Harte Debatte im Bundestag über die Neutralität der Wissenschaft
Der Bundestag hat am Donnerstag, 11. Februar 2021, auf Verlangen der Fraktion der AfD in einer Aktuellen Stunde über das Thema „Neutralität der Wissenschaft bewahren – Politischen Druck auf Forschungsinstitute verhindern“ debattiert. Die Debatte war von gegenseitigen Vorwürfen geprägt, der Ton unfreundlich, teilweise feindlich.
AfD: Regierung gibt gewünschte Ergebnisse vor
Eingeleitet wurde die Debatte von Dr. Gottfried Curio (AfD). Er sagte, die Zeitung „Die Welt“ habe im März 2020 berichtet, dass die Bundesregierung bei dem Corona-Gutachten das gewünschte Ergebnis schon gleich mit vorgegeben habe, wonach das Gutachten eine „möglichst bedrohliche Darstellung“ beinhalten sollte. Laut Curio hatte die Bundesregierung die Absicht verfolgt, statt rein wissenschaftliche Informationen zu gewinnen vor allem die Legitimation für „repressive politische Maßnahmen“ einzuholen. Curio unterstrich: „Es ging nicht um wissenschaftliche Fundierung.“
Curio warf der Regierung vor, nie da gewesene Freiheitseinschränkungen anzuordnen, ohne präzise abzuleiten, wie notwendig diese tatsächlich zur Aufrechterhaltung der Gesundheitssystems zum Schutz der Bevölkerung in einer Infektionslage seien. Curio trat für eine größere Angemessenheit und Zielgenauigkeit solcher Maßnahmen ein, die er als „zerstörerisch“ bezeichnete. Er fragte, ob sich die Regierung die Mühe gemacht habe, herauszufinden, ob Kulturveranstaltungen mit Hygienekonzept wirklich die „Spreader-Events“ seien, ob es angemessen sei, „Schul- und Kitakinder zu Hause wegzusperren“, oder Restaurants geschlossen zu halten und Geschäftsinhaber in den „Ruin zu treiben“.
Auch wollte er wissen, ob ein Inzidenzwert von 50 wirklich wissenschaftlich begründbar sei. Curio sagte: „All das hätte man herausfinden müssen, wenn man dafür Grundrechte abschafft. Aber nichts davon ist geschehen.“ Der „Welt“-Bericht zeige, das Argumentationsdefizit solle durch Emotionalisierung überdeckt werden. Curio fügte an, so viel Manipulation sei selten gewesen, so viel Wille, die Bürger am Nasenring zu führen, auch.
CDU/CSU: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen
Dr. Astrid Mannes (CDU/CSU) suchte die grundsätzliche Argumentation der AfD zu widerlegen und sagte, dass es wiederholt Vorwürfe der AfD gegen Lehrkräfte gegeben habe, wonach diese politisch einseitig Schüler indoktrinierten. Als Folge davon seien Lehrermeldeportale eingerichtet worden. Auch Studierende seien dazu aufgefordert worden, AfD-kritische Professoren zu melden. Mannes sagte: „Und ausgerechnet von der AfD wird jetzt suggeriert, die Wissenschaft werde durch die Politik der Bundesregierung beeinflusst und unter Druck gesetzt.“
Dann ging Mannes auf Vorkommnisse aus dem Jahr 2018 ein, bei denen verschiedene, manchen Studierenden unliebsame Redner am Betreten von und Reden an Universitäten teilweise gewaltsam gehindert worden waren. Die Vorfälle hatte die AfD damals in einer Kleinen Anfrage aufgegriffen. Mannes betonte, dass die Freiheit der Wissenschaft einen besonders hohen Schutz durch das Grundgesetz habe. Es sei geradezu das Wesen der Hochschulen und Universitäten, Orte des freien Austauschs und konkurrierender Hypothesen zu sein. Gerade im Studium sollten Studenten in einen sachlichen und faktenbasierten Diskurs treten.
Mannes sagte: „Das Unterdrücken und gewaltsame Verhindern von Meinungsaustausch widerspricht der Wissenschaftsfreiheit.“ Solche Aktionen gegen potenzielle Redner seien nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und würden je nach Schwere der Tat auch geahndet. Sie betonte: „Der Staat handelt in solchen Fällen.“ Insgesamt habe sich eine Veränderung der Debattenkultur eingestellt, die jedoch nicht von Regierungshandeln gesteuert werde. Vielmehr werde diese durch die sozialen Medien befeuert. Dieser neuen Medien bediene sich auch die AfD gerne. Mannes sagte in Richtung AfD: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“
FDP: AfD betreibt organisierte Denunziation
Dr. h .c. Thomas Sattelberger (FDP) nannte die AfD die „wahren Wissenschaftsfeinde“. Sie würden „organisierte Denunziation“ betreiben, was an Deutschlands dunkle Jahre erinnere. Er sagte: „Wer das Wissenschaftszentrum Berlin verklagt, um die Veröffentlichung freier Forschung über die AfD zu verhindern, der sitzt in dieser Aktuellen Stunde im Glashaus.“ Die demagogischen Versuche der AfD seien so niederträchtig wie durchsichtig.
Gleichwohl fragte auch Sattelberger nach den Vorgängen im Bundesinnenministerium und nannte sie wenig „transparent“. Einerseits habe er für Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Verständnis, sich angesichts der Bilder von Bergamo im Frühjahr 2020 von den besten Forscherinnen und Forschern beraten zu lassen. Bedenklich sei es allerdings, ein Gutachten „mit gewünschter Schockwirkung“ in Auftrag zu geben. Auch sei es bedenklich, wenn Wissenschaftler den Tenor des Gutachtens wichtiger nehmen würden als „evidenzbasierte nackte Fakten“.
Sattelberger mahnte: „Es gibt Anlass zur Sorge“ und sagte an Bundesinnenminister Horst Seehofer gerichtet: „Drohkulissen aufzubauen, wäre Ihres Amtes in unserer stolzen Demokratie nicht würdig.“ Der Abgeordnete zeigte sich besorgt, dass möglicherweise nicht nur Politiker, sondern auch manche Forscher die eine oder andere Grenze überschritten hätten und unterstrich: „Wissenschaftler dürfen nie vergessen, dass es zwischen ihnen und der Politik eine professionelle Rollenteilung gibt. Wissenschaft soll die ungeschönten Fakten liefern und erläutern. Die Politik entscheidet.“ Gleichwohl unterstrich Sattelberger, dass ganz unabhängig von dem speziellen Fall im Bundesinnenministerium in Deutschland Wissenschaftsfreiheit herrsche.
SPD: AfD übt Druck auf Forschungsinstitute aus
René Röspel (SPD) ging auf die Freiheit und die Grenzen von Forschung und Lehre ein. Die Freiheit, die in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert ist, sei eine wichtige Lehre aus der Nazizeit, Eingriffe in die Freiheit der Forschung müssten verhindert werden. Das bedeute aber nicht, dass Forschungsfreiheit nach Artikel 5 nicht auch Grenzen habe, nämlich immer dann, wenn sie andere Grundrechte berühre. Das gelte zum Beispiel für Artikel 2, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, oder für den Artikel 1, die Garantie der Menschenwürde.
Röspel betonte: „Artikel 1 ist nicht abwägbar mit anderen Grundrechten. Und das ist gut so.“ Aber natürlich werde im Bundestag immer wieder diskutiert, inwieweit Forschung grenzenlos sein kann. Als Beispiel nannte er die Embryonenforschung oder den Tierschutz. Dann gelte es, eine Abwägung zu treffen, dann werde Forschung reglementiert oder es würden sogar Verbote ausgesprochen wie etwa durch das Embryonenschutzgesetz.
Laut Röspel liegt allerdings immer häufiger eine Verwechslung mit der staatlich garantierten Forschungsfreiheit einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits vor. Oft würden sie miteinander vermengt. Röspel betonte aber den Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Repression gegen das Wissenschaftssystem: „Wenn jemand allerdings Druck auf Forschungsinstitute und Wissenschaftlerinnen ausübt, dann ist das die AfD.“ Die AfD rede nicht nur verächtlich über Forschung, sondern die Vertreter der AfD würden auch Schilder hochhalten, auf denen Wissenschaftler in Gefängniskleidung abgebildet sind. Röspel sagte: „Wenn das nicht Angriff auf Persönlichkeitsrecht, Meinungsfreiheit und Forschungsfreiheit ist, dann weiß ich nicht, was man als Angriff verstehen kann.“
Linke kritisiert AfD für Haltung zur Wissenschaft
Auch Dr. Petra Sitte (Die Linke) wandte sich gegen die AfD-Fraktion und nannte sie ein „verhindertes Kompetenzzentrum“. Sie wundere sich über die Beantragung der Aktuellen Stunde durch die Fraktion. Gerade die AfD habe immer wieder Nein zu unabhängiger Wissenschaft und Nein zu deren Erkenntnissen gesagt. Wenn die Wissenschaft die Sicht der AfD nicht teile, könne das nur daran liegen, dass die Wissenschaft korrupt sei oder von bösen Mächten finanziert werde, interpretierte Sitte die Haltung der AfD. Sie warf der AfD auch vor, dass diese Klimaschutzpolitik für einen Irrweg halte.
Ferner zählte sie auf, dass das Wort Corona-Diktatur zum Unwort des Jahres gewählt worden sei, ein Begriff, an dessen Verbreitung die AfD einen wesentlichen Anteil gehabt habe. Sitte sagte: „Und ausgerechnet Sie stellen sich heute hier hin und wollen sich für eine neutrale Wissenschaft einsetzen?“ Sie fügte an: „Wenn es nicht so verdammt ernst wäre, käme man aus dem Lachen gar nicht mehr raus.“
Grüne: Forschung und Lehre sind frei
Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) fragte: „Wie frei wäre die Wissenschaft, wenn die AfD jemals regierte?“ Diese Vorstellung sei „blanker Horror“, denn es würde dann Forschungsverbote „nur so hageln“. Er warf der AfD „Heuchelei“ vor. Die AfD fordere die Abschaffung ganzer Disziplinen, Fakultäten und Institute, weil ihr Klimaforschung, Rassismusforschung, Geschichts- und Genderforschung unbequem seien. Die AfD lanciere Hetzkampagnen gegen Wissenschaftler, mit deren Arbeit sie nicht einverstanden sei. „Damit kommen Sie vielleicht bei autoritären Seelenverwandten wie Putin und Orbán gut an, aber gewiss nicht hier.“ Gehring betonte, dass Forschung und Lehre frei sein müssten, das habe Verfassungsrang.
Dann thematisierte auch Gehring die Debattenkultur. Er betonte, dass es in Deutschland kein Problem mit der Meinungsfreiheit gebe, aber womöglich mit der Streitkultur. Gehring mahnte an, dass Debatten zivilisiert ausgetragen werden müssten, ohne enthemmte Sprache, ohne Diskriminierung und ohne gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Der Abgeordnete sagte: „Diskriminierungsfreiheit ist keine Bedrohung von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, sondern die Anerkennung, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist.“ (rol/11.02.2021)