Der Bundestag hat am Donnerstag, 14. Januar 2021, die Novelle des Wettbewerbsrechts beschlossen und bei der Gelegenheit die coronabedingte Kinderkrankengeld-Regelung des vergangenen Jahres auf das Jahr 2021 übertragen. Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen (GWB-Digitalisierungsgesetz, 19/23492, 19/24439, 19/24795Nr. 1.1) wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der AfD, der FDP und der Linken in der vom Wirtschaftsausschuss geänderten Fassung (19/25868) angenommen. Mit dem Gesetzesbeschluss wurde zudem der Anspruch auf Kinderkrankengeld im Sozialgesetzbuch auf das Jahr 2021 ausgedehnt. Zur Abstimmung lag auch ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (19/25869) vor.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Ziel des Gesetzes (19/23492) ist es, missbräuchlichem Verhalten von Unternehmen mit überragender, marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb besser entgegenzuwirken. Zugleich sollen mit spezifischen Datenzugangsreglungen Innovationen befördert und Märkte offengehalten werden. Laut Bundesregierung kann es künftig Plattformunternehmen untersagt werden, auf der Plattform Angebote von Wettbewerbern – etwa bei der Darstellung der Suchergebnisse – schlechter als eigene Angebote zu behandeln.
Die Reform soll zudem den Wettbewerbsbehörden ein schnelleres und effektiveres Handeln ermöglichen. Da digitale Märkte schnelllebig seien, kann das Bundeskartellamt künftig einfacher sogenannte einstweilige Maßnahmen ergreifen, um den Wettbewerb schon frühzeitig zu schützen. Zugleich werden die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden ausgeweitet. Außerdem schafft das Gesetz Erleichterungen im Recht der Fusionskontrolle. Zudem erhalten Unternehmen mehr Rechtssicherheit bei Kooperationen – etwa bei der gemeinsamen Nutzung von Daten oder dem Aufbau von Plattformen.
Der Wirtschaftsausschuss hatte am Regierungsentwurf noch Änderungen vorgenommen. So wurden die Vorschriften rund um den Kernparagrafen 19a in ihren Formulierungen präziser gefasst und mit Beispielen belegt. Verhaltenspflichten wurden punktuell ergänzt. Die Umsatzschwelle für die Fusionskontrolle wurde angehoben, und zwar auf 50 Millionen Euro (erste Inlandsumsatzschwelle) beziehungsweise 17,5 Millionen Euro (zweite Inlandsumsatzschwelle). Dadurch soll das Bundeskartellamt entlastet werden. Außerdem wird dem Bundesgerichtshof die erstinstanzliche Zuständigkeit für Streitigkeiten gegen Verfügungen des Bundeskartellamts nach Paragraf 19a zugewiesen. Ziel ist es, die Verfahren zu beschleunigen.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat plädierte für Nachbesserungen bei der Gesetzesnovelle zum Wettbewerbsrecht. Konkret geht es ihm um Änderungen bei den Anmeldepflichten, wie aus seiner Stellungnahme hervorgeht (19/24439). Es sei zu prüfen, „ob die in Artikel 1 Nummer 16 des Gesetzentwurfs formulierte Nummer 2 des Paragraf 39a Absatz 2 GWB-E, wonach die Anmeldepflicht nach Paragraf 39a Absatz 1 GWB-E nur für Zusammenschlüsse gelten soll, bei denen das zu erwerbende Unternehmen mehr als zwei Drittel seiner Umsatzerlöse im Inland erzielt hat, gestrichen werden kann“.
Die Bundesregierung begründe im Entwurf des GWB-Digitalisierungsgesetzes (GWB-E, 19/23492) nicht nachvollziehbar, warum sie diese zweite Bedingung für die Anmeldepflicht formuliert hat, so der Bundesrat weiter. Es sei zu befürchten, dass kleine Digitalunternehmen zu wenig geschützt wären. „Bei Digitalunternehmen, auch kleinen, stammt oftmals ein großer Teil der Umsatzerlöse, der ein Drittel schnell übersteigen kann, aus grenzüberschreitenden, das heißt nicht im Inland erzielten Umsätzen.“
Die Bundesregierung lehnte den Vorschlag unter Verweis auf unerwünschte Konsequenzen für den Investitionsstandort Deutschland sowie das Start-up-Ökosystem ab. Gerade Vertreter kleiner Digitalunternehmen hätten sich beim Erarbeiten des Gesetzentwurfs dafür eingesetzt, dass Investitionen in Start-ups durch die vorgesehene Regelung nicht erschwert werden.
Entschließung verabschiedet
Der Bundestag beschloss gegen die Stimmen von AfD und FDP bei Enthaltung der Linken und Grünen eine Entschließung zu dem Gesetz. Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, die Anwendung des novellierten Wettbewerbsrechts und die Auswirkungen auf die Struktur der Digitalwirtschaft und der Wirtschaftsstruktur in Deutschland sowie auf die Wahlmöglichkeit der Verbraucher aufmerksam zu beobachten. Sie soll dem Bundestag nach vier Jahren berichten, und die Anwendung der neuen Vorschriften zum Datenzugang vor allem dahingehend bewerten, ob die verschieden gelagerten Interessen beim Datenzugang angemessen berücksichtigt und gewahrt werden konnten, welche Auswirkungen der Datenzugang auf die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft hat und ob die Berücksichtigung des Datenschutzes, des Immaterialgüterrechts und der Schutz von Geschäftsgeheimnissen praxistauglich umgesetzt wird.
Zugleich soll die Regierung die europäischen Bemühungen für einen Ordnungsrahmen der Plattformökonomie in Form des Digital Markets Act begleiten und die deutschen Erfahrungen mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz den europäischen Institutionen sowie den Mitgliedstaaten offen zugänglich machen und in die europäische Debatte mit einbringen. Das „Gesetz über digitale Märkte“ (Digital Markets Act) auf EU-Ebene soll sicherstellen, dass es auf digitalen Plattformen fair zugeht. Gemeinsam mit dem Gesetz über digitale Dienste ist das Gesetz über digitale Märkte eines der Kernelemente der EU-Digitalstrategie.
Dem Bundestag soll die Regierung ein Jahr nach Inkrafttreten des Digital Markets Act das Verhältnis zwischen europäischen und deutschen Regelungen erläutern, deren jeweilige Wirkung auf die Digitalwirtschaft bewerten und sich daraus ergebende nötige Anpassungen des deutschen Wettbewerbsrechts vorschlagen. Auf EU-Ebene soll sie sich die Regierung auch dafür einsetzen, Möglichkeiten zu schaffen, Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung das Behindern von Innovation und Wettbewerb durch das strategische Aufkaufen von Wettbewerbern (sogenannte „Killer-Akquisitionen“) zu untersagen. Ebenso seien auf EU-Ebene die Voraussetzungen zu schaffen, um die Rechtssicherheit von Unternehmenskooperationen auch bei Vorliegen vertikaler Wettbewerbsverhältnisse zu unterstützen.
Kinderkrankengeld auch im Jahr 2021
Mit der GWB-Novelle nahm der Bundestag auch Änderungen des Dritten und des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB III, V) vor. Der Leistungszeitraum für die Inanspruchnahme von Kinderkrankengeld wurde aufgrund der andauernden Covid-19-Pandemie auf das Jahr 2021 ausgedehnt. Gesetzlich versicherte Eltern können im Jahr 2021 pro Kind und Elternteil 20 statt zehn Tage Kinderkrankengeld beantragen, insgesamt bei mehreren Kindern maximal 45 Tage. Für Alleinerziehende erhöht sich der Anspruch um 20 auf 40 Tage pro Kind und Elternteil, maximal bei mehreren Kindern auf 90 Tage. Diese neue Regelung gilt rückwirkend ab dem 5. Januar.
Gründe für die Inanspruchnahme von Kinderkrankengeld können sein, dass die Schule, die Einrichtung zur Betreuung von Kindern (zum Beispiel Kita) oder die Einrichtung für Menschen mit Behinderungen geschlossen ist, pandemiebedingt ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde, die Präsenzpflicht im Unterricht ausgesetzt ist, der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder das Kind auf Grund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht. Liegt einer dieser Gründe vor, muss dies der Krankenkasse nachgewiesen werden. Die Krankenkasse kann hierzu eine Bescheinigung der jeweiligen Einrichtung oder der Schule verlangen.
Anspruch besteht unabhängig von Homeoffice-Möglichkeit
Der Anspruch auf Kinderkrankengeld besteht unabhängig davon, ob die Arbeitsleistung nicht auch grundsätzlich im Homeoffice erbracht werden kann. Für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach dieser Regelung kann weder für das dem Kinderkrankengeldbezug zugrundeliegende Kind noch für ein anderes betreuungsbedürftiges Kind eine Entschädigungsleistung nach dem Infektionsschutzgesetz beansprucht werden kann.
Abgerechnet werden die zusätzlichen Leistungen über die Krankenkassen. Der Bund leistet zur Kompensation dieser Ausgaben zum 1. April 2021 einen zusätzlichen Bundeszuschuss zur Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 300 Millionen Euro.
Oppositionsanträge abgelehnt
Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der AfD und der FDP bei Enthaltung der Grünen lehnte der Bundestag einen Antrag der Fraktion Die Linke zum Wettbewerbsrecht 4.0 ab, der das „digitale Monopoly“ beenden soll (19/23698 neu). Dieselben Fraktionen lehnten auch einen Antrag der Grünen mit dem Titel „Internetgiganten zähmen – Fairen Wettbewerb für digitale Plattformen herstellen“ (19/23701) ab, wobei die Linksfraktion mit den Grünen dafür stimmte. Beim zweiten Antrag der Grünen mit dem Titel „Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb stärken“ (19/23705) enthielt sich die Linksfraktion. Die Grünen stimmten für ihren Antrag, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. Keine Mehrheit fand auch ein Antrag der FDP mit dem Titel „Für ein selbstbewusstes und wachstumsorientiertes Wettbewerbsrecht auf digitalen Märkten“ (19/23688). Neben der FDP stimmte auch die AfD dafür, die Koalitionsfraktionen und die Grünen lehnten ihn ab. Die Linke enthielt sich.
Erstmals stand ein Antrag der AfD auf der Tagesordnung, der eine „Co-Regulierung als ergänzendes Instrument des Wettbewerbsrechts und des Verbraucherschutzes“ fordert (19/25808). Der Bundestag überwies die Vorlage zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss.
Abgelehnter Antrag der Linken
Die Linksfraktion forderte von der Bundesregierung (19/23698 neu), das Wettbewerbsrecht an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Ungleiche Wettbewerbsbedingungen hätten bereits zu einer massiven Verdrängung von Digitalunternehmen und -dienstleistern geführt und dieser Effekt drohe sich im Zuge der „Corona-Pandemie“ weiter zu verstärken, schrieben die Abgeordneten.
Auch die Besteuerung der Gewinne digitaler Konzerne in den Ländern, wo diese ihre Umsätze erzielen, sei unzureichend. Es brauche daher Verschärfungen im Wettbewerbsrecht und mehr Ressourcen bei Aufsichtsbehörden und Justiz.
Abgelehnter Antrag der FDP
Dem abgelehnten Antrag der FDP (19/23688) zufolge sollten Bestimmungen in der Wettbewerbsaufsicht für digitale Plattformen und den vorliegenden Gesetzentwurf des GWB-Digitalisierungsgesetzes dahingehend überprüft werden, ob eine klare und scharfe Definition von digitalen Plattformen mit marktbeherrschender Stellung geschaffen und im Gesetzestext verdeutlicht wird. Überprüft werden sollte auch, ob das Ausgrenzen oder Sperren von Unternehmen, die auf digitalen Plattformen tätig sein wollen, begründet erfolgt, um den betroffenen Unternehmen die Ausgrenzung oder Sperrung nachvollziehbar zu machen.
Auch forderte die Fraktion einen ordnungspolitischen Rahmen für offene Schnittstellen bei datengestützten Endgeräten und Smart-Home-Geräten, damit Wartungsarbeiten durch Dritte im Auftrag des Geräteeigentümers stattfinden können.
Erster abgelehnter Antrag der Grünen
Die Grünen forderten die Bundesregierung in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/23701), in digitalen Märkten Wettbewerb und Verbraucherrechte zu stärken, indem die im Paragrafen 19a Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungstatbestände für Unternehmen, bei denen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb festgestellt wurde, als wettbewerbliche Verhaltensweisen grundsätzlich untersagt werden. Auf diese Weise würde das mehrstufige Verfahren zur Regulierung der großen digitalen Plattformen vereinfacht und beschleunigt, um innovativen Wettbewerb und die Verfügungsgewalt der Nutzer über ihre eigenen Daten zu stärken.
Den Nachweis, dass dies technisch oder datenschutzrechtlich nicht hergestellt werden kann, sollten die Anbieter erbringen, so die Grünen. Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb sollten sämtliche Erwerbsvorgänge mit hinreichendem Bezug zum Bundesgebiet zur Fusionskontrolle anmelden müssen, forderte die Fraktion.
Zweiter abgelehnter Antrag der Grünen
Die Grünen forderten in ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/23705), dass die auf den Verbraucherschutz bezogenen Kompetenzen des Bundeskartellamts ausgeweitet werden. Das Bundeskartellamt sollte befugt werden, bei erheblichen, dauerhaften oder wiederholten Verstößen gegen Normen aus dem wirtschaftlichen Verbraucherrecht zu ermitteln, diese abzustellen und zu sanktionieren. Es sollte vor allem dort aktiv werden, wo behördliche Kompetenzen nötig sind, um Verstöße effektiv aufdecken und sanktionieren zu können. Ergänzt und gestärkt werden sollte laut Fraktion die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung.
Den klagebefugten Verbänden wie Verbraucherzentralen und Wettbewerbszentralen sollten das Antragsrecht auf die Einleitung von Ermittlungen sowie Anhörungs- und Beteiligungsrechte bei Verfahren zum Verbraucherschutz gegeben werden, lautete eine weitere Forderung. Die Vorteilsabschöpfung illegitimer wirtschaftlicher Vorteile, die durch Kartellverstöße erwirtschaftet werden, wollten die Grünen wirksam gestalten. Dazu sollte im Paragrafen 34a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen klargestellt werden, dass Kartellbehörden und Verbände keinen Nachweis über vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Unternehmens erbringen müssen.
Überwiesener Antrag der AfD
Die AfD vermisst eine systematische Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zur Regulierung der Wettbewerbspraktiken von Handelsunternehmen. Das geht aus ihrem überwiesenen Antrag (19/25808) hervor. Darin fordert sie, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die freiwillige Verhaltenscodes für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Anbietern und Verbrauchern im Zusammenwirken zwischen allen beteiligten Verkehrskreisen und Stakeholdern entwickelt werden können. Zudem gelte es, staatliche Stellen zu benennen, die einerseits die Formulierung der Codes begleiten und andererseits für die Durchführung von Kontrollmaßnahmen verantwortlich zeichnen.
Freiwillige sogenannte Codes of Conduct seien in Deutschland immer wieder von Handelsverbänden aufgestellt worden, heißt es in dem Antrag. Ihre Wirksamkeit sei aber stets gering gewesen, weil die den Code verkündenden Organisationen weder eine systematische Kontrolle der Einhaltung sichern konnten noch über Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbeachtung verfügten. Auch seien Verbraucherorganisationen an der Formulierung des Codes in der Regel nicht beteiligt. Den Herausgeber der relativ wenigen Codes in Deutschland fänden sich meist im Zwiespalt zwischen den Geboten der Fairness und den Befürchtungen einzelner Unternehmen, sie könnten durch Codes of Conduct in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, vielleicht auch zum Opfer missbräuchlicher Abmahnungen werden, wenn Sanktionen gegen Verstöße existierten. (hau/ste/pez/sas/ste/vom/14.01.2021)