Auswärtiges

Experten beschreiben Folgen des Kli­ma­wandels für das kul­tu­relle Erbe

Kein Nischenthema, sondern ein zentrales Instrument der deutschen Außenpolitik sei die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, sagte Thomas Erndl (CDU/CSU), stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, einleitend während eines öffentlichen Fachgesprächs des Unterausschusses am Montag, 14. Dezember 2020, über die Folgen des Klimawandels für das kulturelle Erbe.

Durch ihr großes Netz aus kulturellen Mittlerorganisationen, Auslandsschulen und Forschungseinrichtungen und ausgestattet mit einem finanziellen Volumen von über zwei Milliarden Euro pro Jahr trage dieser Bereich der auswärtigen Beziehungen mit seiner Verständigungsarbeit dazu bei Brücken zur Zivilgesellschaft anderer Länder zu bauen, und dort kulturelle Identität zu stiften und Stabilität und Frieden zu schaffen.

Müntefering: Stärker auf präventive Maßnahmen setzen

„Außenpolitik ohne Kultur- und und Bildungspolitik ist wie Pommes ohne Ketchup“, sagte Michelle Müntefering (SPD), Staatsministerin im Auswärtigen Amt. In der aktuellen Krise sei es „gut gelungen, den Mittlerorganisationen beizustehen“. Kulturgüter weltweit seien aber weiterhin durch vielfältige Bedrohungen, darunter den Klimawandel, Krieg und Terrorismus betroffen. „Wir brauchen eine Strategie, wie wir das gemeinsame kulturelle Erbe der Menschheit unter den Bedingungen des Klimawandels bewahren können.“ Um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, leiste auch die Kultur ihren Beitrag. Um massive Zerstörungen von Kulturstätten wie in Syrien, Iran oder Jemen künftig vermeiden und besser auf akute Bedrohungen reagieren zu können, werde man stärker auf präventive Maßnahmen setzen.

Nach dem Brand im Nationalmuseum in Rio de Janeiro 2018 sei unter der Ägide des Deutschen Archäologischen Instituts ein „Kulturgut-Rettungsmechanismus“ entstanden. Um die durch eine Explosion zerstörte Altstadt von Beirut zu rekonstruieren, beteilige sich Deutschland an einem Wiederaufbaufonds. Die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, sei in diesem Bereich „die wichtigste Organisation, die wir unterstützen“.

Fless: Es gibt nicht die eine globale Lösung

Schwieriger als plötzliche, einmalige Katastrophen wie die Explosion ins Hafen von Beirut, der Brand eines Museums oder das Nilhochwasser in diesem Sommer sei es, die Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen, sagte Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts. „Am Anfang sind die Auswirkungen kaum merkbar. Dann aber kommt es zu einer exponentiellen Entwicklung.“ Man sehe weltweit ganz unterschiedliche Schadensbilder und Dynamiken. Auf die Vielfalt von Phänomenen gebe es nicht die eine globale Lösung. Es sei von Vorteil, dass ihr Institut weltweit so breit aufgestellt sei und über viele regionale Experten verfüge.

Die fortschreitende Wüstenbildung in Afrika lasse Pyramiden im Sand versinken. Sandstürme wirkten an den jahrtausendealten Bauwerken wie ein riesiger Sandstrahl. Klimaeffekte beträfen nicht nur weit entfernte Weltregionen. Auch Parks in Brandenburg oder die Bausubstanz von Kirchen in Mitteleuropa veränderten sich unter dem Einfluss. In den Niederlanden ließen fallende Grundwasserspiegel hölzerne Fundamente verrotten. Woanders, wie in Venedig, gebe es wiederum zu viel Wasser. Küstenabschnitte des Mittelmeers erodierten. In Kanada gingen durch den schwindenden Permafrost ganze Kulturlandschaften verloren. An vielen Stellen sei es kaum mehr möglich, den Verfall zu stoppen, Objekte zu retten, ja in vielen Fällen könne man den Prozess nicht einmal mehr schnell genug dokumentieren. Mit Partnern auf der ganzen Welt arbeite man an Strategien zur Erhaltung von Kulturgütern.

Renn: Fächerübergreifend forschen und Wissen teilen

Für neue Formen der wissenschaftlichen Kooperation, um Welterbestätten der Kultur wie der Natur zu retten, warb Prof. Dr. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Die Bewahrung der Natur und des kulturellen Erbes seien enger verflochten als man das bisher wahrnehme. Seit eh und je trügen Kulturtechniken weltweit dazu bei, ein nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen. So sei ein Großteil der 30.000 Talsperren in Sri Lanka jahrhundertealt.

Solches lokales Wissen sei prädestiniert dazu, heutige Herausforderungen zu bewältigen. Für die dringende Sanierung der dortigen Infrastruktur müsse man Ingenieure und Archäologen, Natur- und Kulturwissenschaftler, zusammenbringen, fächerübergreifend forschen und Wissen teilen.

Reuss: Bildung ist der Dreh- und Angelpunkt der Unesco

Dr. Peter Reuss, Botschafter und Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Unesco, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, berichtete über den Beitrag der Unesco, mit Bildungsarbeit Frieden zu sichern und Kriege zu beenden. „Bildung ist der Dreh- und Angelpunkt der Unesco“. Die Organisation habe sofort auf die Covid-Krise reagiert, „alles, was sie konnte, in die Bildungsarbeit gesteckt“ und „unbürokratisch geholfen“. Wichtigstes Ziel in diesem Bereich sei jetzt, „dass die Kinder in die Schulen gehen, wenn diese wieder öffnen.“ Zudem wolle man bei der Armutsbekämpfung vorankommen und Ungleichgewichte bei der digitalen Versorgung abbauen.

Im Kultur- und Naturbereich seien momentan 53 Welterbestätten akut in Gefahr. Der deutsche Vertreter bei der Unesco erinnerte dabei an strukturelle Probleme der Organisation. Die Unesco sei mit einer Reform beschäftigt, wolle effektiver und transparenter werden. Der Austausch zwischen den Säulen Wissenschaft, Bildung und Kultur solle verbessert werden, es gelte diese „Silo-Struktur“ zu überwinden.

Böhmer: Digitale Bildung gewinnt an Bedeutung

Über die Aktivitäten der deutschen Welterbekommission berichtete die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission. Man sei stolz auf den Weltbildungsbericht. „Für Frieden muss ich die Zivilgesellschaft erreichen.“ Durch die Pandemie gewinne die digitale Bildung an Bedeutung. Im Bereich Wissenschaft habe die Unesco die Idee der „open science“ vorangebracht. Über Grenzen hinweg Zugang zu Wissenschaft und Forschung zu haben sei „ein wichtiges Feld, gerade jetzt, wo es um den Impfstoff geht“.

Der Erhalt des Welterbes aber sei nach wie vor „das Flaggschiff“ der Unesco. Momentan kämen für die Welterbestätten durch Kriege, Terroristische Akte, den Klimawandel und die Pandemie so viele Belastungsfaktoren zusammen wie nie. Viele Stätten bräuchten dringend Hilfe. Touristen, Einnahmen und Perspektiven fehlten, Jugendliche würden sich auf den gefährlichen Weg der Flucht begeben. Man arbeite, wo immer man könne, mit Partnern vor Ort an Lösungen.

Dömpke: Doppelt so viele Welterbestätten gefährdet

Stephan Dömpke, Chefredakteur des World Heritage Watch Report 2020, wies darauf hin, dass nach Zählung seiner Organisation, die Informationen aus der Zivilgesellschaft über Welterbestätten sammelt, wahrscheinlich doppelt so viele Welterbestätten gefährdet seien, wie in der entsprechenden offiziellen Liste der Unesco eingeschrieben sind. Die Entscheidungen in der Unesco um die Schutzwürdigkeit eines Ortes würden leider allzu häufig nicht auf Basis sachlicher Argumente gefällt, sondern aufgrund geostrategischer Erwägungen. Er warb dafür, die Arbeit für das Welterbe in einen umfassenden Kontext nachhaltiger Entwicklung zu stellen. Zu diesem Zweck müssten in Deutschland Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stärker zusammenarbeiten.

Sowohl beim Kultur- als auch beim Naturerbe gelte es dabei, nicht nur den wissenschaftlichen Wert von Stätten einzuschreiben, sondern auch, deren Wert für die Menschen vor Ort mit ihren Traditionen einzubeziehen und diese ideell und materiell zu beteiligen. „Wir müssen die lokale Bevölkerung zu unseren besten Verbündeten machen.“ (ll/15.12.2020)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI)
  • Prof. Dr. Jürgen Renn, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
  • Dr. Peter Reuss, Botschafter und Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Unesco
  • Prof. Dr. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission
  • Stephan Dömpke, Chefredakteur des World Heritage Watch Report

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