Parlament

Gemischtes Echo auf das Arbeits­programm 2021 der EU-Kommission

Mit dem Arbeitsprogramm 2021 der Europäischen Kommission hat sich der Bundestag am Donnerstag, 25. Februar 2021, in einer Vereinbarten Debatte befasst. Mit dem Arbeitsprogramm 2021 soll Europa gesünder, gerechter und prosperierender werden und gleichzeitig der langfristige Übergang zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft beschleunigt werden, die für das digitale Zeitalter gerüstet ist. Es enthält neue Gesetzgebungsinitiativen zu allen sechs übergreifenden Zielen der politischen Leitlinien von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und folgt ihrer ersten Rede zur Lage der Union. Bei der Umsetzung der in diesem Arbeitsprogramm festgelegten Prioritäten will die EU-Kommission nach eigener Aussage weiterhin alles daransetzen, die Krise zu bewältigen und Europas Volkswirtschaften und Gesellschaften widerstandsfähiger zu machen. 

Minister: Wir brauchen die Kraft für eine echte Transformation

Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte zu Beginn der Debatte, eine gerechte, ökologische und digitale Gesellschaft zu schaffen, sei das Ziel im Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Kleine Reförmchen würden dazu nicht ausreichen. „Wir brauchen vielmehr die Kraft für eine echte Transformation“, sagte Maas. Der Schlüssel, um den Wandel „im Einklang mit unseren Werten und Interessen“ zu gestalten, liege in einem solidarischen und souveränen Europa. Dafür seien während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 wichtige Pflöcke eingeschlagen worden, betonte der Außenminister.

Die Einigung auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und das Corona-Wiederaufbauinstrument in Höhe von 750 Milliarden Euro nannte Maas einen „historischen Akt europäischer Solidarität“. Jetzt komme es darauf an, die Mittel schnell verfügbar zu machen, weshalb in allen Mitgliedstaaten die hierfür nötigen Beschlüsse gefasst werden müssen.

AfD: Ein Manifest der Niedertracht

Aus Sicht von Norbert Kleinwächter (AfD) ist das Arbeitsprogramm der EU-Kommission „gegen die Menschen gerichtet“. So werde darin beispielsweise die Corona-Pandemie begrüßt, weil sie laut Programm den Wandel stark beschleunigt habe und daher mit großen Chancen verbunden sei. Das Leid der Menschen sei der Boden „auf dem Ursula von der Leyen ihre Politik aufmacht“, sagte Kleinwächter. „Dieses Arbeitsprogramm ist ein Manifest der Niedertracht“, urteilte er.

Der AfD-Abgeordnete kritisierte auch das 55-Prozent-Einsparziel bei den CO2-Emissionen. Die Industrie werde dies nicht überstehen, prognostizierte er und sprach von einem Wachstumsvernichtungsprogramm. Wer dazu, wie auch zu den Migrationsplänen der Kommission, eine abweichende Meinung habe, werde als Hassredner bezeichnet und verfolgt. „Diese Europäische Union ist der Verlust jeglichen Wohlstands, jeglicher Freiheit und Demokratie“, sagte Kleinwächter und regte ein Impeachment-Verfahren gegen die EU-Kommission an.

CDU/CSU: Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärken

Die EU stehe 2021 vor großen Herausforderungen, sagte Florian Hahn (CDU/CSU). Es sei gut, dass es unter der deutschen Ratspräsidentschaft gelungen sei, „mehrere dicke Brocken abzuräumen“. Dazu zählte Hahn den MFR, den Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ sowie die Handels- und Kooperationsabkommen mit Großbritannien. Was das 55-Prozent-Ziel der EU-Kommission angeht, so hält der CSU-Abgeordnete das für „im Ansatz richtig“. Die Rahmenbedingungen müssten aber so gestaltet werden, „dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt wird, wirtschaftliches Wachstum möglich bleibt und Beschäftigung gesichert wird“. Das gelte insbesondere für den Mittelstand, der das Rückgrat für die Erholung aus der Krise sei.

Ohne Frage habe die europäische Sozialpolitik „ihre Verdienste und Berechtigungen“, fuhr der Unionsabgeordnete fort. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die die europäische Wirtschaft tief getroffen habe, rate er aber dazu, es mit den „vermeintlichen sozialen Wohltaten“ nicht zu übertreiben. Nachhaltige soziale Verbesserungen werde es nur bei wirtschaftlichem Wachstum und einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit geben, sagte Hahn.

FDP: Mehrjähriger Finanzrahmen kommt zu spät

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) kritisierte den MFR, der zu spät komme, zu viel Festschreibungen des Status quo enthalte und zu national sowie zu kleinteilig sei. Beleg dafür sei das Sonderprogramm Next Generation EU. Die EU-Kommission habe vorgeschlagen, 610 Milliarden der 750 Milliarden Euro in die Mitgliedstaaten zu investieren. 70 Milliarden Euro sollten in den Binnenmarkt, in Innovationen, Digitales und Forschung investiert werden. Die Mitgliedstaaten hätten diesen Teil aber auf elf Milliarden Euro zusammengestrichen und den Rest für eigene Interessen eingesetzt, sagte Graf Lambsdorff. Das sei unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft passiert, fügte er hinzu.

Da Next Generation EU das Reaktionsprogramm auf die Corona-Krise sei, müsse das Geld schnell fließen, betonte der FDP-Abgeordnete. Das Geld fließe aber nicht, weil die Mitgliedstaaten trödelten. Der Bundestag etwa werde erst in einem Monat den Beschluss fassen, auf dessen Grundlage das Geld überhaupt erst ausgezahlt werden könne, kritisierte er.

Linke: Impfpatente gehören aufgekauft

In dem Programm finde sich nichts zum Thema Impfen, bemängelte Dr. Diether Dehm (Die Linke). Die Verträge der EU seien mit fahrlässiger Leichtgläubigkeit abgeschlossen worden. Daher gebe es die Engpässe bei den Impfstoffen. Der Linken-Abgeordnete kritisierte, dass für die Impfstoffe Steuergelder in Aktienunternehmen flössen, deren Gewinne an der Börse verwettet würden. „Solche Impfpatente gehören von Anfang an aufgekauft und über öffentlich-rechtliche Firmen den Menschen zur Verfügung gestellt“, sagte er.

Dehm thematisierte auch die Frage, wer am Ende für die Krise zahlen müsse. Die Digitalsteuer sei nur ein „Tropfen auf die heiße Herdplatte“, und selbst da bremse die Bundesregierung. Seine Fraktion fordere, superreiche Krisengewinnler und Steuervermeider sozial gerecht zur Kasse zu zwingen. Ansonsten gelinge keine Reform, kein Neustart und auch kein Sympathiegewinn für die EU, sagte der Linken-Abgeordnete.

Grüne: Agrarpolitik ist ein Totalausfall

Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) nannte das Arbeitsprogramm der EU-Kommission ambitioniert. Ob die Umsetzung gelingt, hänge aber von den Mitgliedstaaten ab. „Es hängt auch davon ab, ob die Bundesregierung endlich von der Bremse geht“, sagte Brantner. Die Bundesregierung habe den Klimaschutz während der deutschen Ratspräsidentschaft „total vernachlässigt“. Erst im Dezember habe es eine Einigung über die Klimaziele gegeben.

Daher liefen noch die Verhandlungen zu einem europäischen Klimaschutzgesetz, die erst im März wieder auf der Tagesordnung stünden. Dabei sei wertvolle Zeit verloren worden, „die wir eigentlich gar nicht haben“. Ein Totalausfall, so die Grünen-Abgeordnete weiter, sei auch die Agrarpolitik. Verantwortlich dafür sei Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Nach wie vor würden die Milliarden an die Agro-Industrie gehen, „statt endlich die Agrarwende voranzubringen“.

SPD: In Teilen der EU geht es massiv rückwärts

Leni Breymaier (SPD) zeigte sich erfreut darüber, dass das Arbeitsprogramm auch eine Gleichstellungsstrategie enthalte. Man könne den Eindruck gewinnen, dass es – wenn auch in Trippelschritten – bei der Gleichstellung vorangehe, sagte sie. Tatsächlich müsse sie aber feststellen, dass es in Teilen der EU „massiv rückwärtsgeht“.

Beispiel dafür sei Polen, wo Verhütungsmittel unter 18-Jährigen nicht mehr verschrieben würden dürften, Sexualaufklärung an Schulen strafbar sei und Abtreibungen inzwischen faktisch legal nicht mehr möglich seien. „Wir wollen, dass auch in Polen Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln und zur Familienplanung haben“, sagte die SPD-Abgeordnete.

„Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent absenken“

Ein Bestandteil des Arbeitsprogramms ist der Europäische Grüne Deal. Um bis 2050 ein klimaneutrales Europa zu erreichen, will die Kommission ein Legislativpaket „Fit for 55“ vorlegen, mit dem die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gesenkt werden sollen. Dies betreffe ein breites Spektrum an Politikbereichen, die von erneuerbaren Energieträgern über den Grundsatz „Energieeffizienz an erster Stelle“, über die Energieeffizienz von Gebäuden bis hin zur Landnutzung, Energiebesteuerung, Lastenteilung und Emissionshandel reichen.

Ein CO2-Ausgleichsmechanismus soll dazu beitragen, das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen zu verringern und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, indem die EU-Partner ermutigt werden, ihre Klimaschutzziele zu erhöhen. Darüber hinaus kündigt die Kommission Maßnahmen zur Umsetzung des europäischen Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft, der EU-Biodiversitätsstrategie und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ an.

Arbeitsprogramm für die kommenden zwölf Monate

Die EU-Kommission nimmt jedes Jahr ein Arbeitsprogramm an, in dem sie darlegt, welche Maßnahmen sie in den kommenden zwölf Monaten in Angriff nehmen möchte.

Aus dem Arbeitsprogramm können die Bürgerinnen und Bürger sowie die an der Gesetzgebung beteiligten Organe der EU entnehmen, welche neuen Initiativen die Kommission vorlegen, welche nicht verabschiedeten Vorschläge sie zurückziehen und welche bestehenden EU-Vorschriften sie überarbeiten wird. (hau/25.02.2021)