentalkritik am Eigenmittelbeschluss. Dieser stelle eine „historische Zäsur“ dar und markiere den letzten Schritt in eine „faktische, aber illegale EU-Fiskalunion“. Mit ihm stelle die Bundesregierung das Haushaltsrecht des Bundestages zur Disposition, die EU verstoße damit gegen zahlreiche Artikel des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV), in denen eine Schuldenaufnahme der EU insgesamt und eine Haftungsgemeinschaft prinzipiell verboten werde.
Der nun vollzogene „Dammbruch“ werde dazu führen, dass Brüssel immer wieder im Zuge einer begrenzten Einzelermächtigung Schulden aufnehme, warnte Boehringer. Wolle oder könne eine Mitgliedstaat seine Schulden nicht zurückzahlen, müsse Deutschland „bis zum Zehnfachen des offiziellen Tilgungsanteils haften“. Daraus könnte ein Schadenpotenzial von mehr als 750 Milliarden Euro entstehen. Die Milliardenzahlungen nannte er „Geldgeschenke“, die in vielen Mitgliedstaaten längst für andere Zwecke als Corona-Folgen verplant worden seien.
CDU/CSU: Balanceakt zwischen Ankurbelung und Fiskaldisziplin
Dr. André Berghegger (CDU/CSU) betonte demgegenüber, dass es für exportorientierte Länder wie Deutschland von „elementarem Interesse“ sei, „dass die EU wieder auf die Beine kommt“. Er sprach jedoch auch von einem „Balanceakt zwischen wirtschaftspolitischer Ankurbelung auf der einen und fiskalpolitischer Disziplin auf der anderen Seite“.
Klar müsse sein, dass die Ausgaben zusätzlich sein müssten und nicht im allgemeinen Haushalt der Mitgliedstaaten versickern dürften. Es gehe zeitlich begrenzt um die Bewältigung der negativen Folgen der Pandemie. Dass die Kreditaufnahme der EU durch die Haftung der Mitgliedstaaten abgesichert werde, bedeute ausdrücklich keine Vergemeinschaftung von Schulden und einen Einstieg in die Fiskalunion, betonte Berghegger.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Bezüglich der Eigenmittelfinanzierung des EU-Haushalts sollen laut Regierungsentwurf (19/26821) gegenüber dem bisherigen Eigenmittelbeschluss einige Änderungen vorgenommen werden, die aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreiches und der Auswirkungen der Pandemie auf das EU-Bruttonationaleinkommen erforderlich werden.
Als Beitrag zu einer angemesseneren Lastenteilung in der Finanzperiode 2021bis 2027 würden Korrekturen der Eigenmittelverpflichtungen zugunsten einiger Mitgliedstaaten vorgenommen, „darunter auch Deutschland“. Zudem werde ab 2021 eine neue Eigenmittelkategorie in Form einer so genannten Plastikabgabe eingeführt.
750 Milliarden Euro für Aufbauinstrument „Next Generation EU“
Zur Finanzierung des Aufbauinstrumentes „Next Generation EU“ wird die Europäische Kommission im Eigenmittelbeschluss ermächtigt, Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen. Die Aufnahme dieser Kredite am Kapitalmarkt und entsprechend auch die ersten Auszahlungen aus dem Aufbauinstrument „Next Generation EU“ an die Mitgliedstaaten könne erst beginnen, „wenn der neue Eigenmittelbeschluss in Kraft getreten ist“. Dies erfordere, dass er in allen Mitgliedstaaten entsprechend den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorgaben ratifiziert wurde.
Die der Europäischen Kommission übertragene Befugnis zur Mittelaufnahme sei im Eigenmittelbeschluss hinsichtlich ihrer Höhe, der Dauer und ihrem Zweck klar begrenzt, heißt es weiter. Die generierten Mittel würden über die Instrumente und Programme des Mehrjährigen Finanzrahmens für Ausgaben verwendet sowie als Darlehen an die Mitgliedstaaten vergeben – allerdings nur zur Verwendung im Rahmen des Aufbauinstrumentes „Next Generation EU“ zur Bewältigung der Folgen der Covid-19-Krise. Die Kredite, die zur Finanzierung von Ausgaben aufgenommen wurden, würden aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt, heißt es.
Gesetzentwurf der FDP
Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll nach dem Gesetzentwurf der FDP (19/26877) für das einmalig aufgelegte NGEU-Programm verstärkte und ausdifferenzierte Informationsrechte und erweiterte Möglichkeiten zur Stellungnahme erhalten. Dies soll die nationalen Aufbau- und Resilienzplänen der EU-Mitgliedstaaten, Änderungen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, alle Auszahlungsentscheidungen der Europäischen Kommission für finanzielle Beiträge und Darlehen sowie die Aktivierung des sogenannten Notbremsen-Mechanismus‘ (Befassung des Europäischen Rates im Fall schwerwiegender Abweichungen eines Mitgliedstaats von der zufriedenstellenden Zielerreichung) betreffen.
Das Unterrichtungsrecht des Haushaltsausschusses soll in Anlehnung an das Unterrichtungsrecht des Europäischen Parlaments und des Rates ausgestaltet werden. Zudem soll das Evokationsrecht des Bundestagsplenums für alle mit NGEU zusammenhängenden Rechte des Haushaltsausschusses normiert werden. (joh/hau/25.02.2021)